Toma, Mama und ich, Mugtaba

Was Muslim*innen in der Terrornacht als erstes durch den Kopf ging.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Dezember 2020

Nach einem langen Tag in der Arbeit ließ ich mich in meiner Einzimmerwohnung ins weiche Leder der Couch fallen. Wie die meisten anderen Abende wollte ich auch diesen so entspannt wie möglich ausklingen lassen – konkret bedeutet das in meinem Fall die Talkshow mit Wendy ­Wil­­liams, die ich übrigens wärmstens empfehlen kann.

Doch der Abend sollte einen äußerst unguten Kurs einschlagen. Das Handy am Tisch machte sich bemerkbar, fing an, fast pausenlos zu vibrieren. Ich wollte es ignorieren, gab aber nach und nahm es zur Hand. Das hätte ich mir getrost ersparen können.

An diesem Abend sahen wir alle dasselbe, ich meine, Oe24 ließ die Videos schließlich ungefiltert in Dauerschleife laufen. Was mich jedoch selbst schockierte, war mein allererster Gedanke, nachdem ich verstanden hatte, was passiert war : › Scheiße ! Ich hoffe, es ist kein Moslem ! ‹

Ich verwarf den Gedanken, offensichtlich gab es andere Dinge, die im Fokus standen. Die Sorge und Betroffenheit dieser Stunden in Wien er­­leb­ten die meisten Menschen genauso wie ich. Das zeigt uns wieder, wie we­nig uns als Menschen doch unterscheidet. Ich rief alle meine Freund*innen und Freunde an, schrieb mit allen meinen Lieben, um sicherzugehen, dass es ihnen gut geht, und ließ die Nach­richten im Hintergrund laufen.

Doch der Gedanke ließ mich nicht los : › Scheiße, ich hoffe, es war kein Moslem ! ‹  Er begleitete mich den ganzen Abend, und ich war damit nicht ­alleine. Als ich meine Mutter anrief, um zu fragen, ob meine Familie und Geschwister zu Hause seien, fragte sie mich unbeirrt, wo sie denn sonst sein sollten. Sie saßen zusammen im Wohnzimmer, spielten Karten und tranken Schwarztee mit Milch – so wie jeden Abend in der Pandemie. Ich erzählte ihr, was am Schwedenplatz ­pas­siert war. Sie wurde nachdenklich, ließ sich kurz Zeit, und – so absurd es auch klingen mag – plötzlich wusste ich ganz genau, was sie sagen würde : › Mugtaba, ich hoffe, es ist kein Moslem. ‹ Zurück am Handy sah ich, dass sich diese Sorge auch in den meisten Chat-Gruppen mit Muslim*innen ­herauskristallisierte.

Am nächsten Morgen stand ich auf, landete im Homeoffice und versuchte den Gedanken von gestern zu ver­drängen. Schließlich ist Wien eine solidarische Stadt, in der aufeinander ­geschaut wird. Eine Stadt, die eine in anderem Kontext als obszön kritisierbare Parole zum Ausdruck des Widerstandes werden lässt. Wien ist eben anders. Schleich di, du Oaschloch.

Am zweiten Tag nach dem Anschlag griff ich wieder zum Handy, scrollte durch Instagram, und die Realität ­holte mich ein. Überall Berichte von Muslim*innen, die Beschimpfungen ausgesetzt waren – alle waren sie entweder anonym oder weit entfernt. Bis auf eine. Ich öffnete die Story von Toma, die schreibt : › Meiner Mutter wurde in der U-Bahn das Kopftuch vom Kopf gerissen .‹ Die Sorge hatte sich bestätigt, und ich brach in Tränen aus.

Jedesmal wenn ich das Wort › Is­la­mismus ‹ höre, werde ich daran erinnert, dass ich dabei zusehen muss, wie sichtbare Muslim*innen diskriminiert werden. Mir geht es nicht so, denn als schwarzer Mann werde ich nicht als Mos­lem erkannt. Ich trage weder ein Kopftuch noch erfülle ich optisch das Klischee eines Moslems. 

Ich habe das Privileg, mich nicht mit meinem Glauben in der Öffentlichkeit auseinandersetzen zu müssen. Das Privileg, meine Liebe zu Gott und den Halt, den ich im Glauben finde, nicht aufgrund täglicher Angriffe in Frage stellen zu müssen. Das Privileg, nicht aus Angst vor Diskriminierung einen Teil meiner Identität ablegen zu müssen. Beschämt überlege ich, wie viele Juden* und muslimische Frauen* sich die Frage stellen, ob sie Kippa oder Kopftuch tragen sollen und sich damit wissentlich der Gefahr der dauernden Diskriminierung aussetzen.

Der reflexhafte Gedanke : › Scheiße, ich hoffe, es ist kein Moslem ‹, zeigt uns, wie tief die Angst vor einer wei­teren Ausgrenzung sitzt. Und noch schlimmer : Wie sehr wir es uns erlaubt ha­ben, diese Angst zu akzep­tieren. •