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Von wegen Gerontokratie

Warum es bei Politikern nicht (nur) auf das Alter ankommt.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe September 2022

Ich werde das Alter nicht zum Thema dieses Wahlkampfes machen. Ich werde nicht aus parteipolitischen Gründen die Jugend und Unerfahrenheit meines Gegners ausnützen.‹ Der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan war 1984 bei seiner Wiederwahl 73 Jahre alt. Sein Gegner Walter Mondale 56 und ehemaliger Vizepräsident unter Jimmy Carter. Reagan war gefragt worden, ob er nicht zu alt für die Präsidentschaft sei. Bei öffentlichen Auftritten war er nicht immer sattelfest. Er fuhr einen Erdrutschsieg ein – nicht zuletzt wegen dieses Bonmots. 

Vielleicht reagiert Alexander Van der Bellen, 78, bei der kommenden Wiederwahl ähnlich locker auf eine Frage nach seinem Alter. Er hat schon versucht, sie bei der Ankündigung seiner Bewerbung um eine zweite Amtszeit zu neutralisieren: Er fühle sich heute jünger und fitter als vor sechs Jahren. Er machte sein Alter zum Thema, bevor andere danach fragten. 

Die Frage ›Kann man zu alt für aktive Politik werden?‹ liegt aus zwei Gründen sowieso in der Luft: Erstens, weil sie gegenwärtig in den USA auf Grund des Alters von US-Präsident Joe Biden bereits jetzt diskutiert wird. Er wäre bei einer Wiederkandidatur 2024 82 Jahre alt. Zweitens, weil überall dort, wo sich die Vertreter der 70 plus oder gar 80 plus um die Schalthebel der Macht scharen, der Kampf gegen das Establishment, gegen die politische ›Elite‹ besonders erfolgversprechend scheint. Und Eliten sind im Moment die Hauptfeinde vor allem des rechten Spektrums. 

Das Alter, ab dem man sich aus der Politik zurückziehen, in ihr verbleiben oder in sie erst eintreten sollte, lässt sich auch im Rückspiegel der Geschichte nicht eruieren. Verblüffend ist, dass es offenbar ausschließlich auf die konkreten politischen Umstände zu einem gegebenen Zeitpunkt ankommt: Was wäre aus Deutschland, was aus Europa geworden, hätte sich Konrad Adenauer nicht mit 73 Jahren als Bundeskanzler zur Verfügung gestellt? Nicht vom Nationalsozialismus belastet, mit Regierungserfahrung in Köln, von erstaunlicher Gesundheit bis weit über 80 Jahre war er einfach passend. Und: Es gibt Politiker hohen Alters mit jugendlichem Elan und Junge, die sich alt gerieren. 

Allein, es sind die Umstände, stupid! Ähnliches kann man von Joe Biden 2020 behaupten. Kein anderer Demokrat hätte über Donald Trump triumphieren können. Doch die spezielle Situation ist offenbar vorüber, legt ihm doch selbst die glühende Demokratin Maureen Dowd in der New York Times nahe: ›Hey Joe, don’t give it a go‹, Hallo Joe, versuch’s nicht noch einmal. 

Dowd argumentiert, dass Biden genügend politische Erfolge verzeichnen kann, um 2024 Jüngere an die Macht zu lassen. Das kommt schon sehr nahe an Altersdiskriminierung heran, für die in der Politik der USA an und für sich kein Platz ist. Die Führung im US-Kongress ist mit Nancy Pelosi und Mitch McConnell um die 80, Senatorin Dianne Feinstein denkt daran, 2024 mit 91 noch einmal zu kandidieren. 

Das Problem mit dem Alter ist, dass wir verlernt haben, den Einzelfall zu beurteilen. Lieber spricht man von einer Gerontokratie, einer Vergreisung oder Mumifizierung der Politik. Das wird sich Van der Bellen mit 78 Jahren vielleicht auch vorwerfen lassen müssen. •