Palästina, Israel und #BLM

Warum wir auch über komplizierte Themen reden müssen.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Juni 2021

Bisher tat ich mir eigentlich nie schwer, meine Botschaften zu vermitteln. Ich kenne die Grundlagen meiner Themen und bin dazu in der Lage, meine Meinung klar zu artikulieren. Doch beim Konflikt zwischen Israelis und Palästinenser*innen ist das anders. Die aka­demische Exklusivität, die um dieses Thema herum geschaffen wird einerseits, und das durchgängige Schwarz-Weiß-Denken in der Debatte andererseits haben mich eingeschüchtert. Wir alle erleben diesen Konflikt aus sehr unterschiedlichen Perspektiven. Meine ist jene eines jungen Aktivisten, dem An­tirassismus, Antifaschismus, Feminismus, queerpolitische Themen und der Kampf gegen Antisemitismus am Herzen liegen. Aus dieser Perspektive heraus möchte ich auf einige Dinge aufmerksam machen und aufzeigen, wie hier wichtige Initiativen gegeneinander ausgespielt werden.

Schon als Kind ging ich mit meinen Eltern auf Demonstrationen, die sich für die Rechte von Palästinenser*innen eingesetzt haben. Das führt uns schon zum ersten Punkt – dem bei solchen Demos zur Schau gestellten, untragbaren Antisemitismus. Politische Prinzipien dürfen sich nicht gegenseitig aushebeln, sondern müssen Hand in Hand gehen. Unabhängig davon, wie wichtig der Kerninhalt der Proteste ist, machen die Organisator*innen und das Klima der Demonstrationen eine Teilnahme unmöglich. Wenn es heißt, keinen Fuß breit dem Antisemitismus, dann darf diese Haltung nicht durch Entwicklungen im Nahen Osten kompromittiert werden. Aus diesem Verständnis heraus gehen heute weder meine Eltern noch ich auf diese Demonstrationen – trotz des notwendigen Aufschreis.

Ein weiterer Punkt, der mir als Black-Lives-Matter-Aktivist ins Auge sticht: Die Shoah und der Antisemitismus wurzeln in dem Irrglauben, dass es eine vorherrschende weiße Rasse gäbe, von der Jüdinnen und Juden, Schwarze Menschen, Romnija und Sinti, Indigene ­Völker etc. lebensunwerte Abweichungen darstellen. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht verwunderlich, dass sich Schwarze und Jüdische Aktivist*innen heute oft als Verbündete im Kampf gegen Unterdrückung und Rassismus verstehen, da diese einen gemeinsamen Ursprung haben – nämlich die Rassentheorie. Es braucht keine Vergleiche, um auf Missstände aufmerksam zu machen, und von Vergleichen mit der Shoah oder der Nazizeit sollte man generell absehen.

So wie mit Jüdinnen und Juden fühlen sich Schwarze Menschen historisch aber eben auch den Palästinenser*innen sehr verbunden. Daher ist es auch nicht verwunderlich, wenn weltweit immer wieder Palästina-Flaggen bei BLM-Protesten zu sehen sind. Viele bedeutsame Menschenrechtsaktivist*innen wie Malcolm X oder Angela Davis waren und sind davon überzeugt, dass die Unterdrückung von Palästinenser*innen der Gerechtigkeit und Befreiung aller im Wege steht. Deshalb ist es wichtig, sich klar und dezidiert gegen die Zwangsdelogierungen in Sheikh Jarrah auszusprechen und die Menschenrechtsverletzungen der rechten Partei Netanjahus zu kritisieren. Das führt mich zum letzten Punkt, der fehlenden Solidarität.

Konkret geht es mir um das Schweigen linker, von weißen Menschen dominierter Organisationen und Aktivist*innen. Als einen möglichen Grund sehe ich die anfangs akademische Exklusivität der Debatte. Sie ist gefährlich, weil sie einer Mobilisierung und einer fairen Auseinandersetzung im Weg steht. Wenn wir meinen, dass wir alle zu ungebildet seien, um uns mit einem Thema zu befassen, darf uns das nicht abschrecken. Es sollte vielmehr ein Auftrag sein, uns noch intensiver damit auseinanderzusetzen. •

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