Wünschenswerter Größenwahn
Warum wir Journalisten brauchen, die etwas riskieren.
Es hat vermutlich mit einer extremen Naivität zu tun, wenn man glaubt, dass jene Figuren an der Spitze des (seriösen) Journalismus’ so etwas wie den moralischen Kompass einer Gesellschaft darstellen könnten. Die Annahme, dass sie als Erste ausschlagen, wenn die Dinge in die falsche Richtung laufen, weil sie sich in ihrem Selbstverständnis tatsächlich als Teil der berühmten vierten Säule der Demokratie begreifen. Ich trage diese Naivität immer noch irgendwo mit mir herum, vermutlich, weil ich solchen Figuren begegnen durfte. Personen, die dieses fast schon megalomanische Ethos dermaßen verinnerlicht haben, dass es sie nicht nur in ihrer Arbeit antreibt, sondern sie dafür auch bedroht, gefeuert, inhaftiert und exiliert wurden. Es ist ein seltener und in seiner Unbeirrbarkeit exotischer Schlag Mensch, den ich kaum in etablierten Redaktionen angetroffen habe.
Dort begegnete ich vorrangig jenem, der sich oft nicht einmal traut, dieses Ethos im Kleinen aufrecht zu erhalten, etwa gegenüber den Kolleginnen und Vorgesetzten, weil es die Karriere, die Jobsicherheit oder auch nur die eigene Gemütlichkeit gefährden könnte. Wozu unbequem sein, wenn es sich öffentlich nicht heldenhaft ausspielen lässt, sondern nur hinter verschlossenen Türen im besten Fall dafür sorgt, dass die Dinge korrekter ablaufen? ›Ein feudales System, in dem die Angst regiert habe‹, hat Zeit-Kollegin Christina Pausackl in ihren Recherchen über die sexuellen Belästigungsvorwürfe rund um Wolfgang Fellner das Klima in seiner Redaktion genannt, in dem Mitwisser geschwiegen haben. Zugegeben, Fellner zählt weder zur Spitze des seriösen Journalismus noch gilt er – hoffentlich – als moralischer Kompass für irgendeine Gesellschaft. Aber es ist das Verhalten der Umgebung, das stutzig macht und ansteckend zu sein scheint. Es ist ein einlullender Korpsgeist, wie er so oft in Unternehmen gelebt wird. Mit dem Unterschied: In Redaktionen darf er nicht gelebt werden, weil er unsere Glaubwürdigkeit gefährdet, die ohnehin angeschlagen ist.
›Erleben wir gerade den Zusammenbruch der österreichischen Medienlandschaft?‹ hat mich eine deutsche Kollegin im Dezember gefragt. Es kam so nebenbei, weil sie die Nachrichten verfolgt hatte, zuerst jene über zwei Chefredakteure, deren plumpe Anbiederungen an die Politik aufgeflogen waren, später den Verstümmelungsplan der Regierung für die Wiener Zeitung, der von der journalistischen DNA der ältesten noch erscheinenden Tageszeitung der Welt wenig übrig lassen will, bis hin zu den Personalrochaden des Nachrichtenmagazins Profil. Darüber darf im Detail ja nur im Ausland gesprochen werden. Dort können die Dinge beim Namen genannt werden, ohne dass man dafür verklagt wird. Das hat Kommunikationswissenschafter Fritz Hausjell jüngst in einem hörenswerten Beitrag des Deutschlandfunk getan.
In der Zwischenzeit zementieren Politiker ihr Image als Totengräber der Branche, wenn sie ihr verstörendes Verständnis der vierten – und dritten – Gewalt offenbaren. So sagte etwa der ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker im Standard: ›Auch Politiker dürfen Medien und Justiz auf die Finger schauen. Das ist das Wesen einer liberalen Demokratie.‹ Lässt sich das Wort ›Demokratie‹ einmal in den Mund nehmen, ohne es mit der eigenen Machtbesoffenheit zu pervertieren?
Vielleicht gelingt es uns, die wir mit unserer journalistischen Arbeit hierzulande nichts auf Spiel setzen, dem Größenwahn hinsichtlich unseres Selbstverständnisses in aller Naivität wieder öfter freien Lauf zu lassen. Wir hätten am meisten etwas davon, vor allem angesichts solcher liberaler Demokraten. •