›Schluss mit mir!‹
Was waren Ihre größten Erfolge, Ihre größten Fehler? Wie gehen Sie mit dem Hass um? Und ist Michael Ludwig der richtige Bürgermeister für Wien? Ein vorgezogenes Abschiedsgespräch mit Wiens Grüner Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou.
Was waren Ihre größten Erfolge, Ihre größten Fehler? Wie gehen Sie mit dem Hass um? Und ist Michael Ludwig der richtige Bürgermeister für Wien? Ein vorgezogenes Abschiedsgespräch mit Wiens Grüner Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou.
Frau Vassilakou, stellen wir uns vor, Sie fahren auf Urlaub. Sagen wir Thailand. Dort lernen Sie eine Frau kennen, nett, gebildet, interessiert. Sie kommen ins Gespräch. Irgendwann fragt die Frau: Wien, wie ist Wien eigentlich? Was antworten Sie ihr?
Wien ist eine Stadt, die sich sehr stark geändert hat in den letzten dreißig Jahren. Seinerzeit als ich nach Wien kam, was das eine Stadt voller älterer Menschen, die Lodenmäntel trugen und Hüte mit Federn, und wenn man sie berührt hat mit seinem Rucksack, sind sie unglaublich wütend geworden. Diese Stadt gibt es nicht mehr. Wien ist heute eine junge Stadt, in der jetzt jeder Dritte unter dreißig ist, Wien ist eine Stadt, in der man praktisch die ganze Nacht durchmachen kann, eine Stadt, die weltoffen und modern ist. Als ich damals hier angekommen bin, war Wien grau in grau und überall hingen so bestickte Vorhänge aus Ungarn. Es ist eine andere Stadt gewesen, eine völlig andere! Heute gehört Wien meiner Meinung nach zu den aufregendsten Städten in Europa. Und was das Wichtigste ist: Es ist eine Stadt, in der man sich das gute Leben leisten kann. All das macht Wien einzigartig in Europa. Ungefähr das würde ich der Frau in Thailand erzählen.
Und während Sie ihr das erzählen, hat die Frau am Handy herumgegoogelt und etwas gelernt: dass Sie, Frau Vassilakou, eine mächtige, eine erfolgreiche Politikerin sind. Und zudem die meistgehasste Frau in dieser Stadt. Wie erklären Sie ihr das?
Ich würde ihr sagen, dass ich in den vergangenen acht Jahren nicht immer nur artig gegrüßt habe, sondern doch einiges verändert und weitergebracht habe. Und dass meine Entscheidungen Auswirkungen auf das alltägliche Leben sehr, sehr vieler Menschen haben. Und dass daher wahrscheinlich eine Gruppe von Menschen, die diese Auswirkungen für sich selbst als nicht allzu großartig bewertet, wohl einen Zorn auf mich hat. Ich würde ihr darüber hinaus sagen, dass Menschen, die die Möglichkeit haben etwas zu verändern und zu bewegen, eben damit umgehen können müssen. Ich würde ihr sagen, dass ich darüber hinaus vermute, dass nach einer bestimmten Zeit, wo jemand in der Politik gewesen ist – in meinem Fall ist das dann in Summe schon ziemlich lang – man ihn einfach nicht mehr sehen kann. Menschen in der Politik fallen in unser Wohnzimmer ein, jeden Abend, ob wir wollen oder nicht. Wir schalten den Fernseher ein und sie sind da. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich kann meine eigene Stimme nicht mehr hören. Ich weiß, ich habe einen Akzent, und manchmal, wenn ich es höre, nervt es mich. Also kann ich mir vorstellen, wie es jemanden nervt, der mir jetzt nicht a priori wohlgesonnen ist und sich das seit einer halben Ewigkeit anhören muss. Und dann zum Schluss würde ich ihr sagen, dass ich darüber hinaus glaube, dass Frauen, die auch tatsächlich Entscheidungen treffen und – nennen wir die Dinge beim Namen – daher auch eine gewisse Macht haben und die auch ausüben, in der Regel nicht besonders geliebt werden.
Sie sagen, man muss mit dem Hass umgehen können. Wie gehen Sie damit um?
Vorneweg: Ich weiß nicht, ob die Art und Weise wie ich umgehe damit, nützlich sein kann für jemand anders. Irgendwann einmal habe ich mir die Frage gestellt: Bin ich das? Bin ich Maria Vassilakou? Bin ich eigentlich nicht. Es gibt eine öffentliche Figur, und es gibt mich. Und ich glaube, dass es zentral ist, zwischen sich selbst und der öffentlichen Figur unterscheiden zu können. Natürlich habe ich einen Anteil daran, wie diese öffentliche Figur dasteht und ein Teil der Inhalte, die da drinstecken, haben schon etwas mit mir und meinem Handeln zu tun. Der Rest ist eine Projektionsfläche, in die man alles Mögliche hinein interpretieren kann, was man sich einbildet oder was der Nachbar gesagt hat. Das bin aber nicht ich. Es gibt eine Maria Vassilakou, die sich in der Früh im Spiegel anschaut und abends beim Zähne putzen wieder, und dazwischen, tagsüber, ist es eigentlich eine andere Person. Und in den sehr wenigen Minuten oder Sekundenbruchteilen in meinem politischen Leben, wo ich diese Distanz verlor, war der Schmerz so groß, dass ich nie mehr versucht war, das wieder zuzulassen. In meinem Fall war es auch immer hilfreich, dass ich eigentlich privat einen anderen Namen habe. Man nennt mich nicht Maria, privat nennt man mich Mary. Und das war immer sehr, sehr wichtig, das zu unterscheiden. Ich merke wie es mich reißt, wenn jemand in einem politischen Kontext Mary zu mir sagt. Das ist wie wenn jemand die Hand rausstreckt und einen plötzlich anfasst. Und dann gibt es natürlich noch eine zweite Methode. Die ist sehr zwiespältig, nämlich dass man das alles einfach nicht liest. Nur das Problem dabei ist, dass man dann Gefahr läuft abzuheben und sich in eine geschützte Blase hinein zu begeben, und das kann à la longue nicht gut gehen.
In wenigen Monaten wird der Abschiedsinterviewreigen beginnen. Dann kommen die großen Fragen nach Ihrem größten politischen Erfolg, Ihrem größten politischen Fehler? Ich darf sie Ihnen schon jetzt stellen.
Fangen wir mit dem Fehler an, da tu ich mir leichter. Mein größter politischer Fehler war als ich 2015 im Wahlkampf gesagt habe, wenn wir nicht an Stimmen zulegen, wird es Zeit für den Generationenwechsel. Das war ein Fehler, eindeutig. Ich neige dazu, manchmal mein Herz auf der Zunge zu tragen, und dann macht es ›Blupp!‹ und es ist draußen. Und ist es einmal draußen, kannst es nicht mehr hereinholen. Das war so ein Moment. Und wenn du dich dann am Wahlabend wiederfindest, und du weißt ganz genau, es ist aber zentral, dass ich jetzt weitermache, damit die Regierungsarbeit fortgesetzt werden kann, dann bleibt dir nichts übrig als dich bei allen zu entschuldigen, die Klappe zu halten und weiterzumachen. Die Moral aus dieser tragischen, nein, tragikomischen Geschichte ist, dass du nie den Mund vollnehmen darfst mit Ankündigungen, weil du nämlich nie, nie, nie wissen kannst, wie es kommen wird.
Und Ihr größter Erfolg?
Ich werde jetzt nicht sagen, dass die Begegnungszone Mariahilferstraße mein größter Erfolg war. Aber auf einer abstrakteren Ebene war es etwas Besonderes, weil dadurch Verkehrsberuhigungsprojekte in der ganzen Stadt weitestgehend ohne Diskussion möglich wurden. Wahrscheinlich ist mein größter Erfolg die Novelle der Bauordnung, die wir gerade beschlossen haben im Wiener Landtag: Nun darf kein Haus mehr in Wien, das vor 1945 errichtet wurde, abgerissen werden, ohne dass die Stadt darüber befindet, ob es erhaltungswürdig ist oder nicht. Das ist endlich wirksamer Schutz für Gründerzeithäuser. Die Novelle ist von der breiten Öffentlichkeit weitestgehend unbeachtet geblieben, aber das ist sehr oft so. Die Auswirkungen dieser Novelle auf den Erhalt der gründerzeitlichen Bausubstanz werden bleiben.
Wovor ich warnen möchte, ist ein Dauerlamento.
Der Wettbewerb um Ihre Nachfolge bei den Wiener Grünen ist in vollem Gange. Am 8. November startet die Abstimmung. Werfen Sie Ihr politisches Gewicht in die Waagschale?
Wenn du die Nummer 1 bist in einer Partei, und zwar unabhängig davon, wie sich diese Partei organisiert und wie viel Macht du tatsächlich hast, wirst du in gewisser Weise zu dieser Partei. Du musst es ja auch sein. Denn du sprichst ja nachher auch in der Öffentlichkeit nicht mehr für dich, sondern du sprichst für soundso viel tausend Menschen. Und wenn du so viele Jahre lang mit dieser Verantwortung verbracht hast, dann ist es undenkbar, dass du dich danach zurücklehnst und sagst: Na macht’s es bitte untereinander aus, Kinder!
Dann sagen Sie mir bitte, denn ich kenne ihn nicht persönlich und habe sein politisches Werken bisher nicht wahrgenommen: Warum ist Peter Kraus Ihrer Meinung nach der Richtige?
Nice try! Ich werde jetzt nicht in diese Falle hineintappen. Ich finde, es wäre unfair von mir, öffentlich eine Wahlempfehlung abzugeben. Und natürlich ist jede Äußerung von mir als Wahlempfehlung aufzufassen. Das wäre nicht fair. Und nein, es fällt mir nicht leicht, das nicht zu tun.
Frau Vassilakou, Sie haben acht Jahre lang mit Michael Ludwig in einer Stadtregierung zusammengearbeitet. Ist er der richtige Mann für das Wien der 20er Jahre?
Das hat jetzt in mir was ausgelöst! Weil beim Wien der 20er Jahre dachte ich sofort an…
…die 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts.
Genau!
Und Sie wollten sofort mit ja antworten!
Ja! Weil er als Wohnbaustadtrat und auch als Historiker wirklich jemand ist …
… der ins Rote Wien gepasst hätte.
Wir beide lachen jetzt darüber, aber ich glaube, dass vielen in der Stadt nicht bewusst ist, dass das, was wir heute sind, zurückgeht auf die Entscheidung unserer Stadtväter aus den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts, den Gemeindebau zu erschaffen.
Und ist Herr Ludwig auch der richtige Bürgermeister für das Wien der kommenden Jahre?
Also was sozialen Wohnbau betrifft: ja, auf alle Fälle. Darüber hinaus ist es natürlich etwas früh und schwierig, weil es unschön ist, wenn ich da jetzt sitze und meinen Kollegen kritisiere oder gute Ratschläge für ihn habe. Weil wenn ich so toll bin, warum bin ich nicht Bürgermeisterin, oder? Aber Sie hören wohl heraus, dass ich in bestimmten Bereichen meine Zweifel habe, ob er richtig liegt.
In welchen Bereichen?
Ich habe Zweifel, ob der neuen Linie, die die Stadt in Richtung Law and Order einschlägt.
Ist es ausgemachte Sache, dass der Bürgermeister nach der nächsten Wahl von der Sozialdemokratie gestellt wird?
Ich hoffe es und will bitte davon ausgehen. Alles andere lässt mir die Grausbirnen aufsteigen.
Frau Vassilakou, Sie haben maßgeblichen Anteil daran, die Grünen ins 21. Jahrhundert geführt zu haben. Die stehen nun, zumindest bundespolitisch, vor dem Nichts. Was macht das mit Ihnen?
Wovor ich warnen möchte, ist ein Dauerlamento. Wer dafür anfällig ist, soll sich einfach eine Auszeit nehmen und diejenigen arbeiten lassen, die voller Lust sind und voller Optimismus und die sagen: Na gut, dann stellen wir uns neu auf. Von Zeit zu Zeit hat jede Bewegung ihre Aufs und Abs, und spätestens da, wenn du ganz unten bist, musst du erkennen, dass sich jetzt etwas verändern muss. Meine Generation hat viel dazu beigetragen, dass das grüne Projekt erfolgreich war. Aber wir haben eine bestimmte Art und Weise die Dinge anzugehen. Jetzt ist es Zeit für neue Arbeitsweisen, für neue Visionen, für neue Köpfe. Das ist auch der Grund, warum ich gesagt habe: Schluss mit mir!
Sie werden die Politik im Frühsommer verlassen. Was wollen Sie in dieser Zeit noch unbedingt durchbringen?
Manches darf ich nicht erzählen, denn wenn ich es erzähle, kriege ich es nicht durch. Auf alle Fälle müssen wir schauen, dass wir für 20.000 Wohnungen die Widmungen auf Schiene bringen, dass wir sichergehen können, dass es sie bis 2020 gibt. Dann geht es natürlich darum, die Rotenturmstraße in eine Begegnungszone umzuwandeln, es geht auch darum Bezirksvorsteher Figl dafür zu gewinnen, dass wir auch noch einen ersten Teil des Schwedenplatzes umgestalten können. Wir werden den Reumannplatz neu gestalten, wir werden die Argentinierstraße neu gestalten. Unbedingt will ich auch noch, dass der Busbahnhof in diesem Jahr entschieden und in die Wege geleitet wird.
Wie wollen Sie Ihre Rolle als Altpolitikerin anlegen?
So, jetzt reizt es mich zu sagen: Wer sagt denn, dass ich eine Altpolitikerin werde?
Sie sagen mir aber nicht gerade, dass Sie bei der EU-Wahl als grüne Spitzenkandidatin antreten werden?
Nein, Gott bewahre! Ich habe noch keinen fixen Plan, was ich tun werde ab Juli. Was ich nur ganz sicher weiß, ist dass ich sicher nicht aufhören werde, mich politisch zu engagieren. Man wird mich womöglich in irgendeinem Verein wiederfinden. Ich will auch nicht ausschließen, dass ich irgendwann beginne zu stirdeln und vielleicht auch – wer weiß! – mich wiederfinde innerhalb einer größeren Bewegung, mit dem Ziel, in der Stadt Dinge zu bewegen. Was ich nicht tun werde, ist wie ein Balkon-Muppet von der Galerie den Kolleginnen und Kollegen zu sagen, was sie alles falsch machen und was wir früher alles besser gemacht haben. Ich finde das ist daneben, und im Übrigen: Kein Mensch hört hin.
Es gibt einige Menschen in Wien, viele sind es nicht, bei denen weiß man schon während sie noch leben, das nach ihrem Ableben eine Gasse, ein Platzerl, eine Straße nach ihnen benannt werden wird. Bei Ihnen ist das so, Frau Vassilakou. Welche Straße, welches Platzerl in Wien würden Sie sich aussuchen?
Brrrrr! Da bin ich ja schon tot!
Ja, zu Lebzeiten darf das nicht sein. Und weil man Sie dann nicht fragen wird können, frage ich jetzt.
Nein, ehrlich, die Frage hat mich jetzt echt, echt, echt überfordert.