Warum man Radfahrer wie mich Extremisten nennt
Da gibt es etwas, das ich nicht verstehe.
Ich kenne mehr Menschen, die ein Rad besitzen, als solche, denen ein Auto gehört. So ist das eben wohl bei jungen Städtern im frühen 21. Jahrhundert, in meinem Fall Wien. Gleichzeitig kenne ich mehr Radhasser als Autohasser. Das hat damit zu tun, das kaum ein Radfahrer, den ich kenne, Autos hasst, die stärkste Emotion hier ist eher: Furcht. Andererseits halten überraschend viele der mir bekannten Autobesitzer den Gedanken an Radfahrer auf der Straße nur schwer aus – und Radfahrer selbst dann noch schwerer.
Ich weiß schon, wir in der Stadt erleben einen Verdrängungswettbewerb, der sich auf der Straße abspielt. Da geht es nicht nur um Gesundheit und Lifestyle, sondern um Platz, um Geld, um Deutungshoheit, kurz: um Macht. Aber jedes Mal, wenn die Kronen Zeitung gegen einen neuen Radweg mobilisiert oder jemand im Straßenverkehr stirbt, der in selbigem mit dem Rad unterwegs war, verstehe ich es noch weniger.
Ich selbst habe ein Jahresticket der Wiener Öffis, eine ÖBB-Vorteilscard, ein Auto und ein Fahrrad. Mobilität heißt für mich, für jeden Weg jenes Transportmittel zu wählen, das aufgrund der Umstände gerade am besten passt. Zum Einrichtungsgeschäft am Stadtrand fahre ich mit dem Auto, in den Urlaub eher mit dem Zug. Meine innerstädtischen Alltagswege erledige ich je nach Wetter, Gemüt und Entfernung mit Rad oder Öffis.
In die Arbeit etwa fahre ich so oft wie möglich und sinnvoll mit dem Rad (Gepäck, Anzugstermine, Witterung sprechen für mich oft für öffentliche Verkehrsmittel). Das tut meinem Körper gut, das tut meinem Kopf gut und – nein, man muss weder ein Grüner sein, noch eine 17-jährige Schülerin, um das zu erwähnen – es tut dem Klima gut.
Niemals wurde und werde ich so oft beschimpft und bedroht, mit Worten wie mit Fäusten, wie wenn ich mit dem Rad fahre. Und nichts, das ich sonst so anstelle in meinem Leben, scheint mir so gefährlich. Fünf Kilometer in Wien bedeuten in der Regel mindestens eine Vollbremsung, weil ein Autofahrer mich nicht mitdenkt, meistens öfters (ich empfinde keinen Hass, eher Furcht – siehe oben). Dabei fahre ich nicht auf Gehwegen, nicht gegen Einbahnen. Ich versuche, niemandem die Vorfahrt zu nehmen, niemanden zu provozieren, niemanden zu verletzen. Ich trage einen Helm, sitze aufrecht und wäre mein Fahrrad ein Tier, es wäre eine Kuh. Oder eine Schnecke. Eher passiv, eher harmlos, eher bedroht.
Und hier ist, was ich nicht verstehe: Wenn ich morgens mit dem Rad in die Arbeit fahre, wenn ich nachmittags mit unserer Tochter und dem Rad zum Einkaufen fahre oder mit der ganzen Familie am Wochenende an die Alte Donau radle, dann habe ich ein wenig überraschendes und, wie ich finde, plausibles Anliegen: Ich will mit dem Rad – wie mit jedem anderen Verkehrsmittel auch – eine Infrastruktur vorfinden, die für mein Fortkommen wie für das meiner Familie, meiner Freunde und aller radfahrenden Menschen, die ich persönlich nicht kenne, Sicherheit gewährleistet. Dazu gehören unter anderem Radwege, und zwar mehr davon. Bloß, warum nennt man Radfahrer wie mich deshalb Extremisten? Nein, das verstehe ich nicht.
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