2005: Chöre des Schweigens
Jahrelang sammelte ein Bürger eines kleinen Ortes im Innviertel Darstellungen von Kindesmissbrauch.* Der Bürgermeister stellte sich hinter ihn – und polarisiert die Dorfgemeinschaft.
Es kamen keine konkreten Personen zu Schaden‹, steht in dem Rundschreiben. Er habe schon vor einiger Zeit aufgehört, ›sich per Internet damit zu beschäftigen‹. Die Gerüchte über Florian P. (Name v. d. Red. geändert) seien kein Grund, auf sein Mitwirken im Ort zu verzichten. Nur keine Aufregung.
Es war ein Rundschreiben der etwas anderen Art, das der Bürgermeister am 29. Juni 2005 unterzeichnete. Es sollte eine Hilfe für einen alten Freund werden. Adressiert an jeden Haushalt in Antiesenhofen, damit es alle 1.100 Bürgerinnen und Bürger zu lesen bekommen. Unterschrieben vom Bürgermeister, von der Volksschuldirektorin und von einem Kinderpsychologen, damit der Inhalt Gewicht bekommt. Diesmal ging es nicht um den Musikverein oder die Sperrmüllsammlung. Diesmal ging es um böse Gerüchte, die sich um einen angesehenen Mitbürger rankten. Um einen alten Bekannten, um ein gern gesehenes Gesicht im Ort. Es ging um Darstellungen von Kindesmissbrauch.
Hinter der Geschichte
Ich habe 20 Jahre lang als schreibender Journalist gearbeitet, aber dieser Text ist ganz sicher mein bester. Das ist witzig, denn er war erst mein zweiter. Die jugendliche Naivität war mir damals bei der Recherche sehr hilfreich – ich wollte einfach etwas Gutes abliefern. Soweit ich mich zurückerinnern kann, hatte die Idee für die Geschichte Klaus Stimeder, der kommt ja aus der Gegend im Innviertel. Er hat mir den Kontakt zu einem ehemaligen Bürgermeister der Gemeinde gegeben. Wir fuhren dorthin und haben alle neuralgischen Punkte abgeklappert, sprechen wollte über das Thema aber eigentlich niemand. Als die Geschichte dann rauskam, stellte trotzdem die einzige Trafik im Ort, bei der man Magazine kaufen konnte, die Ausgabe aus. Aber nicht wie normalerweise mit dem Cover als Blickfänger, sondern mit der aufgeschlagenen Geschichte.
Ich war in den Anfängen einige Zeit als freier Autor bei DATUM dabei. Nach meinem FH-Abschluss war ich kurz bei der damals neuen Österreich-Zeitung, bin aber sofort weiter zum Kurier. Nach einem Jahr in Buenos Aires wurde ich dann 2009 der erste bezahlte Redakteur bei DATUM. Zwei Jahre später zog ich zur Presse weiter, wo ich mich auf den Wirtschaftsjournalismus spezialisiert habe. Zuletzt war ich bei Agenda Austria, bevor ich selbstständiger Medienunternehmer wurde. Heute betreibe ich einen Podcast und Youtube-Kanal zum Thema Bitcoin.
Nikolaus Jilch
Florian P. gehört im Ort zur Prominenz. Nicht, weil jeder ihn kennt. Hier kennt jeder jeden. Sondern deshalb, weil Musik eine große Rolle spielt, in Antiesenhofen. Allein die kleine Volksschule des Ortes zählt vier Chöre. Jahrelang sorgte der Musiklehrer Florian P. für die Arrangements, damit der Gesang der Kinder mit der Musik harmonierte. Nebenbei spielte er in einer Band, die auch schon mal bei ›Mei liabste Weis‹ auftrat. Dann kam der 9. Juni.
Wörter: 2196
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