Verrückte Kindheit

Kinder psychisch kranker Eltern übernehmen häufig deren Aufgaben. Wie prägt sie das ?

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Markus Waltenberger
DATUM Ausgabe Mai 2020

Die Stimme am Telefon schreit. ›Die Mafia will deinen Bruder holen. Ich muss untertauchen, meinen Namen ändern, das Land verlassen. ‹ Wohin, ist nicht klar, und selbst wenn es klar wird, wird sie es ihrer Tochter nicht sagen. Aber sofort muss es sein, das steht fest, und dies ist die Verabschiedung. Dann der Piepton, aufgelegt. Elenas Kopf schwirrt, ihr Herz pocht. Eigentlich war heute ein ganz normaler Tag. Schule, Nachmittagsunterricht, nach Hause fahren. Doch für Elena steckt das Leben voller Überraschungen. An manchen Tagen sind sie gut. An anderen weniger. Heute heißt die Überraschung eben Paranoia, und die erfordert ein sofortiges Einschreiten.

In den meisten Familien sind es die Eltern, die vor spontanen Ideen ihrer pubertären Kinder erschrecken, Grenzen ziehen und in die Realität zurückrufen. Nicht aber in Elenas Familie, und auch in mehr als 50.000 anderen Familien in Österreich nicht, so schätzt der auf solche Fälle spezialisierte Verein › Hilfe für Angehörige und Freunde psychisch Erkrankter ‹ (HPE). In diesen Familien wachsen Kinder mit psychisch erkrankten Eltern auf, die selbst mit ihrem Alltag überfordert sind. Daher kommt es oft zu einer Rollenumkehr, wie sie auch Elena erlebt: Dann sind es die Kinder, die vor den spontanen Ideen ihrer erkrankten Eltern erschrecken, Grenzen ziehen und in die Realität zurückrufen. Psychologen bezeichnen das Phänomen als › Parentifizierung ‹.

Psychische Erkrankungen sind immer noch ein Ta­bu­thema, das nicht nur Erkrankte stigmatisiert, sondern auch Auswirkungen auf ihre Angehörigen hat. Gerade die so oft vergessenen Kinder psychisch kranker Eltern spüren die Folgen des Schweigens. Zwei von ihnen – Nina und Elena – haben DATUM ihre Geschichte erzählt. Beide wollen ihren richtigen Namen nicht nennen und auch sonst keine näheren Angaben zu ihrer Person machen. Was übrig bleibt, sind Gemeinsamkeiten: Sie sind in ihren 20ern und leben in Wien, wo sie studieren und arbeiten.

›Jeder dritte Mensch leidet zumindest einmal in seinem Leben an einer psychischen Erkrankung‹, so Georg Psota, Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien. Das bedeutet eine Menge Kinder, die bei psychisch erkrankten Elternteilen aufwachsen: jedes fünfte bis sechste Kind, um genau zu sein, wie Silvia Franzelin, Beraterin beim Verein HPE, aus aktuellen Hochrechnungen weiß. Und das belastet gerade Kinder enorm. Die Le­­bensphase, in der sie sich befinden, wäre eigentlich dazu da, sich in der Welt zu orientieren und je nach individuellen Erfahrungen Bausteine für das spätere Leben zu legen.

Das besagt das Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung, das der Psychoanalytiker Erik H. Erikson im vergangenen Jahrhundert entworfen hat. Grundsätzlich sollen in der Kindheit Gefühle von Sicherheit und Autonomie aufgebaut, ein gesundes Selbstbewusstsein und Identitätsbild entwickelt und soziale und intellektuelle Fähigkeiten erlernt wer­­den. Der Erfolg dieser Zielsetzungen ist aber abhängig von den Erfahrungen des Kindes. Wird ihm in seinen ersten anderthalb Le­bensjahren nicht zureichend körperliche Nähe und psychische Fürsorge entgegengebracht, kommt es mitunter zu tiefgreifenden Unsicherheitsgefühlen, all­­gemeinem Misstrauen und Angst, beobachtete Erikson. Erfährt das Kind zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr ungenügend Wertschätzung, wenn es eigeninitiiert handelt und die Welt erprobt, entwickelt es oftmals Schuld- und mangelnde Selbstwertgefühle. Und wird ein Pubertierender einem instabilen Umfeld ausgesetzt, in dem er nicht die Möglichkeit hat, Rollen auszuprobieren, bleibt das Selbstbild auch später im Leben instabil, so die Erkenntnis des Psychoanalytikers. › Es geht darum, dass Kinder ihre Entwicklungsaufgaben haben, und da können sie ab und an ins Stolpern kommen ‹, erklärt Silvia Franzelin. Dabei spielen gerade die engsten Bezugspersonen eine entscheidende Rolle. › Eltern stellen den ersten Bezugsrahmen für das Kind dar, in dem es sich in der Welt orientiert und ein Selbst- und Weltverständnis konzipiert ‹, sagt Barbara Kornfeld, Bildungswissenschaftlerin an der Universität Wien. Im besten Falle gestaltet sich das dann positiv und stabil und begünstigt so eine gesunde Verankerung in der Welt. Wenn Eltern psychisch erkrankt sind, sind die Risikofaktoren, die eine ungesunde Entwicklung hervorrufen, allerdings hoch und nehmen so nicht nur der Kindheit die Leichtigkeit, sondern beeinflussen auch das spätere Leben der Kinder psychisch erkrankter Menschen.

Elena, eine sichtlich fröhliche und herzliche junge Frau, kann von all dem aus eigener Erfahrung berichten. Die Kaffeetasse in beiden Händen sitzt sie da und erinnert sich mit so viel Ruhe an die Geschichten ihrer Kindheit, dass es unglaublich erscheint, welche Schwere ihre Erinnerungen belasten muss. Da ist die Mutter mit Borderline auf der einen Seite, die von einem Extrem ins andere kippt und so oft mit der Welt überfordert ist. Und auf der anderen Seite der Vater, dessen Depressionen ihn immer wieder gefangen halten. Dazwischen Elena, das Trennungskind, das mal hier und mal dort wohnt und sich vor allem auf ihre Oma verlässt, während sie von klein auf versucht, den Mangel an elterlicher Aufmerksamkeit anderswo zu kompensieren.

› Ich musste mir immer Sorgen um meinen Vater machen ‹, erinnert sich Elena. Oft konnte er tagelang das Bett nicht verlassen, starrte an die Decke oder schlief. Überhaupt: Meistens schwieg er. Er vergaß zuvor ausgemachte, gemeinsame Pläne. Elena musste ihn bitten, zum Arzt zu gehen, erinnerte ihn ans Essen. Sie musste stark, einfühlsam, rational sein und den trägen, traurigen Mann immer wieder zurück ins Leben schieben. Das Einsetzen von Kraft ist Elena bald gewohnt. So sehr, dass es ihr gar nicht mehr auffällt. Sieben Jahre ist sie alt, als sie ihre Mutter regelmäßig ins Bett bringen muss, weil die es alleine wieder nicht schafft. In der einen Wohnung deckt sie ihre Mutter zu, in der anderen streicht sie ihrem Vater Brote. Sie wohnt mal hier und mal da, pendelt zwischen depressiven und explosiven Symptomen hin und her, zwischen unerträglicher Traurigkeit und unerwarteten Wutanfällen. Eine Zeit lang ist sie das einzige Kind ihrer Familie. Im Alter von elf Jahren bekommt sie einen jüngeren Bruder: › Meine Mutter wollte unbedingt noch ein Kind haben, und als es dann da war, wars ihr eben doch zu viel. Dann musste ich mich oft um meinen Bruder kümmern, wenn meine Mutter mit sich selbst beschäftigt war. ‹ Also ist es wieder Elena, die die Windeln wechselt, bei Verdacht auf Krankheit die Oma anruft, und die Uhr nicht aus den Augen lässt, wenn es darum geht, den Bruder rechtzeitig vom Kindergarten abzuholen.

Nina, ein paar Jahre älter als Elena, ist erst vor wenigen Jahren nach Wien gezogen. Beim Besuch von DATUM ist ihr Koffer gepackt, für einen Ausflug nach Hause, wo die Familie wartet – Schwester, Mutter und Vater. Letzterer hat im Alltag lange funktioniert, bis er es eben nicht mehr tat. › Depressionen, durch ein Burnout ausgelöst ‹, erzählt Nina. Damals war sie 14, vielleicht 15, so genau weiß sie das nicht mehr. An den Moment der Diagnose hingegen erinnert sie sich genau. Wie ihre Mutter und ihre Schwester um den Küchentisch saßen, sie schweigend ansahen und noch ein paar Sekunden verronnen, bevor sie ihr die Botschaft mitteilten, die ihr Leben ändern sollte. Sie lächelt, während sie erzählt, doch ihr Blick ist ernster als Elenas. › Ich glaub, meine ältere Schwester hat da mehr mitgekriegt, die hat dann auch die Kontrolle über alles ein bisschen mehr übernommen ‹, erzählt sie. Irgendwann wurde es nämlich der Mutter zu viel, und als sie weg war, griff die Schwester ein. An manischen Tagen etwa galt es, dem uneinsichtigen Vater seine exzessiven finanziellen Ausgaben oder die Notwendigkeit einer Therapie zu Bewusstsein zu bringen, während dieser schweigend am Küchentisch saß und das Gesicht in den Händen vergrub. Oder ihn allen Schwerfälligkeiten zum Trotz zu Spaziergängen an die frische Luft zu bewegen. Aber auch routinierte Krankenhausbesuche und die Organisation dessen, was sich in stationären Zeiten eben zu Hause anhäufte, wurde bald zum Alltag der Kinder.

Elena und Nina erinnern sich gleichermaßen an ihre Sorgen, nicht mehr alles unter einen Hut zu bringen, an ihre Angst vor fatalen, existenziellen Folgen, sollten die kindlichen Mühen versagen, aber auch an das Risiko eigener Erkrankungen. Suizidversuche depressiver Elternteile hielten die kontinuierliche Wachsamkeit aufrecht. Gleichzeitig ließen bizarre, halluzinierte Inhalte die Grenzen zwischen Realität und Krankheit auf be­­ängstigende Weise schwinden. › Einmal hat mich meine Mutter angerufen und mir befohlen, die Namen aller Ärzte der Psychiatrie aufzuzählen ‹, erinnert sich Elena. › Sie bestand darauf, mir klarzumachen, dass sich unsere Geschichten wiederholen werden, wie im Wahn. Dass ihre Therapeutin spukt und wir abgehört werden, total offensichtliche Unwahrheiten. ‹ Solche Attacken – zusammenhangslos und unbegründet – machten ihr als Kind Angst und erschöpften. Genauso wie die ständige Ungewissheit, was als nächstes passieren wird und wie die beiden Hälften – die gesunde und die kranke – von Mama oder Papa zu einem ganzheitlichen Bild zusammengefasst werden können. › Du weißt nicht, was auf dich zukommt, das ist schirch ‹, erzählt Nina. Irgendwann zerbrach in ihr das kindliche Bild vom starken Vater, dem großen, erwachsenen Mann, auf den man sich verlassen kann. › Er war so in seinen Gedanken, dass er halt etwas anderes im Kopf gehabt hat. Es war traurig. Er benahm sich dann wie eine andere Person. Man kann das schwer zusammenfügen zu einem Bild, das eine Person ergibt. ‹

Die Sorgen von Kindern psychisch erkrankter El­tern sind überwältigend und rauben ihnen den Platz für kindliche Spontanität, Lebhaftigkeit und Alltagsaufgaben. Das liegt auch an der Loyalität, die Kinder für ihre Eltern empfinden, weiß Silvia Franzelin, und für die würden Kinder Berge versetzen – so weit, dass Risiken im eigenen Wohlbefinden ignoriert werden. Was hier passiert, entspricht dem erwähnten Phänomen der Parentifizierung. › Das ist, wenn es zu einer Rollenumkehrung kommt ‹, sagt Silvia Franzelin. Kinder übernehmen dabei Aufgaben der Eltern und manchmal gar die Führung des gesamten Familienalltags, erläutert Georg Psota, Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien. Dann trösten die Kinder die Eltern oder kümmern sich gar um die Geschwister, wie Elena. Sie leben in Sorge um das erkrankte Elternteil, stellen es in ihren persönlichen Mittelpunkt und vergessen dabei die kindlichen Grenzen – und das ist nicht selten. › Das Phänomen der Parentifizierung passiert bei nahezu allen Kindern, die ich bis jetzt beim Projekt KIPKE und in meiner Privatpraxis in Beratung hatte ‹, erzählt Carmen Bintinger-Kaiser. Sie ist klinische und Gesundheitspsychologin und arbeitet im Programm KIPKE (kostenloses Angebot für Kinder psychisch kranker Eltern in Niederösterreich) jeden Tag mit Betroffenen. Das größte Problem ist, dass die Kinder nicht Kinder sein können, ist sich Carmen Bintinger-Kaiser sicher. Als mögliche Konsequenzen erwähnt sie verschlechterte Schulleistungen, Instabilität in freundschaftlichen Beziehungen, bis hin zu Einbußen im eigenen psychischen Wohlbefinden.

Für Elena geht die Symptomatik der Überforderung so weit, dass sie schließlich an einer Essstörung erkrankt und selbst einen psychiatrischen Aufenthalt von knapp einem Jahr erlebt. Aber der Weg dorthin ist weit. Davor strengt sie sich enorm an, die eigenen Verletzungen zu verbergen. › Ich hab’ immer sehr gut darum herumreden können mit der Essstörung: »Ich hab’ schon gegessen, mir ist ein bisschen schlecht, ich weiß nicht, was los ist, ich hab’ jetzt keinen Hunger«. Das hat man mir dann auch geglaubt ‹, erzählt sie, und auch Nina erinnert sich an das Bemühen, die ohnehin schon so belasteten Eltern vor weiteren Schwierigkeiten zu bewahren, zu Hause, in der Schule oder auf Partys. Dieses Abwehren von Aufmerksamkeit arbeitet in beide Richtungen. Während Einsamkeit ein großer Teil des Alltags von Kindern wie Nina und Elena ist, wird außerfamiliär kaum erzählt, was zu Hause passiert. › Ich hab’ mir schon gewünscht, dass sich jemand um mich sorgt, aber ich wollte keine Aufmerksamkeit, wenn es mir damit schlecht ging. Ich wollte nicht, dass man mich auf irgendetwas davon anspricht ‹, erinnert sich Elena.

› Viele dieser Kinder sind überangepasst ‹, erklärt Silvia Franzelin. › Da sieht man einfach nicht, dass sie eigentlich überfordert sind. ‹ Doch ohne Wissen über die Schieflage kommt es auch nicht zu Unterstützungsleistungen, die gerade in den psychischen Gefahrensituationen dringend notwendig sind und Fälle von Parentifizierung klar erleichtern könnten. › Wenn man geschlagen wird, ist das Jugendamt schnell da ‹, ergänzt Carmen Bintinger-Kaiser, aber psychische Missstände bekämen lange nicht dasselbe Maß an Aufmerksamkeit wie körperliche. Warum aber wird nicht darüber gesprochen?

Vor allem herrscht großes Unwissen. Das beginnt im Kindergarten und endet in spezialisierten Einrichtungen. Während die Kinder in der ersten Bildungsstätte fleißig das Zähneputzen lernen, weiß keines, was überhaupt die Psyche ist und was passiert, wenn sie erkrankt, sagt Carmen Bintinger-Kaiser. Diese Unbewusstheit erschwert Außenstehenden zu erkennen, wenn jemand psychisch in Not ist, und macht es auch Kindern psychisch erkrankter Eltern nicht gerade leicht zu verstehen, was bei Mama oder Papa eigentlich los ist. › Ich hab’ von den psychischen Problemen meiner Eltern immer so ein bisschen mitbekommen. Ich hab’s irgendwie gewusst, aber ich hab’s nicht verstanden. Wir haben nicht wirklich darüber gesprochen, aber sie haben das erwähnt, und ich hab’ immer erzählt »ja, meine Eltern haben Depressionen«, ohne dass ich überhaupt gewusst hab, was das heißt ‹, lacht Elena. Selbst in der Psychiatrie endet das Unwissen nicht. Noch immer werden stationär aufgenommene Patienten manchmal gar nicht nach eigenen Kindern gefragt, sagt Silvia Franzelin. Das führt neben der Reproduktion des großen, gesellschaftlichen Unwissens auch schlichtweg zu vergessenen, zurückgelassenen Kindern. Und Kinder, die in einer Welt aufwachsen, in der sie einfach vergessen werden, wissen eben auch nicht, dass sie eigentlich nicht vergessen werden dürfen.

› Die Psychiatrie ist so schambesetzt, dabei ist das das Krankenhaus der seelischen Erkrankungen ‹, sagt Bintinger-Kaiser. Die Scham führt wiederum zu Schweigen – nach außen und in den Familien selbst. › Es ist wie ein unsichtbarer Elefant im Raum, alle tanzen drum herum, und keiner spricht es an ‹, sagt Franzelin. Doch auch wenn nicht darüber gesprochen wird, spüren Kinder sehr wohl, dass etwas nicht stimmt. Wenn dann keine passenden Erklärungen geliefert werden, generieren Kinder eben selbst welche. In diesen Fantasien machen sie sich manchmal selbst zu Tätern, deren Fehlverhalten schuld ist an den psychopathologischen Verhaltensformen der Eltern. › Es war dieser eine Tag, wo sie extrem eskaliert ist und gemeint hat, dass ich nicht mehr ihr Kind bin. Aber wir haben nicht gestritten davor, es kam aus dem Nichts. Sie hat die Zimmertür aufgerissen und mich angeschrien. Da war nicht wirklich ein Auslöser da, und ich hab’s einfach nicht verstanden ‹, erinnert sich Elena an eine der krankheitsbedingten Situationen mit ihrer Mutter. Da kommt es zu enormen Schuldgefühlen, sind sich die Expertinnen einig, und die münden wiederum oft in einem besonderen Bemühen der Kinder, Aufgaben zu übernehmen, die eigentlich nicht ihre sind, das Familienleben aufrechtzuerhalten und häusliche Probleme nach außen hin zu vertuschen.

Letztlich hilft also nur eines: reden. Egal ob in Bildungseinrichtungen, in Medien oder im Gespräch mit der engsten Freundin. › Es muss einfach offen darüber gesprochen werden, um eine negative Konnotation zu vermeiden ‹, sagt Silvia Franzelin. › Für Kinder muss die Information über die Erkrankung und Behandlung ihrer Eltern alters- und entwicklungsadäquat aufbereitet sein ‹, ergänzt Georg Psota. Manchmal heiße das auch, die Kinder aufzuklären und ihnen Worte zu schenken für das, was sie erleben, wie Franzelin erzählt. Da könne man sagen: › Das, was du erlebst, das hat einen Namen, das heißt, Mama und Papa riechen, fühlen, sehen Dinge, die es in der Realität nicht gibt, und das nennt sich Psychose, und wenn das ganz schlimm wird, dann müssen Eltern in ein Spital, und dieses Spital nennt sich Psychiatrie. ‹ Das sehen auch Nina und Elena so. › Jeder kennt doch irgendwen, der irgendwen kennt, der halt ein Problem hat, aber viele wissen gar nicht, was eine manische Depression oder irgendeine andere psychische Krankheit ist ‹, sagt Nina. Dabei kann sie jeden von uns treffen – uns selbst, den engsten Freund oder den Nachbarn. › Es gibt Leute, die sagen »Das ist nicht meine Sache, ich misch mich da nicht ein«, aber ich finde, man muss sich mehr einmischen, man muss nachfragen: »Ist alles okay?« ‹ Das hätte sich auch Elena gewünscht, für die Einsamkeit ein genauso großes Problem war wie für Nina: › Wenn jemand gesagt hätte: »Hey, bei mir ist das ähnlich, meine Eltern waren ähnlich«, dann hätte ich mich wahrscheinlich verstanden gefühlt. Ich hab’ ja nicht gewusst, dass so viele Leute psychisch krank sind. Und dass das nicht sowas Schlimmes, sowas Peinliches, Unangenehmes ist, sondern, dass das okay ist. ‹ •