Sieben einfache Formen
Wie beim Tangram aus extremer Reduktion unerschöpfliche Möglichkeiten erwachsen.
Ich habe das vielleicht schon einmal gesagt, aber:
Die meisten Spiele haben zu viele zu komplizierte Regeln. Sogenannte ›Kennerspiele‹ erfordern heutzutage mitunter eine mehrtägige Einarbeitungsphase, bevor überhaupt eine Proberunde unternommen werden kann. Sie sind damit von vornherein nur für Hardcore-Brettspiel-Enthusiasten zugänglich.
Interessanterweise bestechen die ›Long-Seller‹ unter den Brettspielen, die sich auch ohne sie promotenden Spieleverlag seit Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden halten, meist durch ein buchstäblich kinderleichtes Regel-Set. Wie im Märchen mit den Zauberbohnen erwachsen aus diesen simplen Regeln im Idealfall Möglichkeiten, die bis zum ludischen Himmel und noch darüber hinaus wuchern.
Das Tangram-Spiel, im chinesischen Original (qī qiaˇo baˇn), könnte man in dieser Hinsicht durchaus als König der Spiele bezeichnen. Die Regeln sind so einfach, dass sie eigentlich keine sind: Aus genau sieben geometrischen Formen-Plättchen (fünf Dreiecke, ein Quadrat und eine Raute) sollen nach einer Vorlage Figuren zusammengesetzt werden. Ein ganz simples Puzzle also – mit der minimalen Schwierigkeit, dass in den Abbildungen der Figuren die Grenzen der sieben Einzelteile nicht eingezeichnet sind, der Spieler also selbst herausfinden muss, wie er die Formen zum gesuchten Bild verbindet.
Einfacher geht es nicht. Und doch sind die Möglichkeiten, mit dem Tangram immer neue ästhetische Rätsel zu schaffen, fast unbegrenzt. Wer etwa einmal nur versucht, aus den sieben Formen jenes Quadrat zu bilden, aus dem sie geschnitten wurden, wird womöglich überrascht feststellen, dass ihm schon diese Basisübung ohne Anleitung zu schwer ist. Über, sagen wir, der Silhouette eines sitzenden Fuchses kann man Stunden und Tage grübeln, bis sich die Lösung als Heureka-Moment erschließt. Die Kombinatorik der sieben einfarbigen Teile ist so schwindelerregend kompliziert, dass westlicher Tand wie tausendteilige Foto-Puzzles im Vergleich dazu als aufgeblähtes, stupides Geduldsspiel erscheinen.
Sieben einfache geometrische Formen – mehr braucht es nicht, um ein Leben lang zu spielen. Ob uns das Tangram damit gar etwas über das Wesen des Seins lehrt? •
Name: Tangram · Entstehung: 8. bis 4. Jahrhundert vor Christus · Ursprung: China