›Vor dem Tod noch LSD‹

Die Autorin führt Gespräche ›Auf Leben und Tod‹, diesmal mit dem Architekten Wolf D. Prix.

Interview:
Saskia Jungnikl
DATUM Ausgabe Februar 2018

Wann war Ihnen das erste Mal bewusst, dass es den Tod gibt?

Wolf D. Prix: Beim Tod meines Vaters. Da war ich dreißig Jahre alt und gemeinsam mit meinem Bruder haben wir seine letzte Nacht verbracht. Er war zuhause und schon länger krank. Wir wussten, dass es dem Ende zugeht. Es war auch deswegen nicht so fürchterlich, weil ich bei ihm war. Meine Mutter ist zehn Jahre später im Spital gestorben und ich habe in der Früh den Anruf bekommen, dass sie tot ist – das war wirklich für die ganze Familie… Ich weiß gar nicht. Wie soll man da sagen?

Schwer?

Ja, das war es. Es war wirklich schwierig für uns alle.

Warum?

Weil ich damit nicht gerechnet hatte. Ich konnte mich nicht verabschieden. Wir waren nicht vorbereitet.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

(zündet sich eine Zigarre an) Nein, ich habe mich schon früher damit auseinandergesetzt. Damals, als man noch Zeit hatte und jung im Beruf war, hat man sich die Zeit genommen. Wenn man viel zu tun hat, verdrängt man diese Überlegungen. Das ist bei mir überhaupt verständlich, weil ich vor kurzem Zwillinge bekommen habe, die sind erst drei Jahre alt. Da würde ich mich jetzt schrecken. Ich will das Leben noch ein bisschen dehnen.

Gab es eine Zeit, in der Ihnen das nicht so wichtig war?

Ja, ja. Ich bin mit 18 Jahren in Schweden von Stockholm nach Kiruna zu Fuß gegangen, und habe mir damals versprochen, dass ich das noch einmal machen werde, bevor ich sechzig werde. Also bevor ich sterbe – das sagt man da so leichtsinnig, wenn man jung ist, denn da klingt sechzig uralt. Mit etwa 57 war ich mit meinen Studenten in Spanien in der Nähe von Bilbao unterwegs. Da sah ich zwei junge Menschen mit Rucksack, die den Jakobsweg gegangen sind. Mir ist mein Versprechen wieder eingefallen und ich habe beschlossen, diesmal den Pilgerweg zu gehen. Ich hab trainiert, im Sand laufen, Gewichte tragen und bin dann – vollkommen unheilig – den Weg gegangen. Ich hatte meine Zigarren mit und hab in den Gasthäusern am Weg immer mein Glas Wein getrunken. Aber ich bin ihn gegangen, fünf Wochen lang, alleine. Und es war fantastisch. Ich war froh, dass ich mein Handy mithatte, damit ich abends mit meiner Familie reden konnte. Wenn man den ganzen Tag meditativ unterwegs ist, beginnt man Dinge zu hören und zu sehen, die nicht da sind. Als ich in Compostela angekommen bin, bin ich nicht wie die anderen Pilger in die Kirche sondern in ein 7-Sterne-Hotel. Dort hab ich mir ein Schaumbad eingelassen und war riesig stolz auf mich.

Sie schaffen mit Ihrer Architektur etwas, das vielleicht nicht endlich ist, Ihre eigene Endlichkeit durchaus überdauert. Ist Ihnen das wichtig?

Überhaupt nicht. Diese Eitelkeit ist mir sowas von fremd. Mir ist das echt egal, ob ein Gebäude besteht oder nicht. Ich kann es jetzt sehen, jetzt hineingehen und sehen, was ich alles gut gemacht habe – das finde ich wichtig. Ich erwarte nicht, dass die Menschen in Hunderten von Jahren vor Ehrfurcht erstarren.

Es ist Ihnen nicht wichtig architektonisch etwas zu hinterlassen?

Ich würde gerne Geld hinterlassen. Für meine Kinder, für die Familie. Das wäre mir wichtiger. Meine Söhne oder meine Töchter haben nichts davon, wenn sie in die Gebäude gehen. Mir ist der Prozess, die Entwicklung, die Vorstellung zu Beginn, die dann zum Realen wird, viel wichtiger. Dass das Gebäude funktioniert. Dass die Leute es akzeptieren und es sich in ihre mentale Landkarte einbrennt.

Was ist es für ein Gefühl, dass Sie das Stadtbild, die Oberfläche der Erde nachhaltig verändern?

Das steht mir zu. Jetzt müssen Sie fragen warum! (lacht)

Gut, warum steht es Ihnen zu?

Weil ich so unendlich begabt bin, Landschaften und Situationen zu verändern.

Das sehen Sie so?

Das sehe ich so. (Pause) Klammer auf, lacht, Klammer zu. (lacht wirklich) Bei manchen meiner Gebäude ist es ein Wunder, dass sie gebaut wurden! Darauf bin ich stolz. Wegen der Widerstände, die wir beseitigt haben, und dass wir gegen den Wunsch der konservativen, rückwärtsgewandten Leute eine zeitgemäße Architektur bauen konnten.

Gehen Sie gerne in Kirchen?

Früher hat es mich architektonisch interessiert. Ich habe mich einmal intensiv mit der Geschichte des Kirchenbaus beschäftigt. Borromini, weil ich dort Geometrien vorfinde, die meiner Vorstellung, wie Architektur Raum fassen sollte, sehr nahe kommt. Mich interessieren eher die gesellschaftlichen Zusammenhänge, die es ermöglicht haben, dass solche Zeichen gebaut werden. Heutzutage werden ja Architekturen, die Zeichen setzen, gerne verdammt. Es wird dann so hingeschludert, das wäre ja nur Stararchitektur. Man vergisst aber, dass diese Zeichen zur Identifikation der Menschen, die in der Umgebung wohnen und arbeiten, dienen. Das ist mir wichtig, dass man die Umgebung, in der man lebt, auch beschreiben kann. Anonyme Bauten bedeuten Stillstand. Man ist tot. Fortzuschreiten heißt, man lebt.

Sie messen eine Gesellschaft an den Bauwerken?

Auch. Militärische Formationen, wie das Marschieren der Truppen, sind zurückzuführen auf die Kohortenaufstellungen der Römer und die römische Architektur nimmt sich totalitäre Systeme zum Vorbild. Ein totalitäres System macht totalitäre Bauwerke.

Was ist mit der Wiener Ringstraße?

Ich verstehe nicht, warum sie als Gesamtkunstwerk gehypt wird, ist sie doch eine zutiefst spießige, bürgerliche Architektur. Man vergisst gerne, dass die Menschen, die das gebaut haben, in Kanälen leben mussten. Man hat diese Menschen als „Strotter“ bezeichnet, weil strottern hieß, das Fett in den Kanälen abzuschöpfen, um zu überleben. Warum delektiert man sich an der Oper und dem Burgtheater?

Viele Gebäude, bis heute, sind gebaut auf Menschenleben.

Ich kritisiere nicht den Ausdruck der Gebäude, aber ich möchte wissen, woher er kommt. Eine offene Gesellschaft hat offene Architektur zu haben. Mir gefällt die Elbphilharmonie gut – so etwas ist in Wien unmöglich. Alle unsere Bauten sind in Wien unmöglich. Nicht einmal ein richtiges Hochhaus.

In Ihrem Manifest von 1980 steht, Architektur muss brennen. Wie viel von Ihrem Leben steckt in Ihrer Architektur?

Viel. Freizeit oder Hobby war nicht vorhanden in diesen Pionierjahren. Der Satz soll daran erinnern, dass man Dinge nicht nebenbei machen kann, wie man auch Verantwortung nicht nebenbei tragen kann. Die Leidenschaft, die Emotion, die durch Architektur geweckt werden kann, das schien mir möglich.

Sie haben gesagt, als Architekt darf man keine Existenzangst haben. Wie lebt es sich ohne diese Angst?

Angst ist ein schlechter Berater. Angst vor der Zukunft macht das Leben nicht lebenswert. Ein Auftraggeber von uns wollte sein Haus mit drei Kinderzimmern zu je drei Quadratmetern haben, weil er das Geld lieber in einen atomsicheren Bunker stecken wollte. Das ist entsetzlich. Da lebt man in dauernder Angst. Wir haben den Auftrag abgelehnt. Als Architekt in Existenzangst zu leben, macht einen gefügig für alle Wünsche des Investors. Wenn du keine Angst hast, auch nicht davor, den Auftrag zu verlieren, bist du freier. Man sucht freier die besseren Kompromisse.

Man denkt wahrscheinlich anders, weil man sich selbst keine Schranke auferlegt.

Genau. Es gibt zwei Grundkrankheiten von Architekten: vorauseilender Gehorsam und verinnerlichter Zwang. Das erstere ist, wenn man sich denkt: Das krieg ich sowieso nicht bewilligt, das probiere ich gar nicht. Anstatt mir eine Taktik und Strategie zu überlegen, wie ich es doch durchbringe. Das zweitere ist viel gemeiner und ich verstehe Architekten, die sich in diese konservative Welle begeben. Sagen wir: Ich finde eine freie Form wirklich schön. Sie wird dir aber schnell ausgetrieben, indem es ständig heißt, das funktioniert nicht, ist zu teuer, dauert zu lange, feuerpolizeilich nicht bewilligbar. Beim dritten Mal denkt man, ich probier es gar nicht, und eigentlich finde ich Quadrate, Rechtecke und Würfel als Bauformen sehr schön. Man verinnerlicht den Zwang. Es schützt im Moment vor Enttäuschungen, aber es macht einen auf Dauer krank.

Wie kommt man dem aus?

In dem man sehr sehr oft das Wort ›Achtung‹ verwendet. Vorsicht! Wo geht das hin, was will ich, was will der- oder diejenige von mir? Schwierig durchzuhalten.

Haben Sie eine Vorstellung davon, was nach dem Tod passiert?

Ich glaube, man schäft ein.

Wie würden Sie gerne sterben?

Sekundentod. Oder wie Aldous Huxley, der hat sich vor dem Tod noch LSD geben lassen. Das kann ich mir auch vorstellen.

Was wollen Sie noch machen?

Ich will meine Kinder gut aufgehoben und heranwachsen sehen. Ich hätte gerne noch einiges gebaut: eine Schule, in Wien ein Kulturzentrum. Und ich hätte gerne eine Stadtplanung in Mumbai gemacht, weil mir die Sanierung der Slums dort sehr wichtig ist und wir das in einem kleinen Rahmen umsetzen und das will ich gerne größer machen.