Trumps Chance

Es brauche nur eine Ausnahmesituation, um die Demokratie in den USA zu gefährden, hieß es bei Donald Trumps Amtsantritt. Ist es jetzt so weit?

DATUM Ausgabe Mai 2020

Mitte März wusste ich bereits, dass es um meinen Job in Manhattan ziemlich schlecht bestellt war – wie managet man Künstler und Orchester, wenn die Bühnen leer sind und das Publikum zu Hause bleiben muss? Auch wusste ich, dass es nicht unmöglich war, dass meine drei Brooklyner Mitbewohnerinnen und ich uns in unserem regen Alltag, in dem wir allesamt rund zwei Stunden täglich mit der prall gefüllten U-Bahn gefahren waren, bereits längst mit dem Virus infiziert hatten. Tatsächlich sollte ich in der kommenden Woche meinen Job verlieren, und drei Freunde im näheren Bekanntenkreis sollten positiv auf Covid-19 getestet ­werden. Bald darauf erlag ein Freund meiner Mutter dem Virus.

Aber all das war zu Beginn der New Yorker Quarantäne Mitte März noch nicht real: Das politische Amerika interessierte sich noch hauptsächlich für die Vorwahlen der Demokraten, zu deren Beginn es für den demokratischen Sozialisten Bernie Sanders überraschend gut ausgesehen hatte, bevor Joe Biden die Führung übernahm – nun aber schob die Pandemie die Schlagzeilen zu Sanders’ Verlusten unerwartet beiseite. Als nach und nach die Events meiner Firma abgesagt und verschoben wurden, die Metropolitan Opera, die NY Philharmonic, die Carnegie Hall schlossen, ganz zu schweigen von den Theatern am Broadway, erfasste mich und viele meiner Freunde ein beunruhigender Gedanke: Wie soll man unter solchen Umständen im Herbst eigentlich Präsidentschaftswahlen abhalten können?

Das Bizarre dabei: Als Donald Trump im November 2016 Präsident wurde, warnten liberale und linke ­Me­­-
dien wie The New Yorker, Harper’s Magazine oder The Atlantic indirekt genau vor der derzeitigen Situation. Es bedürfe nur einer unerwarteten Katastrophe, so die Kom­mentatoren, einer einzigen Ausnahmesituation (einem Equivalent zum Reichstagsbrand in Deutschland 1933 – oder vielleicht einer Pandemie, die die Ökonomie lahmlegt?), und mit derselben langsamen Unbehag­lichkeit, mit der solche Dinge eben passieren, könnte die  emokratie aus den Vereinigten Staaten endgültig verschwinden.

Wie der Historiker Andrew Gawthorpe in einem Kommentar für The Guardian argumentierte, bräuchte es für ein solches Szenario nicht einmal eine (durch die Verfassung nicht gedeckte) Absage oder Verschiebung der kommenden Präsidentschaftswahlen. Es würde genügen, dass Trump seine Anhänger dazu aufruft, die Wahl zu boykottieren und ein für ihn negatives Er­gebnis ganz einfach nicht anerkennt. Der Kadavergehorsam, den die republikanische Partei bei der Abschmetterung des Impeachment-Verfahrens gegen ihren Präsidenten an den Tag legte, lässt nicht erwarten, dass sie in obigem Szenario klar auf Seiten der Demokratie stünde.

Dass er seine Macht als absolut betrachtet, bewies Trump dann auch in seinem Clinch mit den Gouverneuren mehrerer Bundesstaaten: Wann diese Bundesstaaten, nicht zuletzt das vom Demokraten Andrew Cuomo geführte New York, ihren Lockdown beenden, entscheide selbstverständlich er allein, denn er sei der Präsident, polterte Trump auf seinem Lieblingskanal Twitter. Dabei war der POTUS zu Beginn der Coronakrise eher tollpatschig als autoritär herübergekommen: Er verwechselte laufend medizinische Fachbegriffe, versprach sich beim Ablesen seiner Reden und wirkte insgesamt fast verängstigt vom Einbruch einer faktischen Realität, die sich nicht durch markige Sprüche verscheuchen ließ.

Trotzdem ist 2020 mit Corona nicht nur der von ­Beobachtern gefürchtete Anlass für eine autoritäre Wende in den USA da, es gibt auch weniger Zweifel denn je, dass Donald Trump und die republikanische Partei charakterlich disponiert und willens sind, nach totaler, autoritärer Macht zu greifen, wenn sich die Gelegenheit bietet. Die Frage lautet also hauptsächlich: Wer oder was kann sie daran hindern?

Ein wichtiger Faktor ist das Repräsentantenhaus, eine der beiden Kammern des US-Kongresses und
seit 2018 mehrheitlich von Demokraten besetzt (im Ge­gensatz zur Zeit der Obama-Regierung, als es von Republikanern dominiert wurde). Aktuell ist es die beste Garantie dafür, dass eine To­tal­kon­trolle Trumps in der Art von Viktor Orbán so gut wie unmöglich ist.

Allerdings braucht es auch nicht unbedingt einen formalen Putsch, um Trump gegen den Willen der Bevölkerungsmehrheit für zumindest vier weitere Jahre im Amt zu zementieren. Denn da ist zunächst einmal das Wahlmänner-Prinzip, das das Resultat der Präsidentschaftswahlen zunehmend von einzelnen, spärlich besiedelten Regionen abhängig macht, was Trump bereits 2016 den Sieg brachte, obwohl er bundesweit mehrere Millionen Stimmen zurücklag.

Vor allem aber wird durch Corona eine bedenkliche antidemokratische Strategie relevanter, die die republikanische Partei schon seit vielen Jahren nutzt, um ihre Wahlchancen zu optimieren: Jenen Teilen der Bevölkerung, die höchstwahrscheinlich die Demokraten wählen werden, wird der Zugang zu Wahlen erschwert oder gänzlich verweigert. In Gegenden mit einem hohen Prozentsatz schwarzer Bevölkerung – zum Beispiel in ländlichen Regionen von Bundesstaaten wie Alabama und Mississippi – werden dafür Registrierungs-büros geschlossen – und ohne Registrierung, kein Wahlrecht. Häftlinge, bei denen es sich weit überproportional um schwarze Männer handelt, verlieren ihr Wahlrecht ebenfalls und bekommen es auch nach ihrer Entlassung nicht zurück. Auch das Recht auf Briefwahl wird regelmäßig infrage gestellt, was es Menschen, die am Wahltag arbeiten müssen, zusätzlich erschwert, ihre Stimme abzugeben.

Genau die von den Wahlblockaden betrof­fenen Bevölkerungsteile sind nun auch diejenigen, die mit Abstand am schwersten von Covid-19 getroffen werden. Laut dem ›Centers for Disease Control and Prevention‹ sind 33 Prozent der aktuell wegen Corona hospitalisierten Bevölkerung schwarz, obwohl Schwarze nur 13,4 Prozent der gesamten US-Bevölkerung ausmachen. Werden diejenigen, die die Pandemie trotz schlechter Gesundheitsversorgung und explodierender Armut über­leben, danach noch in der Lage und willens sein, im Herbst wählen zu gehen – sofern dann überhaupt eine Wahl stattfindet, zu der sie gehen ­können?

Bernie Sanders hat das Rennen inzwischen auf­geben müssen. Paradoxerweise verstehen genau in diesem Moment mehr Amerikaner denn je seine politische Botschaft: Das Coronavirus offenbart schmerzhaft, in was für einer Krise die ungleichen Vereinigten Staaten stecken. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist einfach zu groß geworden. Pandemien werden in den USA gerne als ›Great Equalizer‹ bezeichnet, aber nicht einmal eine Pandemie schafft es, die Klassendifferenz der USA zuzudecken. Gefährdet sind zwar theoretisch alle, aber es erkranken dann doch genau jene New Yorker, die es sich nicht leisten können, die Pandemie zu Hause auszusitzen: Arbeiter, Busfahrer, Amazon-­Packerl-Träger. Es ist eben teuer und ungesund, in diesem reichen Land arm zu sein.

Diese Erkenntnis scheint gerade auch bei manchen einzusickern, die auf diesem Ohr bisher absolut taub waren. Selbst ein Wall-Street-Trader wie Jim Cramer, Host der Spekulationssendung Mad Money auf dem US-Network CNBC, sagte in einem Interview mit dem Nachrichtenportal Vox kürzlich unerwartet, dass die Reichen zu reich geworden seien und dass es derzeit einfach nicht ausreiche, die ohnehin geringen Steuern zu zahlen: ›Ich glaube, jeder der reich ist, muss jetzt etwas tun. Und wenn du das nicht tust, dann Schande über dich.‹

Wir sind also an einem Punkt angelangt, an dem selbst eingefleischte Neoliberale plötzlich ein winziges Bisschen wie Bernie Sanders klingen. Vielleicht ist diese Pandemie auf ideeller Ebene also doch so etwas wie ein ›Great Equalizer‹? •

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