Gebt Gas

Ein Wiener Startup stellt mit Hilfe urzeitlicher Mikroben aus CO2 heißbegehrte Aminosäuren her. Ein Milliardengeschäft – wenn die Skalierung aufgeht.

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Fotografie:
Susi Mayer
DATUM Ausgabe September 2023

Der nagelneue mannshohe Stahltank im Technologiezentrum in der Seestadt glänzt unter der Neonröhre. Druckventile, Absaugvorrichtungen, Hightechmesstechnik und Zentrifugen stehen bereit. Noch ist der Tank im unscheinbaren Containerlabor leer. Bald wird in ihm ein Prozess stattfinden, den Wissenschaftler und Klimaschützer auf der ganzen Welt seit Jahrzehnten herbeisehnen. Eingebettet in die steppenartige Umgebung direkt an der Endstation der Wiener U2 entstehen bald reine Aminosäuren, die Bausteine aller Proteine, und das scheinbar aus dem Nichts. Alles, was das Team des Startups Arkeon braucht, um die begehrtesten Mikronährstoffe der Ernährungsindustrie herzustellen, sind Kohlendioxid, Wasserstoff, ein paar Salze und Mikroben mit dem klingenden Namen Archaeen. Die urzeitlichen Einzeller, deren natürliches Habitat unter anderem Vulkanquellen sind, ernähren sich von CO2 und produzieren mittels Fermentation Aminosäuren, die Arkeon erntet und als Pulver an die Lebensmittelindustrie verkaufen will. ›Es ist wie Bierbrauen, nur umgekehrt‹, sagt CEO Gregor Tegl. ›Bei uns ist nicht Zucker, sondern CO2 das Futter, und wir erhalten Aminosäuren statt Alkohol.‹

Die Technologie, mit der Gregor Tegl und sein Team aus CO2 vermarktbare Produkte machen, fällt unter die Anwendungsbereiche von ›CCSU‹ oder ›CR‹, also Carbon Capture Storage and Utilization sowie Carbon Removal. Zu Deutsch Auffangen, Verwahren und Verwenden von Kohlendioxid oder das Entfernen von Kohlendioxid aus der Atmosphäre. Zurzeit ist die Anreicherung von CO2 in der Atmosphäre mit einer übergehenden Badewanne vergleichbar, in die weiterhin Wasser läuft. Den Wasserhahn zuzudrehen, entspricht einer Emissionsreduktion von CO2, etwa durch Abgasreduktionen in der Industrie: Es entstehen weniger Emissionen. Das Speichern oder Verwenden von CO2 entspricht einem Glas, das unter den Wasserhahn gehalten wird und dessen Inhalt dann woanders landet oder verwendet werden kann: Es entstehen zwar neue Emissionen, diese gelangen jedoch nicht mehr in die Atmosphäre. Und das Entfernen von CO2 durch Carbon Removal entspricht dem Ablassen von Wasser durch Ziehen des Stöpsels und dem Aufmoppen des Badezimmerbodens, nachdem die Badewanne bereits seit Jahrzehnten übergelaufen ist: Vorhandenes CO2 wird aus der Atmosphäre entfernt.

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