›Wenn einer nicht lacht, sterbe ich‹
Die Autorin führt Gespräche ›Auf Leben und Tod‹, diesmal mit Kabarettist Christoph Grissemann.
Wann war Ihnen das erste Mal bewusst, dass es den Tod gibt?
Mit dem Tod meiner Großmutter. Da war ich zwölf. Das war der erste geliebte Mensch, der aus dem Leben schied. Ich erinnere mich daran, dass mein Bruder und ich auf dem Begräbnis Witze gemacht haben, weil es für uns eher ein kurioses Spektakel war. Den Tod habe ich dann erst Jahre danach begriffen.
Hat man damals mit Ihnen geredet?
Nein. Das war immer ein großes Tabu. Nur Betroffenheit und gesenkte Blicke. Verstehe ich auch. Man kann den Tod nicht begreiflich machen, oder? Er ist ein derartiger Skandal, das kann man nicht verstehen. Also was soll man sagen? Mir ist die alte Erklärung, der Verstorbene sitzt jetzt im Himmel auf einer Wolke fast am liebsten.
Stellen Sie sich das so vor?
Nein, natürlich nicht. Aber es wäre schön, oder? Leider hat es dann doch eher mit Würmern zu tun. Es gibt die vage Drei-Prozent-Wahrscheinlichkeit, dass das, was wir jetzt erleben, eine entsetzliche Prüfung ist, und nachher alles viel schöner.
Woran glauben Sie?
An das Nichts. Das ist doch logisch. Der Körper wird unter die Erde geschafft und aufgefressen. Nichts bleibt zurück. Ich will auch keine Spuren hinterlassen. Viele Menschen wollen ja ein Buch schreiben oder so. Das will ich überhaupt nicht. Ich will auch nicht, dass es nach meinem Tod ein ›In Memoriam Christoph Grissemann – seine schönsten Parodien‹ um 22 Uhr 30 auf ORF1 gibt. Das wäre mir ein Gräuel. Die Aufdringlichkeit brauche ich nicht. Und ich bin auch nicht so wahnsinnig überzeugt von meiner Arbeit, dass sie Bestand haben sollte. Es wäre mir sogar unangenehm, post mortem die Leute mit meinem humoristischen Gesamtwerk zu belästigen.
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Ich habe eher Angst vor dem Tod von anderen. Und größere Angst davor, dass mein Gehirn durchdreht. Dass ich verrückt werde. Dass sich Leute denken, da ist bei ihm wohl doch zuviel Wodka die Kehle hinuntergeflossen. Ich würde lieber am Sterbebett noch bei Sinnen sein und ein paar grade Sätze sagen können.
Wie wollen Sie denn sterben?
Natürlich ist die Klischeevorstellung direkt von der Bühne gekratzt zu werden ganz angenehm. Auf der anderen Seite stelle ich es mir auch nicht ganz ungemütlich vor, wenn man noch so zwei Wochen im Bettchen liegt und die Leute kommen vorbei und man macht letzte Konversation, streichelt sich noch und schläft dann so ein. Wir treten wirklich oft auf und ich habe manchmal diesen Rückzugsgedanken, dass ich gerne ins Spital möchte, wo man sich um mich kümmert. Man kann das Bett verstellen und ist reduziert auf diese letzten Dinge. Das ist ein tröstlicher Gedanke.
Sie sagen ja auch, das Leben ist viel zu lange.
Irgendwie finde ich das. Mit dreißig hatte ich eine ganz andere Lebensqualität als jetzt. Am Alter ist nichts Schönes. Es wird alles immer schlechter. Die Feste, die man besucht, sind in der Regel traurig und nicht schön; es tut alles weh; man wird leistungsschwacher; man ist nicht mehr so wendig im Kopf; man wird hässlicher – es gibt keine Vorteile im Alter.
Erfahrung, Ruhe, Gelassenheit?
Das ist doch Blödsinn. Je älter ich werde, desto unruhiger werde ich. Ich war mit 25 wesentlich selbstbewusster als jetzt. Heute kann mich alles aus der Ruhe bringen. Wenn heute einer im Programm nicht lacht, sterbe ich. Ich denke mir aber auch nicht, ich muss die immer weniger werdende Zeit nutzen. Im Gegenteil. Eher Gastgarten oder eben Krankenbett. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich etwas versäumt habe. Wenn es jetzt zu Ende geht, würde ich bilanzieren: War schon ganz okay.
Sie könnten das Hospiz vorziehen und sagen, ich lasse das mit der Arbeit sein.
Und mich gleich ins Sterbebett legen? (lacht)
Eher Gastgarten.
Ich habe tatsächlich vor, in vier bis fünf Jahren mit allem aufzuhören. Ich will meinem Leben gerne noch die Chance auf eine Komplettänderung geben. Ich mache seit dreißig Jahren exakt das Gleiche. Das ewige Funktionieren. Ich bin nur so antriebslos. Es wäre mir also auch recht, wenn das jemand für mich entschiede, wenn sie mich einfach aus dem ORF rausschmeißen würden. Bühnenverbot auf allen Ebenen.
Nach Kärnten ziehen?
Dort sind wir ja leider auch wieder gut gelitten.
Sie haben mal gesagt: ›Lieben tu ich meine Arbeit nicht.‹ Was in Ihrem Leben lieben Sie denn?
Es hat sich herausgestellt, dass die Vorfreude bei allen Dingen immer die schönste Freude ist. Ich freue mich immer auf Reisen und wenn ich dann mittendrinnen bin, finde ich sie todlangweilig. Das führt aber auch nicht dazu, dass ich bei der nächsten Reise nicht wieder eine irre Vorfreude habe. All das, was sich im Kopf abspielt, ist immer schöner als in der realen Umsetzung. Und das Gefühl liebe ich schon, dieses ›Das könnte etwas werden‹. Es löst sich halt in Wahrheit nur ganz, ganz selten ein. Was ich auch liebe, sind Ausflüge in Berauschungen. Haltlose Besäufnissen mit Freunden. Es gibt wenig Schöneres als so in den Tag hineinzutrinken. Open End. Ich bin dafür auch sehr konsequent in meiner Arbeit, noch nie haben wir einen Termin wegen Krankheit abgesagt, obwohl sowohl Stermann als auch ich manchmal krank waren. Da habe ich schon das Gefühl, wenn ich das tue, dann verliere ich mein Leben.
Sie haben mal gesagt: ›Ich würde Grönemeyer nie zum Tod seiner Frau befragen, weil sich das nicht gehört.‹ Nach dem Tod von Jörg Haider haben Sie in der Sendung sieben Minuten lang darüber gewitzelt. Wo ziehen Sie bei Tod und Humor die Grenze?
Wahrscheinlich sind Krankheit und Tod die Themen mit den meisten Witzen überhaupt. Wie viele Witze gibt es, die beginnen mit: Kommt ein Mann zum Arzt … Und auch der Tod, da gibt es keine Grenzen. Nur wenn es um direktes menschliches Leid geht. Wenn bei einem Auftritt jemand in der ersten Reihe sagen würde, meine Frau ist vor einer Woche gestorben und leider konnte ich nur eine Karte wahrnehmen, dann würde ich darüber keine Witze machen.
Ist an sich schon komisch.
Stimmt. Bei Haider haben wir übrigens über die Inszenierung des Begräbnisses Witze gemacht und nicht über den Tod. Ich würde nicht über die Witwe von Haider Witze machen. Aber man kann herrliche Witze über den Tod machen. Das macht ihn nicht weniger bedrohlich. Es ist auch kein Schutz oder Bewältigungsstrategie. Es ist nur Ablenkung. Wenn gelacht wird, ist der Mensch für zwei Sekunden glücklich. Ich glaube, man kann nicht lachen und zur selben Zeit traurig sein. Humor ist nichts, was die Sache besser oder anders macht, aber sie kann kurz von der Dramatik ablenken.
Was macht Ihr Leben lebenswert?
Schon die Tatsache, dass ich das, was ich am ehesten machen will, machen darf. Ich kann meine Ideen verwirklichen. Ich bin nicht in einem Job verhaftet, den ich hasse, und das macht es schon halbwegs lebenswert. Und es ist ja nicht so, dass ich das Leben hasse. Natürlich machen die Menschen, die ich gerne mag, mein Leben lebenswert.
Was wollen Sie in diesem Leben noch machen?
Fünf Jahre als Humorist arbeiten und dann hoffe ich, dass ich die Schäfchen halbwegs im Trockenen habe, um noch etwas anderes zu sehen. Ich würde gerne woanders leben, in Portugal zum Beispiel. Raus aus dem Trott wäre ein Ziel. Und ob ich das schaffe, noch auf eine andere Weise glücklich zu werden, das ist eine Herausforderung. Lesen, leben, trinken, essen. Ein gutes Nichtstun.
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