Vor der Jugend kommt die Partei

Seit Dezember letzten Jahres ist Claudia Plakolm Jugend-Staatssekretärin. Dass die ÖVP-Politikerin die Sorgen ihrer Generation ernstnimmt, muss sie aber erst noch beweisen.

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Fotografie:
Stefan Fürtbauer
DATUM Ausgabe März 2022

Es sind klare Grundsätze, denen Claudia Plakolm in ihrer Politik folgt. Das geht zurück bis ins Linzer Gymnasium der Kreuzschwestern. Damals geht sie als Schulsprecherin zuerst zum Direktor, wenn sie etwas umsetzen möchte. Sie fragt, ob ihre Ideen denn aus seiner Sicht möglich seien und hört meistens auf ihn. Das ist pragmatisch, für eine Jugendliche vielleicht ein wenig zu pragmatisch. Diese Regeltreue hat Plakolm bis heute nicht abgelegt, sie hat sie perfektioniert. Im politischen System arbeitet es sich leichter, wenn man Hierarchien kennt und pflegt. Radikale, zukunftsträchtige Erneuerungen entstehen so hingegen schwer.

Seit vergangenem Dezember ist Claudia Plakolm im Bundeskanzleramt für die Jugendagenden zuständig. Die ÖVP gab das als Kontrollorgan dienende schwarze Staatssekretariat im mächtigen Klimaressort der Grünen für ein neues, junges Gesicht auf. Doch Plakolms direkte Macht ist beschränkt. Sie verfügt über kaum eigenes Budget und hat kein Stimmrecht im Ministerrat. Jugendpolitik ist Querschnittsmaterie, die Zuständigkeiten liegen also auf verschiedene Ministerien verteilt. Um ihre Anliegen umzusetzen, müssen Plakolm und ihre Mitarbeiter Türklinken putzen – und zwar gründlich. Gleichzeitig spießen sich ihre Vorstöße als Politikerin vom Land immer wieder mit den Vorstellungen der urbanen Jugend.

Plakolms erstes erklärtes Ziel ist auch deshalb eines, das mehr oder weniger die gesamte Jugend betrifft. Als Staatssekretärin will sie die psychische Gesundheit Jugendlicher fördern. Seit der Pandemie leiden vor allem junge Menschen vermehrt unter Depressionen, Schlaf- und Essstörungen. Ihnen verspricht Plakolm Verbesserungen.

13 Millionen mehr für Kinder und Jugendliche werden ausgegeben. Beschlossen wurde das Förderpaket im Sommer 2021 – ein halbes Jahr bevor Plakolm die Jugendagenden übernahm. Präsentiert wurde es letzten Februar. Das Finanzministerium hat die Mittel freigegeben, das Gesundheitsministerium setzt sie nun ein. Erst unter Plakolm als Staatssekretärin kam Bewegung in die Sache. Aus ihrem Büro heißt es, man habe besonders gern im Gesundheitsministerium angerufen, um Druck zu machen. Nur wofür die Millionen eingesetzt werden, konnte Plakolm bloß bedingt mitentscheiden. Werkzeuge abseits des Telefonhörers und ihres Terminkalenders hatte sie in diesem Fall nicht.
Die 27-Jährige sieht das nicht als Problem: ›Ich habe mich nie davor gescheut, Dinge klar anzusprechen und meinen Willen durchzusetzen‹, sagt sie. Dennoch: Wenn reden und Anrufe allein nicht mehr helfen, um sich Gehör zu verschaffen, braucht Plakolm eine Hausmacht hinter sich, die Druck ausüben kann. Die verortet Plakolm in Oberösterreich, wo sie JVP-Chefin war. Vom Begriff Hausmacht distanziert sie sich aber: ›Ich bin da, um Politik zu machen, egal mit wessen Unterstützung.‹

Und auf diese Unterstützung werde Plakolm als Staatssekretärin angewiesen sein, analysiert der Politikberater Thomas Hofer. ›Jeder Minister und jede Ministerin kann die Staatssekretärin, auf gut Wienerisch gesagt, ang’lehnt lassen‹, sagt er. Hofer vermutet, dass Plakolm unter anderem zu ihrem Amt kam, um nach dem Ausscheiden von Sebastian Kurz zu zeigen, dass die ÖVP nach wie vor jung und nicht wieder die politisch und personell alte ÖVP sei. ›Machtpolitisch war das ein Rückschritt für die ÖVP, da man auf den Posten im grünen Klimaministerium verzichten musste‹, sagt Hofer. Plakolm sei nun abhängig von der Generalstrategie der ÖVP, ›die noch nicht ganz sichtbar ist‹. Laut dem Politikberater werde es vom Druck des Kanzlers und des Klubchefs abhängen, ob die Staatssekretärin mehr als eine symbolische Geste werden kann oder nicht.

Erste Erfolge kann Plakolm jedenfalls vorweisen. So hat sie etwa mit dem Gesundheitsministerium 20 Prozent mehr Schulpsychologen ausverhandelt. Umgerechnet sind es 36 neu Angestellte, aufgeteilt auf etwa 4.440 Schulen in ganz Österreich. Außerdem will Plakolm die Online-Therapie ausbauen, zum Beispiel die Chat-Beratung bei 147 – Rat auf Draht. Das Angebot gibt es grundsätzlich bereits seit einem Jahr. Plakolm sagt aber, sie kämpfe gerade für mehr Ressourcen von Ländern und Bund. In Kooperation mit dem Land Niederösterreich lancierte Plakolm unlängst eine Website für Hilfe zur Selbsthilfe bei psychischen Krankheiten. In Videos auf istokay.at erklären Psychologen, was Depressionen sind und wie man sie mit Sport selbst bekämpfen kann, anstatt in Therapie gehen zu müssen. Auf der einen Seite ist das Prävention. Auf der anderen eine Antwort auf den eklatanten Mangel an kassenfinanzierten Psychotherapieplätzen für ­Kinder und Jugendliche. Plakolm ver­handelt in Gesprächen mit der österreichischen Gesundheitskasse, wie hier aufgestockt werden könne. Ob daraus bis zum Ende der Legislaturperiode mehr als nur ein Austausch wird, weiß sie selbst noch nicht. Eine neue Beratungsstelle für junge Menschen mit psychischen Problemen wurde jedenfalls vorgestellt.

Parallel zu ihrem Engagement für die psychische Gesundheit von Jugend­lichen unterstützt Plakolm Bildung­s­minister Martin Polaschek bei der ­Wiedereinführung der verpflichtenden mündlichen Matura für 2022. Für die beiden Jahrgänge zuvor war die auf Grund der Coronakrise freiwillig gewesen. Wer mit den Belastungen der Pandemie zurechtkam und seine Leistung zeigen wollte, konnte das. Nun muss es wieder jeder, unterstützt von einem hochbudgetierten Programm für Nachhilfestunden. In ihrem Büro sei das eine Entscheidung ohne große Diskussion gewesen, sagt ein Mitarbeiter. Sowohl Plakolms Meinung wie auch die Parteilinie waren klar.

Die Leistungsideologie ist in Claudia Plakolms Denken tief verankert. Streberin sei sie nie gewesen, erinnert sich ihre Klassenvorständin. Die Matura bestand sie trotzdem mit ausgezeichnetem Erfolg. Und auch sonst zieht sich das Prinzip Leistung durch ihr Leben. Regelmäßig organisiert sie für ihre Parteikollegen Sportausflüge in die Natur. Sommerliches Wandern am Großglockner, Radfahren von Linz zur Parlamentssitzung in Wien. Claudia Plakolm zwingt sie mit einem Lächeln im Gesicht. Nicht alle ÖVPler sind so sportlich wie sie, nicht alle fahren gerne mit.

›Da gibt es dann nur Vollgas oder gar nicht – Erbarmen kennt sie keines‹, erzählt einer, der bei der Radtour schlapp gemacht hat. Das Politik-Handwerk lernt Claudia Plakolm früh. Als Landesschulsprecherin tourt sie durch die Schulen Oberösterreichs. Bei gemeinsamen Hausbesuchen mit ihrem Vater unterstützt sie dessen Bürgermeisterwahl. Seit 1983 war ihre Heimatgemeinde Walding rot. 2015 dreht Johann Plakolm die Stadt. Er steigt zum Bürgermeister auf, seine Tochter zieht in den Gemeinderat ein.

Während ihrer Zeit als Landesobfrau der Union Höherer Schüler Oberösterreich und zum Teil auch noch später, als Landesobfrau der JVP Oberösterreich, ist sie bei Parteikollegen als ›die Oberösterreicherin schlechthin‹ verschrien. Mit einem Obrigkeitsverdruss, mit dem sonst viele über Brüssel schimpfen, habe sie über den Bund und die Hauptstadt gesprochen. Dass ihr Ziel die Bundesregierung war, glaubt deswegen bis heute keiner ihrer Weggefährten. Vor der Designation zur Bundesobfrau der JVP habe sie sogar gezögert, die Chance anzunehmen, erinnert sich einer.

Vor ihrer Berufung zur Jugendstaatssekretärin saß Plakolm vier Jahre lang im Nationalrat – und fiel dort nicht als jemand auf, der sich in den Vordergrund drängt. Einige Oppositions-Abgeordnete spotteten mitunter über ›die älteste Jugendliche des Parlaments‹. Die Grüne Jugendsprecherin Barbara Neßler bezeichnet Plakolm hingegen als ›pragmatisch in der Sache und weniger ideologiebehaftet als andere Parteikollegen‹. Man schätze sie allgemein für ihre ausgesprochen freundliche Art und Handschlagsqualität bei überparteilichen Bemühungen, nicht für Überzeugungen oder gar eine Ideologie, für die sie brennen würde. ›Sie ist Realistin‹, sagt Eva Maria Holzleitner von der SPÖ.
Der Kurz-ÖVP war sie stets treu, immerhin verdankt sie dem Altkanzler und seiner Bewegung, dass junge weibliche Talente wie sie vor den Vorhang geholt wurden. Ihre tiefe Verbundenheit gilt aber dem Land, besonders Oberösterreich. Sie fährt gern von Zeltfest zu Zeltfest und drückt Heurigenbänke. Das ist die Art der Politik, die ihr liegt.

Bis auf das Streben nach Kontrolle und geschlossenen Reihen hat sie mit dem Manager-Stil wenig gemein, den Kurz und seine Entourage etablierten. Es war eine Gruppe der ÖVP, der sie nahestand, in der sie geschätzt und geduldet wurde. Zum inneren Kreis gehörte sie aber nie. Diese Distanz könnte ihr letztendlich den Posten als Staatssekretärin beschert haben. Gepaart mit einem ausgeprägten Naheverhältnis zu oberösterreichischen Landeshauptmännern. Thomas Stelzer hat sie als Staatssekretärin vorgeschlagen. Mit seiner Hilfe kam Plakolm auch bei den Nationalratswahlen 2017 als Unbekannte ad hoc auf den 2. Platz der Landesliste. Auch mit Alt-Landeshauptmann Josef Pühringer verbindet sie eine lange Geschichte. Als Kind klebte sie Fotos seines Gesichts auf Mannerschnitten, die im Wahlkampf verteilt wurden. ›Ich wurde unter Pühringer politisiert‹, sagt Plakolm. Bis heute stehen sie im Austausch. Von seinem Vorgänger Josef Ratzenböck habe sie gelernt, ›rauszugehen und bei den Menschen zu sein‹. In ihrem Büro am Ballhausplatz erzählt sie heute noch regelmäßig Anekdoten über die beiden Landeshauptmänner a.D.

Dort sitzt sie mit acht Mitarbeitern in zwei hohen, offenen Räumen. Das Büro leitet ihr alter JVP-Generalsekretär, ­Florian Dagn. Er gilt als jemand, der auch die Drecksarbeit erledigen kann, sofern das in einem Jugendstaatssekretariat nötig ist. Eine weitere Bürobesetzung lässt aufhorchen: Arno Melicharek, jener Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes, der einst die Festplatten der ÖVP schreddern ließ, arbeitet nun in ihrem Büro. Dieses Jahr stellte die Staatsanwaltschaft Wien das Verfahren endgültig ein. Maximal im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss wird die Geschichte noch eine Rolle spielen. Warum sich ein junges Team eine solche Altlast der Partei mit in ein achtköpfiges Büro nimmt, verwundert allerdings sogar manche in den eigenen Reihen. Plakolm verteidigt ihre Entscheidung. ›Arno ist ein junges, engagiertes Talent, das ich bewusst ins Team geholt habe. Rechtlich ist alles geklärt.‹

Die übrigen Mitarbeiter sind klassisch ÖVP-sozialisiert. Julias, Pauls und Martins aus den Bundesländern, die summa summarum alle Stationen der Bildungskarriere junger Leute abdecken. Migranten oder klassische Stadtkinder fehlen. An sich würde das keine Rolle spielen. Claudia Plakolm steht allerdings in der Kritik, eine ›Landjugendstaatssekretärin‹ zu sein, wie die Presse vergangenes Jahr titelte. Plakolm verneint das im Interview. ›Ich bin die Jugendstaatssekretärin für alle.‹ Aus ihrem Büro heißt es hinter vorgehaltener Hand, man sei sich dieses Problems durchaus bewusst, Plakolm sei es ebenso.

Es wird kein Leichtes sein, sich mit ihren politischen Standpunkten ein moderneres Image zu verpassen. Ihr alter Sager, mit 30 müsse man ein Haus gebaut, einen Baum gepflanzt und ein Kind bekommen haben, hat sie bei vielen einiges an Vorschuss-Vertrauen gekostet. Damals wusste sie noch nicht, dass sie später Jugendstaatssekretärin werden würde. Zu ihrer Aussage steht Plakolm aber nach wie vor.

Vor allem wegen der aktuellen Lage am Wohnungsmarkt hat der Sager nun jedoch einen bitteren Beigeschmack. Eigentum zu erwerben, wird teurer, und für die meisten Jugendlichen ist es finanziell keine Option. Grundsätzlich lebt fast jeder zweite Haushalt in Österreich zur Miete, bei Jugendlichen sind es noch mehr. Dem gegenüber steht eine Mietpreissteigerung von 2010 bis 2020 um 44 Prozent, während die allgemeine Teuerung bei 20 Prozent lag. Das zeigen Berechnungen des wirtschaftsliberalen Thinktanks Agenda Austria. Im Regierungsprogramm wurde ausgehandelt, dass die Kosten für den Makler in Zukunft vom Vermieter getragen werden sollen. ›Das gilt es gerade der Studierenden wegen schleunigst umzusetzen‹, sagt Plakolm. Für Maßnahmen wie eine Leerstandsabgabe sei sie offen, ›Priorität hat aber einmal die Neuregelung der Maklerprovision‹.

Plakolms Gretchenfrage wird auf kurz oder lang aber der Klimaschutz sein. Laut Jugend-Demokratiebericht ist das Klima für jeden vierten Befragten das wichtigste Thema. Davor reihen Jugendliche nur die Pandemie, und die wird ein Ende finden. Wenn Plakolm also die Interessen der Jugend vertreten möchte, muss sie beim Verhindern der Klimakatastrophe mitanpacken. Der Spagat zwischen Parteilinie und Klimaschutz im Sinne der Mehrheit der Jugendlichen könnte sie wie keine zweite Aufgabe in ihrer Zeit als Staatssekretärin auf die Probe stellen.

Plakolm und ihre Familie waren selbst bereits Opfer der schnellen Klimaveränderungen. 2013 wütete ein schweres Hochwasser in Oberösterreich. Die Region um ihren Heimatort Walding war stark davon betroffen. Der Familie Plakolm hob es den halben Vierkanthof aus. Im Erdgeschoss stand das Wasser bis zum Fensterbrett. Gute zwei Tage lebten drei Generationen Plakolm im Zimmer ihrer Schwester. Einmal täglich kam die Feuerwehr und brachte per Boot Sackerl mit Knacker und Semmeln. ›Solche Ereignisse sind unberechenbar und passieren, wie die Statistik zeigt, immer öfter‹, sagt Plakolm.

Trotzdem liefert die Staatssekretärin allenfalls zweideutige Signale in Richtung Klimabewegung. Anfang Februar waren drei Mitglieder von Fridays for Future bei Plakolm eine dreiviertel Stunde zu Besuch. Es sei ein interessiertes Kennenlernen gewesen, heißt es vonseiten der Aktivisten. Plakolm hätte viel zugehört und auf den überparteilichen Vorstoß der Jugendsprecher gegen die Aufnahme der in Österreich verschrienen Atomenergie in die EU-Taxonomie verwiesen. ›Und Gas‹, habe eine Aktivistin ergänzen müssen. Auch in Interviews unterschlägt Plakolm, dass Gas ebenso grün gelabelt werden soll. Sie spricht von Innovation statt Verbotskultur. Nimmt das Konsumverhalten des Einzelnen in die Pflicht und nennt die Lösung ›Klimaschutz made in Austria‹, ohne diese inhaltlich mit konkreten Maßnahmen auszuführen. ›Ich will klimafreundliche Investitionen besser subventionieren‹, sagt Plakolm.

Ob Subventionen für klimaschädliche Investitionen im Umkehrschluss sinken sollten, darauf will sich Plakolm noch nicht festlegen.
Genau wie der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig durch seinen Umgang mit der Klimabewegung riskiert auch Claudia Plakolm, eine ganze Generation zu verlieren – mit dem Unterschied, dass es ihre Generation ist. Wenn sie das verhindern will, muss sie wiederum mit dem Widerstand ihrer Partei rechnen. Es wäre aber auch eine Möglichkeit, bei der urbanen Jugend Österreichs Vertrauen zu erspielen.

Passend dazu schrieb ihr alter Schulkollege Fritz in der Maturazeitung kurz vor Abschluss folgende Zeilen über Plakolm. Er wundere sich, wie Claudia zwischen Schulpolitik, Prüfungen und der Musi in Walding so gute Leistungen erbringen könne. Er wäre da gern ein bisschen mehr wie sie. Ihre Klassenvorständin erinnert sich an den Grund. Plakolm habe stets genau gewusst, wo ihre Prioritäten liegen.

Als Staatssekretärin wird sie sich nun entscheiden müssen, ob sie der Partei oder doch der Jugend den Vorzug gibt. Beides wird sich nicht ausgehen. •

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