Wir alle leben in einem gelben U-Boot
In Literatur, Wissenschaft und Popkultur feiern die Beatles wieder einmal ein Comeback. Warum die Band und ihr Jahrzehnt immer noch Glück verheißen.
Dichter sind Lügner‹, meinte der griechische Philosoph Platon, sie lieferten unter anderem der Jugend falsche Vorbilder, und deshalb müsse man sie aus dem idealen Staat verbannen. Tatsächlich schreibt (oder lügt) ein Dichter, ein 14-Jähriger sei 1969 in einer Schachtel nach England gereist, um den betrunkenen Rolling-Stones-Gitarristen Brian Jones in den Swimmingpool zu stoßen, weil er dadurch über Umwege die Beatles retten wollte (Frank Witzel in ›Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969‹, 2015). Ein anderer behauptet, John Lennon habe nach einem turbulenten zweimonatigen Aufenthalt in Irland 1978 in London eine ›okkulte Jazz-Platte voller Schreien und Kreischen, gezeichnet von Gewalt, Liebe und Zärtlichkeit‹ aufgenommen, während er in Wirklichkeit in New York das glatte und brave ›Double Fantasy‹ eingespielt hat (Kevin Barry in ›Beatlebone‹, 2015). Ebenso gelogen ist die Beschreibung der Zeitreise eines Beatles-Fans ins London des Jahres 1966, um zu hintertreiben, dass John Lennon Yoko Ono kennenlernt und damit zu verhindern, dass die Band zerbricht. (Gerhard Henschel in ›Der dreizehnte Beatle‹, 2005). Ein Film von 2019 fügt noch weitere himmelschreiende Lügen hinzu. Darin vergisst die Welt überhaupt, dass es die Beatles jemals gegeben hat, außer einer Person, die dann mit den Beatles-Songs berühmt wird (Danny Boyles ›Yesterday‹).
Die Fab Four aus dem Bewusstsein der Welt ausradiert? All die Tonträger? Die oben genannten Bücher? Die 171.063 Treffer, die das Schlagwort ›Beatles‹, eingegeben in den Online-Katalog der Unibibliothek Wien, ergibt? Die 234 österreichischen Hochschulschriften, die sich in irgendeiner Form der Band widmen? Die Absolventinnen und Absolventen des Master-Studiengangs ›The Beatles, Popular Music & Society‹ an der Liverpool Hope University?
Der Schriftsteller Rudolf Borchardt schrieb in einem anderen Zusammenhang davon, dass Geschichte sei, was gewesen ist, und Literatur, was hätte sein können. ›Das Mittlere zwischen beiden […] ist, was hätte sein sollen, ja, hätte sein müssen.‹ Was mit den Beatles ›hätte sein müssen‹, entspringt dem Wunsch, die existierende Wirklichkeit nachträglich zu ändern.
Wörter: 1954
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