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›Trost ist kein Konsumgut‹

Der Innsbrucker Diözesanbischof Hermann Glettler über tatsächlich christlich-soziale Politik, den langsamen Lernprozess der Kirche im Umgang mit homosexuellen Partnerschaften und das Geheimnis von Ostern.

DATUM Ausgabe April 2021

Im Dezember 2020 besuchten Sie die Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos. Wie tröstet man Menschen, die so einem Elend ausgesetzt sind  ?
Hermann Glettler: So gut es geht, Nä­he zeigen. Dem unbeholfenen oder vorsätzlichen Wegschauen widerstehen. Trösten beginnt meist damit, die Trostlosigkeit auszuhalten, egal ob in der Seel­sorge, in der Therapie oder angesichts einer großen humanitären Notlage. Das macht den Unterschied zwischen Trösten und Vertrösten aus. Es ist eine Versuchung, schnell mit besserwissenden Ratschlägen zu kommen. Der erste Schritt ist immer das genaue Hinschauen und Zuhören. Als Papst Franziskus die erste Reise seines Pontifikats nach Lampedusa unternahm, sagte er dort : › Wir haben verlernt zu weinen. ‹ Wir müssen den Verdrängungsversuchen widerstehen und nicht in Gleichgültigkeit abrutschen. Echtes Mitleiden geht zu Herzen und drängt zu einem solidarischen Verhalten. Insgesamt brauchen wir mehr Empathie und weniger Selbstmitleid.

Eine Möglichkeit des Verdrängens ist auch das politisch kalkulierte Wegreden eines Problems …
Glettler: Da sind wir gleich mitten in der Materie. Geflüchtete werden in einem furchtbaren Elend festgehalten. Eu­ropa verfolgt damit eine sehr inhumane Strategie, nämlich eine Zone der Abschreckung zu installieren, um den Flüchtlingen auf dem türkischen Festland deutlich zu machen : Geht ja nicht weiter, ihr lauft in eine Katastrophe ! Wir sehen hier ein unwürdiges Schauspiel.

Nach Ihrer Reise richteten Sie einen eindringlichen Appell an die Politik, der ungehört blieb. Wie gehen Sie selbst mit dem Gefühl der Verzweiflung und der Ohnmacht um ?
Glettler: Ich habe von zu Hause eine gewisse Bodenständigkeit mitbekommen. Die Mitarbeit in der Landwirtschaft hat mich gefordert. Und bei meinen bisherigen Einsatzorten, speziell im multikulturellen Viertel in Graz, musste ich auch viele belastende Situationen aushalten. Das regelmäßige Gebet ist für mich vermutlich die wichtigste Hilfe zur Entlastung – ich weiß, dass nicht ich die Welt retten muss. Außerdem habe ich mir ein persönliches Warnschild aufgestellt, auf dem steht : Trotz Enttäuschung nicht in Gehässigkeit verfallen ! Unbeirrt weitergehen, aber ohne Aggression. Und einiges ist ja doch gelungen. In Österreich melden sich unzählige Stimmen aus der Zivilgesellschaft. Viele Men­schen zeigen ihre Hilfsbereitschaft. Auch die griechische Regierung ist nervös geworden. Auf höchster europäischer Ebene wird ernsthaft nachgefragt, was mit den Millionen passiert ist, die Griechenland seit Jahren für eine humanitäre Unterbringung der Flüchtlinge erhalten hat.

Der Umgang mit Flüchtlingen in Europa wird besonders hierzulande von Parteien mitgetragen oder sogar propagiert, die nach wie vor das Prädikat christlich-sozial vor sich hertragen und der katholischen Kirche tendenziell zugetan sind. Wie verträgt sich das ?
Glettler: Das Etikett ›christlich-sozial‹ für eine einzelne Partei ist grundsätzlich zu hinterfragen. Quer durch alle politischen Lager gibt es Haltungen und Entscheidungen, die dieses Prädikat verdienen oder auch nicht. Christlich-sozial sollte doch kein ideologischer Aufputz sein, den man verteidigt oder sich gegenseitig abspricht. Mit Sicherheit passt dieses Prädikat nicht für eine Politik, die sich fast ausschließlich von Umfragewerten diktieren lässt. Christlich-soziales Handeln muss sich von konkreten Notlagen stören lassen – mit einem Horizont, der über den Tellerrand nationaler Interessen hinausreicht. Christlich-sozial wäre es, die Hilfsbereitschaft, die bei unzähligen Einzelpersonen, Solidargruppen und Pfarren in Österreich vorhanden ist, zu verstärken und nicht abzuwürgen.

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