›Wer da ist, hat anständig da zu sein‹

Die Autorin führt Gespräche ›Auf Leben und Tod‹, diesmal mit Politikerin Heide Schmidt.

DATUM Ausgabe Oktober 2017

Wann war Ihnen das erste Mal bewusst, das es den Tod gibt?

Heide Schmidt: So mit elf Jahren habe ich mir ein Tagebuch gekauft. Und da habe ich dann auch begonnen, mich mit dem Tod zu beschäftigen, das kann ich so nachlesen. Allerdings habe ich mehr begonnen, mich mit dem Sinn des Lebens auseinanderzusetzen und da ist der Tod ein Teil des Ganzen. So war meine Beschäftigung mit dem Ende des Lebens über den Sinn des Lebens verbunden.

Es war also nicht der Tod eines geliebten Menschen, der Sie darauf gebracht hat?

Schmidt: Ich erinnere mich an kein Schmerzerlebnis in meiner Kindheit. Wir hatten auch keine Haustiere, sogar das fehlt. Als ich 21 Jahre alt war, ist mein Großvater gestorben. Ich hatte nicht so einen engen Kontakt zu ihm, aber er war mir lieb-vertraut. Er ist zuhause gestürzt und ich habe ihn mit der Rettung ins Krankenhaus gebracht und er ist innerhalb weniger Tage gestorben. Jetzt bin ich schon fast siebzig und mich berührt das immer noch, wenn ich daran denke. Wie er da so still und bedürftig im Bett lag, wie sich der Körper und seine Wesensart innerhalb kürzester Zeit verändert hat, wie man gemerkt hat, dass er jetzt auf das Aus zugeht – das war für mich ein schrecklicher Schmerz. Wenn ich darüber rede, sehe und spüre ich ihn immer noch vor mir. Das war ein einschneidendes Erlebnis.

Hat Ihnen sein Tod Angst gemacht?

Schmidt: Nein. Ich erinnere mich nur an das Nicht-Begreifen-Können. Daran, das Ende nicht erfassen zu können. Meine Konnotation ist nicht angstbehaftet, sondern da steht das Unbegreifliche im Vordergrund. Ich habe Angst vor Abhängigkeit, Ohnmacht, aber vor dem Tod selber nicht. Und das weiß ich auch bestimmt. Vor neun Jahren hatte ich eine ernste Operation vor mir und der Arzt hat mir gesagt, die Gefahr, dass ich sterbe liegt bei 1 zu 100. Das zu hören ist ein Einschnitt. Da fragst du dich: Was, wenn es jetzt aus ist? Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, dass ich keine Angst habe. Das Leben, das hinter mir liegt, ist um einiges qualitätsvoller als viele andere, ich habe keinen Grund zur Klage. Und ich hab mir gedacht, wer weiß was noch auf mich zukommen würde. Der positive Rückblick und das Gefühl von ›Wer weiß, was mir erspart bleibt‹ waren wesentliche Haltegriffe. Da war ein eigenartiger Fatalismus. In der ersten Woche wollte ich zuhause noch aufräumen, um niemandem Arbeit aufzubürden. Dann war mir auch das egal.

Haben Sie vorher denn noch etwas Bestimmtes gemacht?

Schmidt: Eigentlich nicht. Das ist ein Privileg im Leben. Ich habe nicht das Gefühl, das ich einen Knoten lösen muss.

Was ist das Qualitätsvolle im Leben?

Schmidt: Dass beim Blick zurück die positiven Dinge die negativen um vieles überwiegen. Das halte ich für ein privilegiertes Leben. Da war so viel Herausforderndes und Aufregendes und Spannendes. Das ist schon etwas Besonderes.

Was macht Ihr Leben für Sie so besonders lebenswert?

Schmidt: Das muss ich sehr puritanisch beantworten. Ich lebe stark in dem Bewusstsein, dass ich ohne mein Zutun in die Welt gekommen bin. Und wenn man da ist, muss man etwas Anständiges draus machen. Ich glaube, ich bin über die Jahre ein sehr dankbarer Mensch geworden. Dass ich heute angst- und schmerzfrei und ohne Existenzangst leben kann, halte ich für ein Geschenk.

Sie sind für den Ausbau der Palliativmedizin und treten für Sterbehilfe ein. In einem Interview haben Sie gesagt, Sie wünschen sich eine politische Debatte zum Thema Sterbehilfe. Was wäre Ihnen dabei wichtig?

Schmidt: Ich verstehe, dass man das als gläubiger Mensch nicht respektieren kann. Soll sein. Ich bin für eine Trennung von Religion und Staat. Der Staat darf nicht so einen Maßstab haben, unter welchen Bedingungen Sterbehilfe straffrei sein darf. Die Vorstellung, dass jemand ausgeliefert ist und nicht mehr in der Lage ist selbstbestimmt zu sein und er dennoch niemanden darum bitten darf, ihm beim Sterben zu helfen, halte ich für menschenunwürdig. Es muss einen legalen Ausweg geben. Zumindest die Beihilfe zum Suizid muss in Österreich straffrei sein.

Was, glauben Sie, passiert nach dem Tod?

Schmidt: Ich habe mich mit dem Begriff Nichts arrangiert. Und mit der Zeit wird das langsam zu einer Akzeptanz.

Haben Sie dadurch das Gefühl, in diesem Leben mehr machen zu müssen?

Schmidt: Nein. Wenn man gläubig ist, mag das eine Verpflichtung fürs Leben sein. Ich nehme meine Verpflichtung daraus, dass ich da bin. Wer da ist, hat anständig da zu sein. Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem andern zu: Dieser Satz, den man in der Kindheit mitbekommt, ist mein Lebensmotto geworden. Da gibt es keinen Konnex um das Ende des Lebens, sondern um das Da-Sein. Der beinhaltet allen Anstand, den unsere Gesellschaft brauchen könnte. So absurd simpel es klingt.

Was wollen Sie in diesem Leben noch machen?

Schmidt: Ich habe noch ein großes Vorhaben – möchte aber nicht darüber sprechen. Und dann geht es um die Freiheit einfach in den Tag hineinzuleben. Der Begriff des Müßiggangs ist für mich ein Qualitätsbegriff. Ich erinnere mich, wann ich das zum ersten Mal so gesehen habe, das war wie ein Erweckungserlebnis für mich. Ich war in Griechenland, in einer Taverne, durch Zufall und ich konnte dort nicht weg. Ich saß also in einer Art bewachsener Laube und konnte am Schatten sehen, wie die Sonne weitergezogen ist. Und plötzlich habe ich den Gegensatz so intensiv gespürt, von meinem Leben und dem Leben der Menschen dort. Das war ein Umsteigen in meiner Wahrnehmung und plötzlich hatte ich das Gefühl: So könnte ich auch leben. Ich kann das.

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