›Uns fehlen die Menschen‹

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Fotografie:
Ursula Röck
DATUM Ausgabe Februar 2022

Name : Sigrid Knotek, 45

Beruf : Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin

 

Warum haben Sie sich für die Pflege entschieden?
Der Beruf fordert psychisch und physisch, aber ich kann Menschen bei ihren Krankheiten unterstützen und ihr Leben ­erleichtern. Das ist eine sehr­ erfüllende Tätigkeit.

Was müssen Sie für Ihren Job gut beherrschen?
Geduld und Flexibilität. Man muss lernen, dass Menschen oft nicht sofort Hilfe annehmen können. Inkontinenz zum­ ­Beispiel ist ein großes Tabuthema. Da müssen wir Grenzen wahren und Respekt zeigen. Erst in entspannten Situationen rede ich dann darüber und ­erkläre, dass Hilfeleistungen bei solchen Problemen Teil meines Berufs sind.

Was sind Ihre Hauptaufgaben als diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin?
Es ist viel Pflegeplanung. Über den Tag lege ich oft meine Hände auf Schultern, wenn das gewünscht ist, kontrolliere den Blutzucker, wechsle Verbände und wische viel, also reinige Oberflächen und Gerätschaften – vor allem seit Corona. Allgemein helfe ich, wo ich kann. Wenn sich Leute zu Hause zum Beispiel nicht mehr allein waschen können, dann duschen wir sie hier auch gerne.

Was haben Sie von Ihren Klienten gelernt?
Gelassenheit. Diese Menschen sind oft viel gelaufen in ihrem Leben und lassen sich durch kaum etwas aus der Ruhe bringen. Das lernt man von ihnen, da sind sie erbarmungslos (lacht).

Kann man von älteren Menschen auch das Sparen lernen?
Ein Stück weit, denn leider sieht ihre finanzielle Situation oft schlecht aus. Darüber reden wir zum Beispiel, wenn sie eine neue Versorgung oder eine Heimhilfe brauchen.

Wie viel verdienen Sie?
Netto verdient eine Pflegerin im ersten Berufsjahr etwa 1.850 Euro, da sind aber schon alle Zuschüsse dazugerechnet, und wir sprechen von 37 Stunden Arbeit. Fakt ist, dass ein Großteil von uns aber 30 Stunden und weniger arbeitet. Auf der einen Seite, weil der Beruf viel fordert, und auf der anderen, weil wir mehrheitlich Frauen sind und die Kinderbetreuung auf unseren Schultern lastet. Ich arbeite zum Beispiel nur 30 Stunden.

Verdienen Sie zu wenig?
Reich werde ich als Pflegekraft nicht.

Was brauchen Sie von der Politik am meisten?
Uns fehlen die Menschen. Für den aktuellen Bedarf gibt es zu wenig Pflegekräfte, und das schon lange. Jeder kennt jemanden, der gepflegt wird. Trotzdem redet kaum wer darüber, weil Pflege schambehaftet ist und abseits der Öffentlichkeit erledigt wird. Wir müssen Pflege aus den Wohnungen und Heimen in die Öffentlichkeit bringen.

Was beklagen Ihre Klientinnen am häufigsten?
Dass ihre Angehörigen wenig Zeit haben, sie denen aber auch nicht zur Last fallen möchten. Und viele bekommen nicht mehr das Essen serviert, das sie gerne hätten. Es gibt so viele Geschmäcker. Das klingt banal, beschäftigt viele aber sehr.

Fürchten Sie sich vor dem Altern?
Ich habe Respekt davor, den lernt man hier.

 

In Österreich gibt es (Stand 2019):

76.000 Diplomierte Gesund­heits- und Kranken­pflegerinnen und -pfleger

39.000 Pflegeassistentinnen und -assistenten

9.000 Heimhilfen

85 % aller Pflegenden sind weiblich, ein Drittel ist über 50 Jahre alt und geht in zehn Jahren in Pension.

Dem gegenüber steht:
Bis 2030 wird die Anzahl der über 85-jährigen Menschen um knapp 45 % auf 327.000 ansteigen.

Bis 2030 braucht es daher 75.700 neue Pflegekräfte. Spätestens ab 2024 kann nicht mehr davon ausge­gangen werden, dass der Personalbedarf mit Absolventinnen gedeckt werden kann.

(Quelle: Pflegepersonal-Bedarfs­prognose für Österreich, gög im Auftrag des bmsgpk, 2019)