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Soko Thessaloniki

Aphrodite Bouikidis macht die Stadt krisenfest.

DATUM Ausgabe Juni 2018

Der Polizeibeamte am Schalter hebt den Kopf und fragt: ›Sind sie sicher?‹ Aphrodite Bouikidis, 31, nickt. Ja, sie möchte den griechischen Personalausweis beantragen, sich in Thessaloniki anmelden. Ihr nächstes Monatsgehalt wird siebenmal kleiner sein als in den USA. Es ist das Jahr 2013 und Aphrodite Bouikidis kehrt nach Thessaloniki zurück, um zu helfen, die Stadt aus der Krise zu holen. Sie wird zuerst ›Ashoka Griechenland‹, das Netzwerk für soziale Innovatoren, aufbauen. Bald danach wird sie Stadt-Diplomatin werden – auch wenn sie das noch nicht weiß, als sie zum neuen Ausweis greift. Die Stadt-Diplomatie sei die Zukunft, sagt sie: In Städten müssen Bürgermeister Tag für Tag beweisen, dass sie das mit der Vielfalt und der Zukunft hinbekommen. Politik und Bürger müssen zusammenhelfen, sonst geht nichts. Städte springen sogar als Unterzeichner internationaler Abkommen ein, wenn nationale Regierungen aussteigen. ›Siehe das Pariser Klimaabkommen!‹

Bouikidis wuchs als ältestes von drei Kindern zweier Arbeitsmigranten aus Nordgriechenland in Philadelphia und Milwaukee auf. Als Jugendliche servierte Bouikidis in der elterlichen Pizzeria, schaffte es als erste in ihrer Familie auf die Uni. Dort lernte sie erstmals über die EU. ›Ich habe die EU als kühnes, positives Experiment wahrgenommen. Doch dann kamen die Euro- und die Flüchtlingskrise. Ich sah gewisse Schwachstellen. Ich wollte was Neues reinbringen.‹

Thessaloniki also. Die Stadt stand vor wenigen Jahren kurz vor dem Bankrott. Heute blühen Tourismus, Wirtschaft und Stadtleben vorsichtig wieder auf, es gibt Direktflüge aus Israel und der Türkei. Der parteilose Bürgermeister Giannis Boutaris arbeitete die multireligiöse Geschichte der Hafenstadt heraus und reist, um zu verstehen und zu erklären. Er startete als erster griechischer Politiker mit der Aufarbeitung der Vergangenheit und mit Versöhnung. Er initiierte mit Deutschland gemeinsam den Bau des zentralen griechischen Holocaust-Gedenkzentrums – von vormals fast 56.000 Juden kehrten 96 aus den NS-Vernichtungslagern nach Thessaloniki zurück. Er krempelte die Verwaltung und die Prozesse um.

Boutaris unterstützt auch das Team um Aphrodite Bouikidis, die heute in einem kleinen Büro mit großem Besprechungstisch im ersten Stock im Rathaus für das Programm ›100 Resilient Cities‹ arbeitet. Dieses Angebot der amerikanischen Rockefeller Foundation bereitet Städte auf ihre Rolle im globalen Spiel vor. Wer dabei ist, bekommt nicht einfach Geld, sondern den Posten eines ›Chief Resilience Officers‹ und einen Stab, um die Stadt fit für alle möglichen Pro­bleme zu machen. Bouikidis: ›Wir bilden multisektorale Netzwerke in halbwegs ruhigen Zeiten, um in der Krise den Betrieb aufrechterhalten zu können.‹

Das heißt im Alltag: Sie spielt mit Beamten, Rechnungswesen, Handwerkern und Bürgern durch, ob bei Stromausfall noch Gehälter überwiesen werden können. Sie durchforstet die Pläne der Feuerwehr, studiert die Schwachstellen der Müllabfuhr, plant die Szenarien für die Stadt im Jahr 2030. ›Zu Beginn wollten die Abteilungen erst gar nicht mit mir arbeiten. Bis wir begonnen haben, Krisen wie im Theater minutiös nachzuspielen‹, erzählt Bouikidis. Sie liebt ihre Aufgabe und sie akzeptiert, dass sie im Gemeinderatssaal am Ende des Flurs mehr erklären muss als im Plenarsaal der Weltbank, wenn sie Partnerschaften für Thessaloniki einfädelt. Bouikidis resümiert: ›Wir müssen Planung und gutes Regierungshandeln wertschätzen. Weltpolitik beginnt zuhause!‹ Zuhause ist inzwischen Griechenland.