Wenn Städte Früchte tragen
Handwerk, Industrie und Landwirtschaft werden seit Jahrzehnten aus den Städten verdrängt, aus ökologischen Gründen sollen sie nun wieder zurückkommen. Der Altmarktgarten im deutschen Oberhausen zeigt, wie das trotz Platzmangel für alle Vorteile bringen kann.
Wolfgang Grüne sieht Namenswitze pragmatisch. ›Nomen est omen‹, sagt der einzige Gärtner im Gewächshaus Altmarktgarten. Seine Arbeit unter Sonne und Glas hoch am Dach eines fünfstöckigen Backsteinhauses folgt einer festen Routine. Zuerst begutachtet er die schwimmenden Salate. Wenn Wolfgang Grüne vorsichtig ihre Köpfe aus dem mit Nährstoffen versetzten Regenwasser hebt, kommt der lange, tropfende Strunk an Wurzeln zum Vorschein. Sie sehen dann etwas aus wie grüne Quallen. Danach pflegt er die Erdbeeren, hegt die Kräuter und rückt ihre Töpfe zurecht. Nach der Ernte landet der Rucola, der hier wächst, 20 Meter tiefer in umliegenden Restaurants auf der Pizza, das Basilikum im Pesto und die Erdbeeren im Mund. Die Distanz zwischen Essen und Anpflanzen: ein paar Häuserecken.
Das Dachgewächshaus Altmarktgarten im deutschen Oberhausen ist Teil der Bemühungen, die Produktion wieder in dicht besiedelte Räume zurückzuholen. Die Stadtplaner von heute reagieren damit auf einen Trend, den ihre Vorgänger zu verantworten haben: Weil sie jahrzehntelang Arbeiten und Wohnen strikt getrennt haben, verdrängt die wachsende Bevölkerung Handwerk, Industrie und Landwirtschaft aus unseren Städten. Was früher aus gesundheitlichen Gründen sinnvoll war, ist heute vor allem ineffizient und klimaschädlich. Statt im Miteinander Platz und Ressourcen zu sparen, werden Wege verlängert und Fläche verbraucht. Aber die Rückholaktion der Produktion in die Stadt ist alles andere als leicht. Denn wenn dort eines rar ist, dann Platz.
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