Wo sind die Erwachsenen?

Warum sich die SPÖ weiterhin selbst beschädigt.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe September 2023

Faustregeln sind auch nicht mehr das, was sie waren. Jene der hundert Tage Frist für die Einarbeitung in eine Funktion haben im Fall des neuen SPÖ-Chefs Andreas ›Andi‹ Babler vor allem seine Parteifreunde entsorgt. Sie haben ihn den ganzen Sommer über keine Schonfrist gegönnt. Die Wiederaufnahme der Politshow ›Schlag die Führung‹ geriet zum Sommertheater. Die erste Staffel mit Hauptdarstellerin Pamela Rendi-Wagner war erst vor Kurzem abgespielt, der verunglückte SPÖ-Parteitag war der sogenannte Cliffhanger, und dann gingen die internen Beschädigungen von vorne los. Einzig positiver Aspekt:
Die für die SPÖ Verantwortlichen begannen sich an einem Mann ähnlich abzuarbeiten wie zuvor an einer Frau. Gelebte Gleichbehandlung sozusagen. 

Das allerdings macht die Sache nicht erträglicher. Niemand außer ein paar radikalisierten Linken-Hassern, ob bei ÖVP, FPÖ oder in den Medien, sozial oder nicht, kann nämlich ein Interesse an einer zerstörten Sozialdemokratie haben. Es wäre ein Leichtes, sich über die Vorgänge in der SPÖ lustig zu machen. Man könnte über rote Sandkastenspiele schreiben, die letzten Erwachsenen in der Partei suchen, sich fragen, ob der Parteiapparat – kommunikations- und marketingtechnisch – rein gar nichts aus den schweren Fehlern gelernt hat. 

Ist denn etwa niemandem aufgefallen, wie skurril der Auftritt Bablers in Tirol wirkte? Da kündigte er parlamentarische Zusammenarbeit mit der FPÖ an, während das Privatleben des ebenfalls anwesenden Landeschefs Georg Dornauer mit einer postfaschistischen italienischen Politikerin die Sommerschlagzeilen beherrschte. Das Ganze musste die Gräben in der SPÖ noch tiefer machen. Und Bablers Glaubwürdigkeit beschädigen: Also doch Rot-Blau. Der Hohn und die gleichzeitigen Angriffe Kickls auf die SPÖ ließen Babler noch führungsschwächer erscheinen. Ein Geschenk für die ÖVP, und keiner merkte es. 

Aber Bablers eigene Genossen hatten ausreichend Vorarbeit geleistet. Hans Peter Doskozil, der Senioren-Trotzkopf aus dem Burgenland, ließ Babler öffentlich desavouieren. Keine Position Bablers, das nicht von jemandem in den Bundesländern oder in Wien angezweifelt wurde – ob Direktwahl der SPÖ-Führung oder Tempo 100 auf Autobahnen, ob Koalition oder Asylpolitik. 

Es scheint, als ließe das Parteiestablishment Babler genauso im Stich wie Rendi-Wagner. Nur, sollte er scheitern, wird es bald keine SPÖ-Führungsschicht mehr geben. 

Und er dürfte scheitern, wenn er sich nicht an Franz Vranitzky ein Beispiel nimmt. Dieser hatte in den 90er-Jahren in einer Zeit extremer Selbstgefälligkeit die Genossen auf ihre Abhängigkeit von ihm aufmerksam gemacht. Babler müsste mit einer ähnlichen Ansage Ruhe in der Partei anordnen, sich Querschüsse verbieten, für einen reibungslosen innerparteilichen Kommunikationsfluss sorgen, intern Überzeugungsarbeit leisten, inhaltliche Ungereimtheiten beseitigen, sich nicht verunsichern lassen und mit einer verständlichen politischen Agenda in die Nationalratswahl gehen. 

Das wenigstens sollte man von ihm erwarten dürfen. Wenn er nicht liefern kann, wird eine andere Faustregel wirksam: Wer die Hitze nicht verträgt, sollte die Küche verlassen. 

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