Todestrieb und Mordabsicht
Warum die Zerfallserscheinungen in der SPÖ noch gravierender sind als einst in der ÖVP.
Um die folgenden Zeilen verstehen zu können, muss man im Rückspiegel der Geschichte bis in die 90er-Jahre zurückblicken. Dann wird man darin eine ÖVP sehen, über deren Todestrieb in immer wiederkehrenden Abständen berichtet wurde, bis sie schließlich 1999 hinter der FPÖ gelandet ist. Das Bild wird vielen bekannt vorkommen. Es gibt jedoch einen gravierenden Unterschied zu den Vorgängen in der SPÖ vor dem wahrscheinlich wichtigsten Parteitag seit ihrer Gründung.
Die ÖVP zerfleischte sich aus schierer Lust an der Intrige, immer in der Hoffnung, der nächste Obmann würde mehr Fortune haben. In der SPÖ trifft der Todestrieb aber mit einer Mordabsicht zusammen. Das Opfer? Die Bundespartei.
Nach dem Desaster der Mitgliederbefragung und der falschen Stimmenauszählung im Frühjahr hätte man erwarten dürfen, dass die SPÖ-Führungsfunktionäre zur Besinnung kommen würden. Nichts davon. Allein die Ankündigung von Hans Peter Doskozil, der ›Krönung‹ seines früheren Rivalen Andreas Babler fernzubleiben, beweist: Die Parteiführung hat nichts verstanden. Dass der 11.11. Burgenlands Landesfeiertag ist, wäre aus jedem Kalender ersichtlich gewesen. Entweder die neue Bundesgeschäftsführung hat das übersehen oder den Termin mit voller Absicht gewählt. Beides verheißt nichts Gutes. Parteischädigend genug. Aber auch vom Faschingsbeginn am 11.11. dürfte die Löwelstraße überrascht worden sein, obwohl er jedes Jahr an diesem Datum stattfindet. Bewusst wollte man sich beziehungsvollen Referenzen aber wohl nicht aussetzen – so nach dem Motto: Ein guter Tag für die Narren ist ein guter Tag für die SPÖ. Kleinigkeiten? Gewiss. Nur halt nicht für eine Partei mit Führungsanspruch im Bundeskanzleramt.
Wiens Bürgermeister Michael Ludwig benötigt für seine Mordabsichten an der SPÖ keine Helfer in der Parteizentrale. Sein Motiv ist offenbar mangelndes Vertrauen in Babler und Opposition gegen die Statutenänderungen. Und wieder ein Blick in den Rückspiegel: Wie oft fragte man sich bei der ÖVP in den 90er-Jahren: Was denken die sich nur? Was denkt sich Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, wenn er mit seinem Rückzug aus den Spitzengremien Babler ins Steuer greift, noch bevor dieser es mit beiden Händen übernommen hat? Wäre Ludwig am Parteitag Teil des Wahlvorschlags gewesen und hätte Streichungen kassiert – der Schaden wäre für ihn geringer gewesen als jener, den er durch sein brutales Zeichen der Distanzierung an der Gesamtpartei anrichtet. Das Hemd war noch jedem Landespolitiker näher als der Bundesrock. Auch bei der ÖVP. Keine wirklich erfolgreiche Strategie, wie wir inzwischen wissen.
Jedenfalls ist Babler durch diese Entwicklungen in eine No-Win-Situation geraten. Fällt die Zustimmung am Parteitag gering aus, ist ihm der Spott sicher. Liegt sie bei Pamela Rendi-Wagners 96 Prozent, wird sie so wenig glaubwürdig sein wie jene von 2018.
Bis zur Nationalratswahl müsste der Bürgermeister von Traiskirchen jedenfalls geradezu Übermenschliches leisten, um noch zu beweisen, dass er unterschätzt wurde. •