Wie es ist … nach Syrien zurückzukehren
Es war 6:30 Uhr, als mich die Nachricht erreichte: Das Regime von Baschar al-Assad ist gestürzt worden. Ich lag noch im Bett in meiner Wohnung im 14. Bezirk in Wien und konnte nicht glauben, was arabische Medien berichteten. Nach mehr als 13 Jahren brutalster Unterdrückung war das Regime innerhalb einer Woche gefallen. Sofort überkamen mich Freudentränen. Ich habe selten so viel geweint wie an diesem Tag.
30.000 Menschen feierten auf den Straßen Wiens. Auch die österreichische Politik freute sich. Nicht wegen des Sturzes des Diktators, sondern weil Syrer jetzt wieder abgeschoben werden können. Keine neuen Asylverfahren, laufende Verfahren werden gestoppt, und Vorschläge, Syrer abzuschieben, hörte ich in den Nachrichten. Ich war enttäuscht und traurig, aber nicht überrascht.
Seit drei Jahren war ich nun in Österreich, hatte aber nur subsidiären Schutz. Meine Hoffnung auf Asyl war endgültig gestorben. Bis die Verfahren wieder aufgenommen werden, könnte es Jahre dauern. So lange wollte ich nicht mehr ohne meine Familie sein – ohne meinen Sohn, den ich zuletzt gesehen habe, als er drei war. Heute ist er sieben.
Am 17. Dezember fragte ich bei der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen nach, ob es eine Möglichkeit für eine Rückreise nach Syrien gibt. Keine zwei Wochen später saß ich gemeinsam mit neun anderen Syrern in einem Bus in Richtung Flughafen. So schnell habe ich die österreichischen Behörden noch nie arbeiten sehen. Mit 20 Kilogramm Gepäck pro Person flogen wir über Istanbul nach Amman. Österreich bescherte uns eine angenehme Heimreise, bezahlte eine Übernachtung im Hotel in Jordanien, den Transport bis zur syrischen Grenze und gab uns sogar noch tausend Euro mit auf den Weg.
An der Grenze zu Syrien warteten wir zehn Stunden, bis uns ein Bus abholte, der uns nach Damaskus brachte. Ein Blick aus dem Fenster: Alles war zerstört, kein Gebäude mehr intakt. Aber das Wissen, dass an der Bushaltestelle mein Sohn und mein Bruder auf mich warteten, überstrahlte jedes Gefühl von Trauer. Der Moment des Wiedersehens war wahrscheinlich der schönste meines Lebens. Wieder flossen viele Tränen.
Gemeinsam fuhren wir nach Ghuta, 20 Kilometer außerhalb von Damaskus, wo meine Familie lebt. Ich kam am Silvesterabend an. Wir feierten, spielten Al-Balli – ein syrisches Murmelspiel – und Familie und Freunde kamen zu Besuch, auch meine Mutter, die ich nach 14 Jahren endlich wieder in den Arm nehmen konnte. Die Euphorie der ersten Tage verblasste aber schnell. Wir haben nur wenige Stunden Strom am Tag, Wasser kommt unregelmäßig, Gas ist kaum erhältlich. Lebensmittel sind zwar verfügbar, aber wir können sie uns nicht leisten. Nach bezahlter Arbeit zu suchen, bringt nichts. Es gibt keine. 200.000 Menschen werden vermisst, auch viele meiner Freunde und Bekannten.
In meiner Gemeinde versuchen wir die Straßen wieder herzurichten, um unsere Hoffnung auf einen Wiederaufbau aufrechtzuhalten. An eine Zukunft in Demokratie und Frieden denkt hier niemand. Die Menschen haben Hunger. Wer das Land regiert, ist ihnen egal, sie wollen Essen, Medizin und Arbeit. Ich habe keine Ahnung, was die nächsten Monate und Jahre bringen werden. Niemand weiß das hier. Aber meine Familie werde ich ganz bestimmt nicht mehr verlassen. Sie bei mir zu haben ist mehr wert als alles andere. •