Datum Talente

OE3RGB – bitte kommen

In Österreich gibt es 6.000 Funkamateure. 
Im Ernstfall müssen sie Leben retten.

·
Illustrator:
Nicola Ferrarese
DATUM Ausgabe Februar 2019

Zentimeterdickes Eis liegt wie ein Korsett um Strommasten, setzt Trafostationen außer Kraft, macht Straßen unbefahrbar. Busse fahren in Gmünd keine mehr. Alle Schulen sind geschlossen. Im Schulzentrum, in dem dutzende Verletzte ausharren, fällt die Heizung aus. Innerhalb einer halben Stunde schlittert ein Auto in einen Zug, zwei weitere kollidieren. In der Stabsstelle in der Bezirkshauptmannschaft geben die Leiter von Rotem Kreuz und Feuerwehr Kommandos weiter, fordern Diesel an und organisieren Motorsägen. Abseits, an einem Pressspantisch, sitzt Rainer Gangl. Vor ihm steht ein silberner Notfunkkoffer, in der Hand hält er ein Funkgerät. Er trägt eine blaue Warnweste, die er sich extra für diesen Tag hat anfertigen lassen. OE3RGB ist in weißer Farbe auf die Rückseite gedruckt. Dazu trägt Rainer grüne, abgetragene Waldviertler. ›Meine Sternstunde kommt beim Blackout‹, sagt Rainer. Rainer Gangl ist 72 Jahre alt und Funkamateur.

Denn wenn in diesem oder einem anderen Land alle Stricke reißen, wenn Handys, das Internet und Telefonleitungen nicht mehr funktionieren, dann bleiben uns mitunter nur noch die Funkamateure. Sie sind Individualisten und Bastler, haben ihre Geräte oft selbst gebaut oder modifiziert. Und sie können damit im Ernstfall unzählige Leben retten.

Das Hobby der Funkamateure kennt viele Spielarten. Sie schleppen Geräte und Antennen auf Gipfel oder funken von Segelschiffen im Atlantik. Dabei benutzen sie Randfrequenzen, die ihnen von der obersten Fernmeldebehörde zugewiesen wurden. Die gibt den Funkamateuren auch ihre zweiten Namen, die Rufzeichen. So wird aus Rainer Gangl OE3RGB. 6.200 dieser Rufzeichen sind in Österreich vergeben. Einige davon gehören Personen, die schon gestorben sind. Der Dachverband der Funkamateure schätzt die Zahl der aktiven Funkamateure auf etwa 6.000 Personen, die sich auf ganz Österreich verteilen. Nur sieben Prozent davon sind Frauen.

›Meine Sternstunde kommt beim Blackout‹, sagt Rainer.

Kommt der Notfall, müssen Funkamateure helfen. Laut Telekommunikationsgesetz ist ein Funkamateur ›verpflichtet, über Aufforderung der für den Hilfseinsatz zuständigen Behörden im Rahmen seiner Möglichkeiten Unterstützung bei der Durchführung von Not- und Katastrophenfunkverkehr zu leisten.‹ Wenn Rotes Kreuz, Feuerwehr oder Zivilschutzbund jemanden brauchen, der Funkverbindungen herstellt, sind die Amateure zur Stelle. Das verlangt auch der sogenannte ›Ham Spirit‹, der interne Kodex, benannt nach den Initialen der drei ersten Amateurfunker des Harvard Radio Clubs von 1908, über den sich die Funker-Community weltweit moralisch verbindet. ›Der Funkamateur ist der Gemeinschaft verpflichtet. Seine Stationen und seine Fähigkeiten stehen immer bereit, seinem Land und seiner Gesellschaft zu dienen‹, steht darin. Um Funkkontakte zu finden, suchen die Amateure ihre Frequenzbänder ab. Jeder, der schon einmal händisch den Radiosender wechseln wollte, kennt das. Sie drehen so lange an den Reglern ihres Funkgerätes, bis sie ein Signal hören. Dabei kommen sie automatisch an den Frequenzen vorbei, die für den Notfall freigehalten werden. Hören sie dort ein Signal, leiten sie es weiter.

Ein Leben ohne Funkgerät? Das kann sich Rainer schwer vorstellen. Fragt man ihn, was er ohne sein Rufzeichen wäre, sagt er erstaunt: ›Dann wäre ich ja jemand anderer.‹ Sein Dialekt offenbart den gebürtigen Waldviertler. Viele seiner Bekannten wissen gar nicht, dass Rainer Rainer heißt. Sie kennen ihn nur unter dem Namen OE3RGB. Mindestens drei Stunden funkt Rainer jeden Tag. Am liebsten von der Burgruine, zuhause in Heidenreichstein. Antwortet ein Funker aus einem exotischen Land, schickt Rainer ihm per Post eine kuvertierte Karte, um zu bestätigen, dass er die Nachricht empfangen hat. QSL-Karten heißen diese unter Funkamateuren. Rainer spricht gerne von früher. Damals, als man die Karten noch mit Sonderbriefmarken spickte, um auch eine zurückzubekommen. Heute verstauben Schuhschachteln voller QSL-Karten im Funkerzimmer. Vom Jahr 1970 spricht Rainer auch gerne. Damals, als er zum ersten Mal Radio Peking und Radio Schweden gelauscht hat. ›Da habe ich dann Blut geleckt‹, sagt Rainer. Heute erklärt er mit Maria Schulkindern das Morsealphabet. Rainer ist mit Maria verheiratet. Und ein bisschen auch mit seinem Funkgerät.

Rainer Gangl ist ein typischer Funkamateur. Er lebt für sein Hobby. Er ist ein Spezialist. Um seine Lizenz und damit die Funkberechtigung zu bekommen, musste er sich einer Prüfungskommission stellen. Er muss wissen, dass QSL – eine Buchstabencode aus der Morsetelegrafie – bedeutet ›Ich gebe Empfangsbestätigung‹. Und er muss auch verstehen, wie Sonnenstürme die Ausbreitung von Funkwellen beeinflussen. Manches Wissen braucht er nie wieder. Anderes ist wertvoll, wenn das Blackout kommt. So wie die Funktionsweise von Winlink. Das ist ein Netzwerk von Stationen, die zwischen dem Internet und Kurzwellenfunk vermitteln. Winlink ist quasi das Internet der Funkamateure. Es funktioniert auch dann, wenn das klassische Internet ausfällt.

Im slowenischen Logatec hieß der Funkamateur nicht Rainer Gangl, sondern Matjaz Kmet. ›Ich habe immer von diesem Moment geträumt‹, sagt der Slowene über die Katastrophe, die im Jahr 2014 ein Drittel seines Landes lahmlegte. Zentimeterdickes Eis überzieht Autos wie Neoprenanzüge. Ellenbogenlange Zapfen hängen von Zugleitungen. Das Eis lässt tausende Bäume und Antennen umstürzen. Blackout. Zweihunderttausend Menschen in Häusern, Kindergärten, Krankenhäusern haben keinen Strom. Slowenien bittet die EU um Katastrophenhilfe. Das niederösterreichische Landesfeuerwehrkommando schickt 25 Aggregatoren und hundert Einsatzkräfte. Am 4. Februar um 18 Uhr 11 liest Matjaz Kmet in seinem Funkerzimmer eine E-Mail: ›Do you know where the command and control center of the civil protection center is?‹, steht darin. Absender ist die Einsatzleitung der Landeswarnzentrale in Tulln, die den Kontakt zu den Einsatzkräften in Logatec verloren hat. Matjaz kann die E-Mail lesen, während in der ganzen Region Telefonieren, Fernsehen oder das Internet zu öffnen unmöglich ist. Die nächsten zehn Tage ist er die einzige Verbindung zwischen der Einsatzleitung in Tulln und den Feuerwehrleuten in Logatec. Nur wegen Matjaz weiß die Einsatzleitung, wo Aggregate stehen und wie viel Treibstoff gebraucht wird. Die nächsten zehn Abende sitzt der kleine Mann mit den Kringellocken auf einem geblümten Sitzkissen am Fliesenboden, neben ihm ein in Plastikfolie verpacktes Klappbett, vor ihm zwei Sessel. Darauf hat er sich eine provisorische Funkstation gebastelt. Matjaz kombiniert verschiedene Antennen. Trotz Blackout hält er Kontakt nach Tulln. Gelernt hat er das vor drei Jahrzehnten, als Militärtelegraph in der jugoslawischen Armee. Damals bekam Matjaz Kmet monatlich Gehalt überwiesen für seine Tätigkeiten und Expertise. 15.000 Euro, schätzt er, hat er in sein Equipment gesteckt. Während des Blitz­eises arbeitet er gratis. ›Jeder Funkamateur will helfen, wenn es möglich ist‹, sagt Matjaz Kmet.

›Ich habe immer von diesem Moment geträumt‹, sagt der Slowene über die Katastrophe, die im Jahr 2014 ein Drittel seines Landes lahmlegte.

Am 24. Oktober 2018 um 11 Uhr 27 empfängt Rainer Gangl in Gmünd ein Signal, das über Leben und Tod entscheidet. ›CB-Funkspruch empfangen. B41 Fahrtrichtung Freistadt zwischen Karlstift und Brennerhof. Fahrzeug hängt: 2 Insassen, 1 männlich, 1 hochschwangere Frau, Geburt steht bevor, Fruchtblase geplatzt, dringende Hilfe erbeten‹, dringt metallisch aus dem silbernen Notfunkkoffer. Das Telefonnetz und das Mobilnetz liegen lahm. Nur Rainer hört den Notruf über die Amateurfunkfrequenz. Er ist der einzige, der Hilfe für die Mutter und das Ungeborene rufen kann. Rainers Daumen und Zeigefinger drehen behutsam an abgenutzten Reglern. Dann drückt sein Zeigefinger auf einen rot leuchtenden Knopf. Alle fünf Finger halten das Funkgerät fest, als Rainer den Funkspruch abgibt. Seine Hände kennen die Bewegungen seit Jahrzehnten. Sie haben sich ihnen eingeschrieben wie die tiefen Falten. Er drückt den Knopf seiner Funkanlage, setzt den Notruf ab. Rainer Gangl sieht nicht aus wie ein Hollywood-Held, mit seinem weißen, schütteren Haarkranz und den tiefen Ringen unter den Augen. Dann kommt der Funkspruch: Rotes Kreuz und Feuerwehr sind auf dem Weg, Mutter und Ungeborenes gerettet. ›Funkamateure sind nicht die einzigen, die kommunizieren können. Aber sie sind oft die einzigen, die vor Ort sind‹, sagt Horst Treiblmeier. Der Oberst sitzt an seinem Tisch in der Wiener Rossauer Kaserne, die Abendsonne im Gesicht. Vor sich, in militärischer Manier parallel zur Tischkante ausgerichtet, liegen die Unterlagen eines seiner Vorträge, die er vor Funkamateuren hält. Treiblmeier leitet die Abteilung Kommunikationssysteme. Kommt die Katastrophe, stellt das Innenministerium an sie eine Assistenzanforderung. Oberst Treiblmeier hat eine gewisse Affinität zu den Amateurfunkern. Er will sie stärker mit dem Bundesheer vernetzen, ihre Expertise nutzen. ›Der Frequenzbereich, den die Funk­amateure verwenden, ist der schwierigste. Die sind auf demselben Level wie die Ausbildner unserer Fernmeldesoldaten‹, sagt Treiblmeier. Darum hält er Vorträge vor Funkamateuren und schickt Soldaten in einen Kurs, der sie auf die Amateurfunkprüfung vorbereitet. Heute verfügt Treiblmeier über tausend Fernmeldesoldaten. Er nennt sie ›Rostbraune‹, wegen der Farbe ihres Abzeichens. Diese kommunizieren mittels 300 eigens dafür konfigurierter Richtfunkgeräte. Sie können nicht abgehört werden, weil sie Frequency Hopping betreiben, also 250-mal pro Sekunde die Frequenz wechseln. Bricht das Netz lokal zusammen, können Fernmeldesoldaten mit Geräten und Notfunkkoffern ausrücken. Sie schließen Kasernen oder Landesregierungen an die Kommunikation an. Ist das nicht möglich, weichen die Rostbraunen auf die 15 Kurzwellen-Frequenzen und Geräte des staatlichen Krisen- und Katastrophenschutzmanagements aus. Sind aber alle staatlichen Frequenzen ausgefallen, wie es in Slowenien im Jahr 2014 der Fall war, können nur mehr die Funkamateure kommunizieren.

Auch Herbert Saurugg war einmal ein ›Rostbrauner‹. Der Berufsoffizier hat sich auf Blackout-Beratung spezialisiert und beschäftigt sich intensiv mit der Frage, was passiert, wenn die Netze ausfallen und wie man sich da­rauf vorbereiten kann. ›Katastrophenschutz ist Ländersache. Es gibt neun unterschiedliche Landeskatastrophenschutzgesetze, neun verschiedene Herangehensweisen. Die Koordination übernimmt in dem Fall das Einsatz- und Krisenkoordinierungscenter im Innenministerium. Aber oft ist nicht klar, welche Ebene genau angesprochen wird‹, sagt Saurugg. Ein Blackout kann unvermittelt kommen, das Telekommunikationsnetz bei Überlastungen schnell zusammenbrechen. Funkamateure sind in diesem Fall eine wichtige Rückfallebene, weil sie vor Einsatzorganisationen und Bundesheer vor Ort sein können. ›Aus militärischer Sicht ist das Berufsheer effizienter. Aber Funkamateure sind gut ausgebildete Menschen, die den Staat nichts kosten. Es ist besser, ein funktionierendes System vor Ort zu haben als gar keines‹, meint Saurugg pragmatisch. Das einzige Problem: Unter Funkamateuren gibt es keine Hierarchie wie beim Militär. Wie also kann man 6.000 Individualisten organisieren, wenn das Blackout kommt? Um das zu testen, setzt Oberst Treiblmeier am 1. Mai 2018 einen österreichweiten Notruf ab. Ausgangslage: Ein Cyberangriff auf die Steuerung der landesweiten Stromversorgung. Blackout. Die Kommunikationsinfrastruktur liegt lahm. Über die Notruffrequenz will er wissen: Wo ist der Standort des Funkamateurs? Ist er mobil? Hat er eine Stromversorgung, die vom öffentlichen Netz unabhängig ist? Aus 60 Prozent der Bezirke melden sich Funkamateure zurück, geben Bescheid, über welche Akkus und Antennen sie verfügen, ob sie die Bezirkshauptmannschaft erreichen können, um dort eine Funkverbindung aufzubauen. ›Durch den Anruf waren alle hoch diszipliniert. Das sind sie normalerweise nicht gewöhnt. Die Gefahr besteht immer, dass sie zu quatschen beginnen‹, sagt Treiblmeier. Weil der Anruf unvorbereitet kam, war er von der Professionalität überrascht. Und weil, das ist die Achillesferse der Funkamateure, die Menschen auf der anderen Seite des Funkgerätes schon aufgrund ihres Alters keine klassischen Leistungsträger mehr sind. ›Sie müssen sich vorstellen‹, erklärt Horst Treiblmeier, ›das sind siebzig-, achtzigjährige Menschen.‹

Rainer Gangl sieht nicht aus wie ein Hollywood-Held, mit seinem weißen, schütteren Haarkranz und den tiefen Ringen unter den Augen.

Es ist der 26. Oktober 2018. Marschmusik dringt aus den Boxen auf die Ringstraße, über die sich schnarrend Militärpanzer schieben. Während Österreich Patriotismus übt, lauscht Benjamin Veitschegger einer saudischen Scheichstochter. Er trägt eine rot gefasste Brille, einen braunen Hoodie und einen Dreitagebart. Benjamin ist mit seinen 20 Jahren eine Ausnahme in der Funkamateur-Community. Er sitzt auf einer Holzbank am Hermannskogel. Zwischen den morschen Brettern hat er seine selbstgebaute Antenne festgezurrt, eine drei Meter hohe Stange, das untere Ende ist rot-weiß-rot gestreift. Heute testet Benjamin seine Konstruktion das erste Mal. ›Oscar Eco Three Bravo Victor Bravo Portabel QRP‹, spricht er in sein Funkgerät. ›Hotel Zulu One Hotel Zulu‹, dringt in den Herbstnachmittag. Neben Benjamin beugt sich Matthias Pistrol, 26, über sein Smartphone. Er trägt ein Flanellhemd. Eine schwarze Schirmmütze verdeckt beginnende Geheimratsecken. ›H Z eins H Z‹, sagt Matt­hias mit ruhiger Stimme, und ›das ist Laila Zaidan.‹ Die Tochter von Sheik Ahmad Zaidan war die erste Funkamateurin im westlichen Teil Saudi-Arabiens. Heute nimmt sie den Funkspruch von Benjamin und Matthias nicht an. Denn gerade läuft ein Contest, bei dem Funkamateure weltweit versuchen, innerhalb von 24 Stunden möglichst viele Kontakte zu sammeln. Je exotischer das Land, desto mehr Punkte. Ein OE-Rufzeichen war der Scheichstochter offenbar zu wenig.

Die Amateurfunkprüfung hat Benjamin mit vier Kollegen an der HTL abgelegt. ›Die anderen sind nicht mehr aktiv, weil sie glauben, sie sind die einzigen Jungen‹, sagt er. Auch Matthias sah sich in seiner Ortsgruppe umgeben von Pensionisten. Durch einen Funkkontakt fand er die anderen jungen Funker im Dachverband. ›Das Problem der Funkamateure ist das vieler Vereine in Österreich. Irgendwann hat man vergessen, sich um den Nachwuchs zu kümmern‹, sagt Matthias. Erst seit fünf Jahren, schätzen die beiden, spricht der Dachverband verstärkt junge Menschen an. Benjamin und Matthias wollen andere motivieren, veranstalten Camps, nehmen an Contests teil. Als die beiden die Antenne abbauen und die Kabel aufrollen, steigt am Wanderweg ein Mann von seinem Mountainbike und starrt in ihre Richtung. ›Das passiert fast immer, wenn wir funken. Die Leute verstehen einfach nicht, was wir da machen‹, sagt Matthias. Der Bevölkerung sind die Funkamateure kein Begriff. Obwohl jeder in eine Situation kommen kann, in der er ihre Expertise braucht. Denn das Kommunikationsnetz ist anfällig für Störungen. Wenn es ausfällt, wie bei der Lawinenkata­strophe in Galtür, können Funkamateure Leben retten.

Februar 1999: Im Tiroler Paznauntal fallen innerhalb weniger Tage vier Meter Neuschnee vom Himmel. Die Zufahrtsstraße zum Ferienort Galtür ist gesperrt. Dorfbewohner und Urlauber sind eingeschlossen. Am 23. Februar um 16 Uhr verschüttet eine Staublawine über 50 Menschen. 31 sterben unter den Schneemassen. Eine halbe Stunde später geht die Katastrophenmeldung in der Bundesheerkaserne in Landeck ein. Es stürmt so stark, dass die Hubschrauber mit den Hilfsmannschaften nicht abheben können. Die Eingeschlossenen sind auf sich allein gestellt, müssen Menschen unter den Schneemassen bergen und Verletzte versorgen. Angehörige und Medienvertreter bestürmen die Landeswarnzentrale mit Anrufen. Mobilnetz und Telefonnetz fallen wegen der Überlastung aus. Am Nachmittag des 23. Februar kommt kein Helfer hinein und kein Signal hinaus. ›Ich habe den Kontakt zur Außenwelt gehalten. Das Telefonnetz war zusammengebrochen, und ich bin der einzige Amateurfunker im Paznauntal‹, erzählte der pensionierte Sprengelarzt Walter Köck, der im Jahr 2011 verstarb, der Süddeutschen Zeitung. Nach dem Unglück versorgen Köck und acht weitere Ärzte in der Sporthalle zwei Schwerverletzte und 15 Verletzte. 113 Kilometer entfernt versuchen Funker der Kurzwellengruppe des Roten Kreuzes Innsbruck, den Arzt anzufunken. Kurz vor 21 Uhr das erste Lebenszeichen: ›Lawine in das Ortszentrum abgegangen. Neue Siedlung betroffen. Hilfsstation in der Sporthalle errichtet. Derzeit acht Tote und mehrere Verletzte. Ärzte schon im Einsatz. Auch einige Hütten betroffen.‹ Die nächsten 24 Stunden folgen über hundert weitere Meldungen mit lebenswichtigen Informationen. Durch Walter Köck kann der Krisenstab in Galtür mit dem Landesrettungskommando in Innsbruck sprechen. Ohne ihn wüssten die Notärzte weder, wie viele Menschen verletzt sind, noch, ob Medikamente gebraucht werden. Kurz vor Sonnenaufgang setzen Hubschrauber des Bundesheeres in Galtür auf. Mit an Bord: Ärzte, Sanitäter und Lawinensuchhunde. Als die Sonne wieder tief steht, sind die Schwerverletzten ausgeflogen. Jahre später schreibt eine Zeitung über den ›Helden von Galtür‹. Darunter das Foto eines Hubschrauberpiloten. 

Rainer Gangl in Gmünd hat an diesem Tag hingegen nur geübt. In seinen 48 Jahren Praxis wurde er noch nie für einen Katastropheneinsatz gebraucht. Eis, Unfälle, Blackout, Frau und Ungeborenes – all das entsprang einer Software des Bundesheeres, die Katastrophenszenarien ausspielt. Nach der Einsatzbesprechung sitzt Rainer Gangl vor seinem Notfunkkoffer, daneben dampft sein erster Kaffee des Tages. Die blaue Warnweste mit dem Rufzeichen am Rücken hat er nicht ausgezogen. Gerade hat Gangl den Bericht über die letzte Funkverbindung ins Logbuch getippt. Funkamateure sind keine Helden, meint Rainer. ›Wir sind Datenträger. Und das sind wir gerne.‹ •