Ökologische Kostenwahrheit

Der Biologe Ernst Ulrich von Weizsäcker fordert eine neue Aufklärung.

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Fotografie:
Heinrich-Böll-Stiftung
DATUM Ausgabe November 2019

Eintritt in die SPD : 1966. Promotion zum Formensehen der Bienen : 1968. Ab da Führungsaufgaben an Univer­sitäten, in Forschung und Politik. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Umweltwissenschaftler, jahrelanger Co-Präsident des Club of Rome, von 1998 bis 2005 Abge­ord­neter im deutschen Bundestag, vielfacher Großvater. Er weist auf die Grenzen der Globalisierung hin, den ungebändigten Finanzmarktkapitalismus. Unermüdlich, interkontinental besucht er Gremien und Gespräche, im Oktober etwa jene Wissenschaftstagung in Oxford, bei der wir uns begegnen.

Sein Lebensthema : die globalen ökologischen Probleme angehen und dazu den passenden Wirtschaftsrahmen entwerfen. Von Weizsäcker tritt für einen politischen Maßstab ein, der künftige Generationen sowie Flora und Fauna miteinbezieht. Warum wir davon oft gehört haben und dennoch bis heute an der ­Formel für das Bruttoinlandsprodukt festhalten und keine CO2-Steuer in Sicht ist ? Von Weizsäcker führt dies darauf zurück, dass wir die Klima- und Umweltkatastrophe noch nicht als Desaster für uns selber wahrnähmen. 

Ihm zufolge bräuchte es : strategisches und philosophisches Nachdenken über die Aufgaben in der ›vollen Welt‹, die wir seit 1950 geschaffen haben. Wir bräuchten eine neue Aufklärung. Außerdem : ökologische Kostenwahrheit. Der Kommunismus sei zusammengebrochen, weil er den Preisen nicht erlaubt habe, die ökonomische Wahrheit zu sagen. ›Aber der Kapitalismus wird zusammenbrechen, wenn er den Preisen nicht erlaubt, die ökologische Wahrheit zu sagen‹, so von Weizsäcker. 

Klimapolitik weltweit statt national : ein Budgetansatz, wie ihn der wissenschaftliche Beirat ›Globale Umweltveränderungen‹ entwickelt hat. Verschiedenen Ländern würde danach je nach bereits erfolgten CO2-Emissionen ein ›Restbudget‹ zugestanden, bevor sie völlig klimaneutral werden müssen. 

Technische Effizienzrevolution : die Entkoppelung der Wirtschaftsleistung von Treibhausgasemissionen und vom Naturverbrauch. Also : CO2- und Rohstoffpreise würden laufend parallel zu Effizi­enz­gewinnen angehoben. Märkte schaffen dies nicht, es muss politisch gewollt und durchgesetzt werden. 

Was motiviert den bekennenden ›Scientist for Future‹ von Weizsäcker : ›Regierungen argumentierten lange Zeit, erst käme die Wirtschaftsentwicklung, dann der Umweltschutz. Heute sagt die Fridays-for-Future-Bewegung, Reichtum ist der größte Umweltverschmutzer. Das ist korrekt, kühn und erfreulich !‹ Bereits 1972 sorgte der Club of Rome mit dem Warnbericht ›Die Grenzen des Wachstums‹ für Aufsehen. ›Bruno Kreisky organisierte damals eine Kabinettssitzung mit dem Führungsteam des Club of Rome.‹ Heute müsse sich die Sozialdemokratie um Zukunftsaufgaben kümmern, etwa die internationale Finanzpolitik und die Zusammenarbeit mit den Regierungen Zentral- und Osteuropas in Klimafragen. 

Sein Wunsch an die EU ? ›Viel Glück beim Versuch, die Europäische Investitionsbank aufzuteilen, in einen klassischen Teil und in einen neuen Teil, der klima­freundliche Initiativen fördert.‹

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