Rat mal, wer im Keller sitzt
In Margareten treffen sich die rechtsextremen Wiener Identitären in einem Kellerlokal. Von links hat sich dagegen Widerstand formiert. Wie gehen die anderen Hausbewohner mit der Situation um?
Als Max* am 19. Jänner 2023 die Tür seines Wohnhauses öffnet, weil er zum Sport gehen will, bleibt er erst einmal stehen. Das Feuer einer Fackel leuchtet rot, überall Blaulicht. ›Alerta, Alerta, Antifascista!‹ tönt es durch die Ramperstorffergasse im 5. Bezirk. Dunkel gekleidete Demonstranten biegen mit bunten Regenschirmen und einem Transparent um die Ecke. Max’ Mitbewohnerin Anna* filmt das Geschehen von ihrem Schlafzimmerfenster aus. ›Wie komme ich da jetzt durch?‹ denkt Max.
Das Haus, an dem die Demo vorbeizieht und in dem Max mit seinen Mitbewohnerinnen Theresa* und Anna wohnt, sieht auf den ersten Blick aus wie ein durchschnittliches Wiener Wohnhaus. Hellgelbe Mauern, vier Stockwerke, Ornamente. Auf den zweiten Blick fällt aber auf: An der Fassade sind zahlreiche Farbspritzer und weitaus mehr Graffiti als auf den Nachbarhäusern sichtbar. ›Idis jagen‹ steht da geschrieben oder ›geschlechtslose Lauchs gegen Rassismus!‹ Ein weißes Schild mit der Aufschrift ›Achtung Videoüberwachung‹ ist angebracht. Der Grund dafür: In einem Kellerlokal im Haus von Max’ WG treffen sich die Wiener Identitären – beziehungsweise die Spin-off-Bewegung ›Die Österreicher‹. Denn seit 2019 bekannt wurde, dass der Christchurch-Attentäter an den damaligen Identitären-Chef Martin Sellner gespendet hatte, wird das Label ›Identitäre Bewegung‹ in Österreich nicht mehr so offensiv verwendet – die zentralen Personen und Inhalte unterscheiden sich aber kaum und auch der Widerstand gegen die Bewegung versteht sich nach wie vor als Anti-Identitären-Protest.
Wenn eine ›rechtsextreme Jugendorganisation mit vielfältigen faschistischen Anklängen in Theorie, Ästhetik, Rhetorik und Stil‹, wie das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) die Identitäre Bewegung Österreich beschreibt, in die Nachbarschaft zieht, dann bleibt das auf der linken Seite nicht unbemerkt. Max erzählt von brennenden Mistkübeln in der Straße, Anna von Plakaten in der Umgebung, die das Gesicht von Jakob Gunacker, Bundesleiter von ›Die Österreicher‹ sowie die Adresse des Hauses zeigen. Franz Mayer*, der ein paar Türen weiter wohnt, erzählt von Hundekot an der Hauswand, von einem lauten Knall mitten in der Nacht und Glasscherben vor dem Keller am nächsten Morgen. Und jeder spricht von der beschmierten Fassade. Außerdem berichtet Mayer davon, dass die Männer, die monatelang das Kellerlokal umbauten, Nachfragen zu ihrem Tun ›sehr frech‹ abgewehrt haben. ›Das geht Sie nix an‹, habe es da geheißen, sagt Mayer.
Die Selbstverständlichkeit, mit der die Männer den Keller renovieren und im Haus werken, kommt vielleicht daher, dass die Identitären das Lokal nicht einfach nur mieten. Denn, und das ist der springende Punkt: Das Kellerlokal ist im Besitz der Immo Rautenklause OG, einer der beiden Gesellschafter ist Ex-Identitären-Chef Sellner. Eigentümer aus dem Haus zu bekommen, das ist in Österreich nicht einfach. Und so fällt in nahezu jedem Gespräch der Satz: Lieber wäre es uns, wenn die Identitären nicht im Keller wären – aber was soll man machen?
Verkauft wurde das Kellerlokal schon 2017. Ein Bau- und Immobilienunternehmer, der laut Recherchen der Tageszeitung Der Standard zum Unterstützerkreis der Identitären zählt, verkaufte das Lokal Ende 2017 dem Verein Wiener Kulturwerk, dessen Obmann der Identitäre Philipp Huemer ist. Rund 61.500 Euro zahlte der Verein. Im November 2020 verkaufte es der Verein für 50.000 Euro weiter an die Immo Rautenklause OG. ›Aber, wenn Sie mich fragen, das ist sehr verdeckt gelaufen, dieser Kaufvertragsvorgang‹, sagt Klaus Pfoser, Geschäftsführer der RES Immobilien GmbH, die auch das Haus in der Ramperstorffergasse betreut. Etwa zwei Jahre lang sei der Voreigentümer noch im Grundbuch gewesen, ›die grundbücherliche Eintragung ist sehr viel später erfolgt als der Kaufvertragsvorgang an sich‹, sagt Pfoser.
Weder Herr Mayer noch die Bewohner der WG wissen, was die Organisation in den Räumlichkeiten genau macht. Die Gruppe für organisierten Antifaschismus spricht von einem Boxkampf, Kampfsporttrainings und Vorbereitungen für Aktionen, die hier stattfinden sollen. Anfragen an Sellner und Gunacker durch DATUM blieben unbeantwortet. Von den Kellerbewohnern bekommen Mayer und die WG im Alltag kaum etwas mit. Sichtbar werden sie nur, wenn die jungen Männer vor dem Lokal auf der Straße stehen, rauchen oder etwas trinken. Streitpunkt bleibt vor allem die Fassade, die schon zweimal auf Kosten der Eigentümer gereinigt werden musste.
Bei einer Eigentümerversammlung im Juni 2022 wurde nach einer Lösung gesucht. Diesmal waren auch Vertreter der Identitären dabei: Neben Sellner Jakob Gunacker, der bei der Versammlung als ›Ansprechperson für die Bewohner‹ vorgestellt wurde, erinnert sich Anna. Zu den Vorschlägen der Identitären, wie man am besten mit der Situation im Haus umgehen sollte, zählte, eine Farbe an der Fassade anzubringen, die man nicht besprühen kann. Und eine WhatsApp-Gruppe für das Haus zu erstellen, ›für Fragen oder Probleme. Und die anderen Bewohner haben sich eigentlich auch alle nicht so wohl damit gefühlt, da haben wir gesagt, das wollen wir nicht‹, sagt Anna. Die WG mietet zwar die Wohnung, gemeinsam mit der Eigentümerin war Anna trotzdem bei der Versammlung dabei. Die Graffiti an der Fassade seien für die Bewohner eigentlich das geringste Übel – lieber eine beschmierte Fassade als andere Aktionen, lautete der Tenor bei der Versammlung.
Eine Handhabe, um die Identitären aus dem Haus hinauszubekommen, gibt es laut Immobilienverwalter Pfoser jedenfalls derzeit nicht: ›Normalerweise, wenn ein Eigentümer ein unleidliches Verhalten gegenüber den anderen Miteigentümern setzt, dann kann er nach Wohnungseigentumsgesetz durch einen Beschluss der anderen Eigentümer aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und sein Objekt versteigert werden, und dann kriegt er halt das Geld anstatt seines Sachwertes‹, erklärt Pfoser. In diesem Fall gehe das aber nicht: Solange die Identitären nicht verboten seien oder ein anderes negatives Verhalten gegenüber den dort Wohnenden setzen würden, so lange könne die Verwaltung dort auch nichts tun.
Soll man die Situation also einfach aussitzen? Walter Hämmerle, Ressortleiter Innenpolitik bei der Kleinen Zeitung und zufällig ebenfalls Wohnungseigentümer im Haus, findet, ›dass ein liberaler Rechtsstaat es aushalten muss, wenn nicht verbotene Gruppierungen ein Kellerlokal besitzen beziehungsweise sich dort treffen und andere dagegen demonstrieren‹. Und er ergänzt: ›In dem Fall der Ramperstorffergasse kommen aber unbeteiligte Dritte zum Handkuss, ab hier wird es kompliziert. Ich verstehe, dass gegen die Rechtsextremen demonstriert wird, wenn es dabei aber ständig zu Sachbeschädigungen durch die autonome Linke kommt, werden die Rechte und das Eigentum von anderen Menschen verletzt. Das ist dann rechtsstaatlich schwer zu tolerieren.‹
Und was, fragt sich Franz Mayer, wenn die Gruppe im Keller eine Gefahr für die Bewohner bedeutet? Mayer berichtet von mehreren Abenden, an denen er einen lauten Knall hörte: ›So ein Lärm, die ganzen Leute sind aufgewacht. Wie eine Explosion. Alle haben beim Fenster rausgeschaut.‹ Vor dem Keller habe etwas gebrannt, erzählt Mayers Freund. Die Polizei sei noch ein paar Stunden vis-à-vis gestanden. Auch, als die Identitären im April eine Demonstration gegen eine Drag-Queen-Lesung in der Linken Wienzeile veranstalten und eine Gegendemonstration dagegenhält, steht ein Polizist vor dem Haus, erinnert sich Max. Bei angemeldeten Versammlungen, bei denen man ›Störaktionen oder gar strafbare Handlungen‹ nicht ausschließen könne, gebe es seitens der Polizei einen ›temporären Objektschutz‹, um zum Beispiel Sachbeschädigungen oder andere Delikte zu verhindern, teilt die Pressestelle der Landespolizeidirektion Wien mit. Das zuständige Stadtpolizeikommando verzeichnet an der Adresse aber keine ›signifikant hohe Einsatzdichte‹.
Das Unbehagen bleibt, und damit sind die Bewohner der Ramperstorffergasse nicht allein: Im 2. Bezirk kauften Anfang der 2000er-Jahre Gottfried Küssel, Schlüsselfigur der Neonaziszene, und Felix Budin, einer von Küssels Weggefährten, Wohnungen in einem Wohnhaus in der Unteren Donaustraße. Ausgerechnet in einem jüdischen Grätzel, noch dazu in einem Haus, in dem sich während des 2. Weltkriegs sogenannte ›Sammelwohnungen‹ befanden, in die Juden zwangsumgesiedelt wurden, wie das Projekt ›Memento Wien‹ belegte. 2011 fanden an der Adresse Razzien statt, die Ermittler beschlagnahmten Unterlagen, Waffen und NS-Devotionalien. Küssel wurde festgenommen und später wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung zu einer Haftstrafe verurteilt. 2019 kam er frei. Die Wohnungen in der Unteren Donaustraße besitzt er noch immer. Was heute dort passiert, ist unklar.
Was aber klar ist: Nicht jeder will Küssel im Haus haben. Mitte Oktober findet zum zweiten Mal eine antifaschistische Kundgebung gegen die Rechtsextremen im 2. Bezirk statt. Im Jahr 2021 hatte eine antifaschistische Gruppe zudem ein Flugblatt rund um das Wohnhaus verteilt, auf dem über Küssels Wohnungsbesitz informiert wurde. Hausbewohner hätten sich nach der Flugblattaktion nicht gemeldet, heißt es von der Gruppe für organisierten Antifaschismus. Auch hier scheint es, als wären die Bewohner nur Beobachter der Vorgänge.
Doch nicht nur in der Stadt sind Orte, an denen sich Rechtsradikale treffen, ein Thema. 2019 machte ein identitäres Hausprojekt in Eichkögl in der Steiermark Schlagzeilen, das den Rechtsextremen für eine symbolische Miete von einem Euro zur Verfügung gestellt wurde, 2021 öffnete der Kulturverein ›Castell Aurora‹ aus dem Identitären-Umfeld seine Pforten in Steyregg in Oberösterreich. An beiden Standorten beobachtete das DÖW ›Verbrüderungsversuche‹: Die Identitären hätten sich ›bemüht gezeigt, die jeweilige Dorfgemeinschaft zu umwerben, um ihr Image aufzubessern und zum Teil dieser Dorfgemeinschaft zu werden‹, sagt Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes. Willkommen sind die Hausprojekte vielen auch dort nicht, wie Bürgerinitiativen und Stimmen aus der Politik zeigen.
Wie aber geht man als Gesellschaft mit Gruppierungen wie den Identitären um, die rechtsextrem, aber nicht verboten sind? ›Sowas wie ein gesetzliches Veräußerungsverbot oder sagen wir ein Grunderwerbs- oder Eigentumserwerbsverbot für eine legale Gruppierung wird man natürlich nicht machen können‹, sagt Weidinger vom DÖW. Und selbst, wenn die Gruppierung verboten wäre, sei es schwer, Umgehungskonstruktionen auszuschließen.
Im Juni 2023, etwa ein Jahr nach der Hausversammlung in der Ramperstorffergasse, steht die Autorin und Cartoonistin Stefanie Sargnagel im Einsiedlerpark im 5. Bezirk. Neben ihr: Martin Sellner und FPÖ-Chef Herbert Kickl, die sie als Cartoonfiguren auf Karton gemalt hat. ›Impf den Martin‹ steht über dem einen Cartoon, das Sellner mit blankem Hintern und nassem Fleck im Schritt zeigt, ›Fütter den Herbert‹ über jenem von Kickl. Ein Passant versucht, den Sellner-Cartoon mit Dartpfeilen der improvisierten Wurfbude zu ›impfen‹. Der erste Pfeil sitzt. ›Auffrischen, auffrischen!‹ heißt es, bevor er zum nächsten Wurf ansetzt. Hinter der Wurfbude findet gerade ein antifaschistisches Fußballturnier im Käfig statt, elektronische Musik dröhnt durch den Park, es riecht nach frischen Waffeln. ›Margareten ist ein lebendiger Bezirk und bietet Platz für vielfältige soziale und politische Initiativen. Eigentlich ein schöner Ort zum Leben, wenn da nicht der Schandfleck in der Ramperstorffer Gasse wäre‹ steht auf einem Aushang, der zum Grätzelfest in Margareten einlädt. Mit dabei sind unter anderem die Autonomen Frauenhäuser, StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt und auch ›Margareten gegen Rechts‹.
Letztere Initiative ist 2020 spontan aus der Nachbarschaft heraus entstanden, als bekannt wurde, dass die Identitären in den Keller in der Ramperstorffergasse ziehen, erzählt Jan, der in einem Krankenhaus arbeitet und von Anfang an bei ›Margareten gegen Rechts‹ dabei ist. Neben Infoarbeit bei Veranstaltungen wie dem Grätzelfest oder einer Buchpräsentation macht sie auch Plakat-Aktionen, Wurfsendungen oder überklebt Sticker mit rechten Inhalten. Ihnen sei wichtig, dass man der faschistischen Gruppe ›auch auf dieser kleinen Ebene entgegentritt und dem einfach keinen Platz gibt‹.
Doch wie viel Reibung ist gut, wenn man selbst im Haus wohnt? Bei ihren Aktionen und Wurfsendungen betont ›Margareten gegen Rechts‹, dass es um einen Keller in einem Wohnhaus gehe und dass es zwischen Bewohnern und Rechtsextremen keine Verbindung gäbe. ›Und was man nicht vergessen darf, ist, dass die Rechtsextremen, behaupte ich mal, jetzt vielleicht nicht akut, aber mittelfristig auch für die Bewohnerinnen oder für viele eine Bedrohung darstellen‹, sagt Jan. Es habe schon Berichte von Leuten gegeben, die vor dem Keller von Rechtsextremen angepöbelt wurden, weil sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Hautfarbe nicht ins Weltbild der Identitären passen würden.
Herr Mayer macht sich dennoch Sorgen, seit es Gegenwind von links gibt. Es geht ihm dabei nicht nur um die beschmierte Fassade: ›Wer weiß, was diesen Gegnern einmal einfällt, wenn das keine Wirkung zeigt.‹ Die WG von Max, Theresa und Anna sieht in dem Widerstand dagegen wenig Bedrohung: ›Irgendwie finde ich es auch gut, dass auch ein Gegenpol da ist in der Stadt‹, sagt Anna.
Die Stadtverwaltung will Konfrontation offenbar vermeiden: Der Bezirk wollte mit einem Regenbogen-Zebrastreifen ein Symbol für Diversität und Toleranz setzen – wie es auch vor dem ›Castell Aurora‹ in Steyregg der Fall ist. Gescheitert ist das Projekt schließlich am Magistrat: Eine Prüfung der MA46 habe laut dem Newsletter der Wochenzeitung Falter ergeben, dass vor dem Kellerlokal kein zusätzlicher Zebrastreifen notwendig sei. Der Folgeantrag, dass der bestehende Zebrastreifen bunt gestaltet wird, wurde ebenfalls abgelehnt, denn es handle sich um keinen ampelgeregelten Schutzweg, berichtet die Bezirkszeitung. Margareten ist zwar tolerant, aber nicht toleranter als die Straßenverkehrsordnung. •
*Name auf Wunsch der Betroffenen geändert