Sie haben nichts gegen Homos, aber …

Martin ist schwul, ich bin lesbisch. 2019 kommt die Ehe für alle. Und die Diskriminierung im Alltag geht weiter.

DATUM Ausgabe Dezember 2018 / Jänner 2019

Es gibt da dieses Missverständnis, das auftritt, wenn Martin und ich für eine Reportage unterwegs sind: Wir werden für ein Paar gehalten. Nicht, weil wir uns einander gegenüber besonders zärtlich verhalten würden. Nein, einfach nur, weil wir ein Mann und eine Frau sind. Und wenn sich ein Mann und eine Frau ein Bett teilen, dann läuft da was, oder?

Letztens passierte es wieder. Wir saßen in einem Kärntner Wirtshaus. Ganz weit hinten im Tal, wo der Handy­empfang schlecht ist und die Luft in den Gaststuben so verraucht, dass man sie schneiden kann. Alles hier hat seinen Platz und seine Ordnung, so scheint es. Die Kirche thront über dem Dorf wie ein erhobener Zeigefinger. Das Kruzifix hängt im Eck, das Hirschgeweih an der Wand. Am Tisch sitzen Vater, Mutter, Kind. Wenn die Leute ›voll schwul‹ sagen, dann meinen sie eigentlich ›voll scheiße‹. Das lernt man schon im Schulbus und legt es später als Erwachsener nicht ab. Dass das Schwule kränken könnte? Egal. Denn die gibt es hier nicht.

Einer der betrunkenen Kneipenbesucher fragt Martin, ob er mich heute noch abschleppen werde? Das war der Moment, in dem Martin hätte sagen können: ›Nein, denn ich bin schwul und sie ist lesbisch.‹ Stattdessen warf er mir einen entschuldigenden Blick zu. Ich kenne diesen Blick. Wir setzen ihn auf, wenn wir keine Lust haben, uns zu outen, weil es eine quälende Angelegenheit ist. Und weil wir nie wissen, was danach passiert. Martin und ich nennen das: den ›Andrej-Effekt‹.

Andrej war unser muskelbepackter russischer Übersetzer, mit dem wir vor zwei Jahren durch Transnistrien reisten – ein Möchtegern-Staat, der in der Sowjetunion stecken­geblieben ist. Andrej erklärte uns stolz, dass es hier im Gegensatz zum Westen keine Homosexuellen gäbe. Nicht wissend, dass er seit Tagen mit zwei von ihnen unterwegs war, lud er uns am Abend zum Essen ein. Als ich ihm erzählte, dass ich eine Freundin habe und Martin einen Freund, ver­zog sich Andrejs Miene. Dann lachte er: ›Solche Leute habe ich noch nie kennengelernt.‹ Die nächsten Tage löcherte uns Andrej mit Fragen. Wie lange seid ihr es schon? Auf welche Männer / Frauen steht ihr? Und wer ist denn der Mann und wer die Frau in eurer Beziehung? Wie macht ihr es denn? Es sind Fragen, die Schwule und Lesben ihr Leben lang hören. Und das von Leuten, die sie gerade erst kennen gelernt haben. Es sind intime Fragen. Es sind unangenehme Fragen. Und sie nerven. Unseren heterosexuellen Freunden stellt man solche Fragen nicht. Es scheint, als ob es uns gegen­über keine Hemmschwelle gäbe. Wann ist endlich Schluss damit?

Für viele Schwule und Lesben ist das Outing so etwas wie eine zweite Geburt. Danach, so die Hoffnung, wird alles ein­facher. Ich war 18 Jahre alt, als ich es meiner Mutter sagte. Wir gingen spazieren. Durch den Wald, in dem wir früher den Christbaum holten. Am See vorbei, an dem ich als Kind Kopf­sprünge geübt hatte. Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, dann denke ich an unendliche Sommerferien. An Bandenkriege und Schürfwunden. An eine Welt, in der Mädchen zum Basketball gingen und genauso mit Modellfliegern spielen durften wie Jungs. Aber dann, wenn sie in die Pu­bertät kommen, zieht niemand in Betracht, dass sie sich in Frauen verlieben könn­ten. Nicht einmal die eigenen Eltern, die einem als Kind alle Freiheit gegeben haben.

Als meine Mutter und ich spazieren gingen, stand ich kurz vor der Matura. Meine Mutter stand kurz vor der Scheidung. Ich dachte damals, das sei ein guter Zeitpunkt, um auch meine Beichte abzulegen. Es ist die verdrehte Logik, die schwule und lesbische Teenager haben – das Gefühl, sich für etwas entschuldigen zu müssen.

›Ist das vielleicht nur eine Phase?‹ fragte meine Mutter.

›Nein, Mama.‹

›Dann ist das auch in Ordnung so.‹

Was ich damals nicht wusste: Ein Outing ist keine Einbahnstraße in eine bessere Welt. Es wiederholt sich in einer Endlosschleife. Deshalb, weil die Menschen um dich herum automatisch davon ausgehen, du seist heterosexuell. Und so durchläuft man im Laufe seines Lebens unzählige Outings. Es beginnt im engsten Freundeskreis und innerhalb der Familie, geht weiter in der Schule, in der Lehre, an der Uni, am Arbeitsplatz und endet vermutlich im Altenheim.

Blickt man zwei Generationen zurück, dann wirkt all das kleinlich. Als mein Großvater 1940 ein junger Mann war, wurden Homosexuelle von den Nationalsozialisten in Konzentrationslager gesteckt. In der Nachkriegszeit wurden sie mit Elektroschocks und Hormontherapien behandelt. Als meine Mutter 1960 geboren wurde, ging man in Österreich noch wegen ›gleichgeschlechtlicher Unzucht‹ ins Gefängnis. Als sich meine Eltern im Studentenheim kennenlernten, waren Regenbogenparaden verboten. Seit 1990 ist Homosexualität nicht mehr als psychische Krankheit klassifiziert. In den Jahren darauf wurden Martin und ich geboren – er 1992, ich 1994.

Mir fällt keine andere gesellschaftliche Gruppe ein, die sich in so kurzer Zeit so fundamentale Rechte erkämpft hat wie Homosexuelle. Ab nächstem Monat dürfen wir auch heiraten. Weltweit ist Österreich das 26. Land, das die Ehe für alle einführt. Und damit ist oft ein Irrglaube verbunden – dass wir den Heterosexuellen nun vollends gleichgestellt sind.

In 72 Ländern der Welt ist Homosexualität immer noch strafbar – darunter beliebte Reiseziele wie Ägypten, Marokko, Sri Lanka und Singapur. In acht UNO-Mitgliedsstaaten steht sogar die Todesstrafe auf Homosexualität, darunter Iran und Saudi-Arabien. In Teilen Russlands müssen Schwule und Lesben Geldstrafen bezahlen, wenn sie sich auf der Straße küssen.

All das ist in Österreich Vergangenheit. In der Regel muss man heute keine Angst mehr haben, wenn man als Paar die Wohnung verlässt. Unangenehm ist es aber immer noch, weil die Leute starren oder tuscheln. Ständig muss man damit rechnen, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Auch an Orten, die als liberal und weltoffen gelten. Jedes Jahr am 17. Mai – am internationalen Tag gegen Homopho­bie – flattert eine Regenbogenflagge am Eingang unserer Universität. Im Inneren kann man Gender-Studies inskribieren oder Seminare über ›Homosexualität im Film‹ besuchen. Die Uni, so dachten wir, ist ein Ort, an dem man sein kann, wer man will. Bis zu dem Tag, als sich zwei Frauen in der Empfangshalle küssten und vom Security-Personal mit den Worten ›Wir wollen das nicht sehen‹ ermahnt wurden. In der Cafeteria sehe ich ständig heterosexuelle Paare, die sich küssen, umarmen oder auf den Schoß nehmen.

Das ist die offensichtliche Homophobie, die mittlerweile für einen Großteil der Menschen indiskutabel ist. Es gibt aber auch eine Homophobie, von der die wenigsten etwas mitbekommen. Martin und ich nennen sie: stille Homophobie. Sie wird oft kleingeredet.

Stille Homophobie ist, wenn ich als lesbische Frau nicht ernst genommen werde. Oder noch schlimmer – sexualisiert. Lesben sind eine Männerphantasie. Die Vorstellung, nicht nur mit einer Frau, sondern mit zweien ins Bett zu gehen, ist so etwas wie die ultimative Potenzsteigerung. Deswegen produziert die Pornoindustrie lesbische Pornos, die für Männer gemacht sind. Und deswegen glauben manche Männer, auch im realen Leben Anrecht auf solche Bilder zu haben. Einmal, als ich eine Frau in einem Club küsste, kam ein Mann zu uns herüber und fragte: ›Kann ich jetzt mit euch nach Hause?‹  Natürlich sind nicht alle Männer so indiskret. Aber viele nehmen es persönlich, wenn ich ihnen sage, dass ich mit einer Frau zusammen bin. Sie fragen dann Dinge wie: ›Hast du vielleicht nicht den Richtigen getroffen?‹ Oder sie machen ein trauriges Gesicht. Als wäre ich absichtlich lesbisch, um die Männerwelt zu kränken.

Homophobie gegenüber Schwulen funktioniert anders als Homophobie gegenüber Lesben. So anziehend, wie lesbische Liebe wirkt, so tabuisiert ist schwuler Sex. Zu einem Filmabend in Martins Wohngemeinschaft kam eine Freundin vorbei. Sie schauten sich ›Call Me by Your Name‹ an – ein Liebesdrama in der Toskana. Als zwei nackte, männliche Körper zu sehen waren, die sich berührten, sagte die Freundin: ›Das ist mir zu viel.‹ Eine Sexszene, die nicht annähernd so explizit ist wie die meisten Mann-Frau-Liebesszenen, wird plötzlich zum Tabu und ein Film ab zwölf Jahren zu extrem für eine Vierzigjährige. Hier wird ein doppelter Standard angesetzt. Heterosexuelle Männer argumentieren oft so: ›Ich bin ja nicht homophob, aber was die Schwulen machen, will ich nicht sehen!‹ Dafür gibt es eine psychoanalytische Erklärung. Der Ekel vor schwulem Sex kommt daher, dass Männer ihre homosexuellen Phantasien abwehren und auf andere projizieren. Sie kämpfen gegen ihre eigenen Ängste an. Die Angst, selbst schwul zu sein. Die Angst, dass das heteronormative System, das aus strammer Männlichkeit und zarter Weiblichkeit besteht, ins Wanken gerät.

Dass es heute authentische Filme wie ›Call Me by Your Name‹ gibt, ist ein Meilenstein. Die Zeit, in der wir angemessen berücksichtigt werden, hat gerade erst begonnen. Dank Netflix, YouTube und Twitter werden wir sichtbarer – auch im Mainstream. Durch Dating-Apps fällt es uns leichter, Partner kennenzulernen. Heute kann ich der kanadischen Schauspielerin Ellen Page auf Instagram folgen, die dort Verlobungs-Selfies mit ihrer Frau postet. Martin kann sich seine Lieblingsserie von Ryan Murphy ansehen, in der schwule Männer Kinder bekommen und heiraten. Österreichs beliebter Kinderbuchautor Thomas Brezina spricht öffentlich über seinen Ehemann.

Früher haben wir beim Tom-Turbo-Gewinnspiel angerufen, ohne zu wissen, dass Brezina Männer liebt. Wir haben den Film ›Juno‹ gesehen, ohne zu erahnen, dass sich die Schauspielerin Jahre später outen wird. All diese Menschen waren unsichtbar. Und wir mit ihnen. Wenn Schwule und Lesben in den Nullerjahren vorkamen, dann als Stereotyp. Es war eine Welt voller ›Tunten‹ und ›Kampflesben‹.

Der erfolgreichste Kinofilm, der je in Österreich gezeigt wurde, war ›Der Schuh des Manitu‹ von Michael ›Bully‹ Herbig. Eine ganze Nation lachte 2001 über einen schwulen Indianer mit rosa Lederfransen und pinken Federn, der seine Handgelenke beim Gestikulieren abwinkelt, als würde er eine unsichtbare Handtasche tragen. Der Film war eine Parodie. Aber er festigte das Bild, das Menschen bis heute im Kopf haben, wenn sie an schwule Männer denken.

Als Martin und ich Teenager waren, hatten wir keine vernünftigen Vorbilder, an denen wir uns orientieren konnten. Die Schlussfolgerung lautete: homosexuelle Lebensweisen existieren nicht. Wenn du nie siehst, dass zwei Frauen oder zwei Männer zusammenleben und eine Familie gründen, dann kannst du dir nicht vorstellen, das eines Tages auch zu tun.  Martin wuchs in einem Dorf in der Steier­mark auf – 1.700 Einwohner, ein paar Gasthäuser, der Musikverein. Es ist eine ländliche Gegend, in die jedes Jahr Hunderttausende Touristen zum Thermenbesuch strömen. Zwei Männer, die Händchen halten, sah Martin nie. Nur am Schulhof war immer irgendjemand die ›schwule Sau‹. Martins ältere Schwester ging dazwischen: ›Lasst meinen Bruder in Ruhe, der ist überhaupt nicht schwul.‹ Martin lernte, mit einer Lüge zu leben. Jahrelang verdrängte er seine Gefühle, war innerlich zerrissen. Dann, mit 19 Jahren, zieht er weg, küsst einen Mann, fühlt sich endlich frei.

Das erste Mal, als ich sah, wie sich zwei Frauen küssen, war ich acht Jahre alt und saß im Wohnzimmer meiner Großmutter. Wir hatten zu Hause nur ORF. Bei meiner Oma klebten meine Schwestern und ich vor dem Fernseher, um MTV zu sehen. Dort wurde nur die heterosexuelle Liebe besungen. Dann kamen t.A.T.u – zwei russische Mädchen in Schuluniform, die im Regen herumknutschten. Das Video war ein Skandal, und der Song wurde zum Hit, der sich wochenlang in den deutschen Charts hielt. Authentisch waren t.A.T.u natürlich nicht, sondern eine große, geldhungrige Pop-Inszenierung. Wonach ich mich sehnte, waren ganz normale Paare, mit denen ich mich identifizieren konnte.

Selbst als ich mich mit 16 in ein Mädchen verliebte, hatte ich das Gefühl, unsichtbar bleiben zu müssen. Sie ging auf das andere Gymnasium in meiner Stadt. Wir küssten uns im Auto, am Nachhauseweg oder dann, wenn alle schon im Bett waren. Aus den Clubs dröhnte uns Lady Gaga entgegen, die sang: ›Baby, you were born this way.‹ Und Lady Gaga hatte recht.

Forscher vermuten, dass Schwule und Lesben nicht homosexuell gemacht, sondern homosexuell geboren werden. Trotzdem wird immer noch so getan, als sei Homosexualität eine Art Luxus oder Lifestyle. So wie die Entscheidung, ab morgen mit dem Rauchen aufzuhören und regelmäßig zum Yoga zu gehen. Kürzlich war in der Tages­zeitung ›Die Presse‹ zu lesen, Homosexualität sei eine ›exotische Ideologie‹, die sich mit einem ›erschreckend schnellen Tempo‹ durchsetze. Eine Qualitätszeitung tut so, als wären wir eine Erfindung des 21. Jahrhunderts und als hätte es uns nicht immer schon gegeben. Der Autor trauert einer Zeit nach, in der ›homosexuelle Familien nicht einmal im Kabarett aufgetaucht sind.‹ Im selben Atemzug schreibt er, seine schwulen und lesbischen Freunde verdienen Respekt. Wie passt das denn zusammen?

Homosexuelle Freunde sind für homophobe Menschen so etwas wie das Alibi für den Mörder. Damit entzieht man sich der Verantwortung. Der Berliner Autor Johannes Kram hat ein Buch über dieses Phänomen geschrieben. Der Titel: Ich habe ja nichts gegen Schwule, aber. Darin schreibt er, dass Homophobie oft getarnt als ›kontroverse Meinung‹ daherkommt, die man aushalten muss. Aber wenn ›Die Presse‹ druckt, dass schwule Männer keine Familie gründen können, dann ist das keine Meinung. Es ist eine falsche, böswillige Unterstellung, die Vorurteile schürt.

Auf unseren Reisen haben Martin und ich festgestellt, dass die Argumente der Gegner stets dieselben sind. Egal welcher Religion sie angehören oder welche Sprache sie sprechen. Homosexualität bedrohe die Keimzelle der Gesellschaft – die Familie. Die Politik kapituliere vor der Homo-Lobby. Eine ›Frühsexualisierung‹ an Schulen führe dazu, dass immer mehr Kinder homosexuell würden. Zerlegt man die Vorwürfe, dann landet man in der dunkelsten Zeit unserer Geschichte. Schon die Nationalsozialisten haben mit der Keimzelle argumentiert. Schwule waren für sie ›bevölkerungspolitische Blindgänger‹, weil sie ihre Zeugungskraft vergeudeten und nicht zum ›arischen Volkswachstum‹ beitrugen. Der ›Homo-Lobby‹ warfen sie vor, mit ihren Netzwerken den Staat unterwandern zu wollen. Im Jahr 2018 folgt ein Kardinal Schönborn immer noch ähnlichen Argumenten. Seine Kritik an der Ehe für alle lautet, dass nur die Ehe zwischen Mann und Frau die ›Generationenfrage‹ sichern könne. 2014 warnte der Wiener FPÖ-Chef Johann Gudenus in einer Rede in Moskau vor der ›mächtigen Homosexuellenlobby‹. Die Tatsache, dass Österreich das erste Land Europas ist, in dem die Ehe für alle nicht vom Parlament, sondern von einem der drei Höchstgerichte eingeführt wurde, spricht gegen diese Logik. Denn nicht eine ›Lobby‹ steht hinter der Gesetzesänderung, sondern der Verfassungsgerichtshof – eine Institution, die Demokratie und Rechtsstaat sichert.  In Wien gibt es gleichgeschlechtliche Ampelpaare und Regenbogenflaggen auf den Straßenbahnen. Einmal im Jahr reisen Prominente wie Bill Clinton, Elton John und Heidi Klum an, um im Rathaus den ›Life Ball‹ zu feiern. Die ÖBB bewirbt ihre Familienkarte mit zwei Männern, die ein Baby halten. Trotzdem sind beide Regierungsparteien dagegen, dass Schwule und Lesben heiraten dürfen. Trotzdem heißt die ÖVP einen Politiker willkommen, der aus dem Neos-­Parlamentsklub geworfen wurde, weil er auf Facebook das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare mit der Grausamkeit von Sklaverei verglichen hatte. Wir leben in einem Land, in dem FPÖ-Politiker mit dem Slogan werben: ›Ich will nicht, dass Franz den Lois heiratet, um den Sepp zu adoptieren.‹ Wir leben in einem Land, in dem Asylbehörden den Antrag eines 18-jährigen Afghanen ablehnen, ›weil weder Gang, Gehabe oder Bekleidung darauf hindeuten, dass er homosexuell sein könnte.‹ All das zeigt, dass wir von einer wahren Gleichberechtigung weit entfernt sind.

Und ja – Homophobie betrifft auch heterosexuelle Menschen. Konservative schließen eine ganze Reihe Menschen aus, wenn sie von der ›traditionellen Familie‹ sprechen. Was ist mit unverheirateten Paaren, Kinderlosen, Singles und Alleinerziehenden? Was ist mit den Männern und Frauen, die auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen können? Sind diese Menschen weniger wichtig für unsere Gesellschaft? Ganz zu schweigen von bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen.

Zu guter Letzt noch das Vorurteil mit der ›Frühsexualisierung‹ von Kindern. Viele Blockbuster kommen nicht ohne Sex- und Gewaltszenen aus. Im Internet kann man sich schneller einen Porno ansehen als ein Zugticket buchen. Bei Mediamarkt laufen Hip-Hop-Videos, in denen Frauen ihren Hintern in die Kamera halten. Aber ihr habt Angst vor Schulbüchern, in denen steht, dass es normal ist, schwul oder lesbisch zu sein? Hinter all diesen Ängsten steckt die verdrehte Logik: je sichtbarer gleichgeschlechtlich Liebende, desto mehr Menschen werden homosexuell. Aufklärung macht nicht homosexuell. Aufklärung senkt Suizidraten, reduziert Mobbing und erhöht die Chance, dass man im Erwachsenenalter nicht zum Psychotherapeuten gehen muss. Studien zeigen, dass Schwule und Lesben vier Mal häufiger an einer Depression oder Angststörung erkranken als heterosexuelle Menschen. Sie haben ein doppelt so hohes Risiko, von Drogen abhängig zu werden. Und sie denken viel öfter daran, sich umzubringen. Daran wird sich nichts ändern, wenn die Ehe für alle kommt. Aber sie kann der Anstoß für einen neuen Umgang miteinander sein. Denn die Öffnung der Ehe bringt keine Sonderstellung für wenige, sondern endlich Gleichberechtigung für alle. Sie erinnert uns daran, was die liberale Freiheit ausmacht, die wir alle genießen – ein freies, selbstbestimmtes, sicheres Leben. Ein Leben, in dem homosexuelle Jugendliche nicht mehr das Gefühl haben, anders zu sein. Eine neue Generation, die ihnen sagt: ›Es ist in Ordnung, so wie du bist.‹ So wie meine Mutter damals am See. •