Überleben üben

Martin Mollay bildet in der Buckligen Welt sogenannte ›Prepper‹ aus. Die ständige Beschäftigung mit dem Ernstfall wird angesichts multipler Krisen immer beliebter, kann Ängste aber auch verstärken.

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Fotografie:
Christoph Liebentritt
DATUM Ausgabe September 2022

Martin Mollay glaubt nicht an Gott, damit unterscheidet er sich in einem wesentlichen Punkt vom ersten, ge­schichtlich überlieferten ›Prepper‹, der ein Schiff mit gigantischem hölzernen Bauch baute und bei wolkenlosem Himmel auf die Sintflut wartete. Seine Nachbarn lachten den in ihren Augen Verrückten aus – weit und breit kein Fluss in der Nähe, der über die Ufer hätte treten können, kein Meer, das mit einer Welle sein Haus hätte fluten können. Über 600 Jahre alt musste Noah werden, bis sich die Schleusen des Himmels öffneten, eine Urflut über die Welt hereinbrach und er mit seiner Familie auf die Arche flüchten konnte.

Gute 2.000 Jahre später galten Prepper noch immer die längste Zeit als verrückt: Die Endzeit herbeisehnende Außenseiter, auf deren Kosten sich gut Witze machen ließ. Ändert sich dieses Bild in Zeiten von Krise, Krieg und Klimawandel? Die Liste drohender Katastrophen ist lang, es drängt sich die Frage auf: Wer ist hier eigentlich verrückt? Der Kerl, der literweise Sonnenblumenöl und PU-Schaum zum Abdichten von Mauerritzen im Keller lagert, oder der, der das nicht tut? Wo verläuft die Grenze und wie viel Angstlust lagert da im Bunker im Regal neben dem Knäckebrot?

Martin Mollays Arche liegt im Keller eines unscheinbaren Hauses irgendwo in der Buckligen Welt in Niederösterreich. Da, wo man besser aktuelles Kartenmaterial parat hat, weil einem Google Maps nicht hilft. Ein ausgebauter Erdkeller, hinter dessen luftdicht verschließbaren Türen der 47-Jährige mit einer Handvoll anderer Personen mindestens zwei Wochen ausharren könnte, selbst wenn oben in der Welt die Apokalypse tobt. Martin Mollay ist bereit für den Untergang.

Auf der blauen Tür, die in den Keller führt, kleben Warnschilder, die ›Eintritt verboten‹ signalisieren, mit dem Ziel, Eindringlinge abzuschrecken. Mollay öffnet den Eingang – ein blonder Mann mit fröhlichen Augen, gewinnendem Lachen und nackten Füßen: Ohne Schuhe spürt er den Boden und die ihn direkt umgebende Natur besser, so sagt er. Er hat seinen Füßen abgewöhnt, sich auf künstliche Sohlen zu verlassen: Falls er im Ernstfall keine Schuhe trägt, will er nicht über den Waldboden laufen wie Eltern über Legosteine im Kinderzimmer. 

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