Auf dem Trockenen
Das Einzugsgebiet des Paraná-Flusses in Brasilien leidet seit 2021 unter einer beispiellosen Dürre. Wichtige Schutzgebiete wie das Várzeas do Rio Ivinhema, das eines der letzten Waldstücke der Region beherbergt, sind betroffen. Umweltschützer, indigene Völker und Kleinbauern machen landwirtschaftliche Monokulturen verantwortlich.
Die rote Erde ist staubig und rissig, ausgedörrt von Wochen ausbleibenden Regens. Maispflanze an Maispflanze reiht sich über Kilometer sauber auf, riesige Felder erstrecken sich in diesem Teil des brasilianischen Bundesstaats Mato Grosso do Sul, dem landwirtschaftlichen Kernland Brasiliens. Ein Schild ragt aus den sich im Wind wiegenden Maisstängeln hervor. Es weist den Weg zum Várzeas do Rio Ivinhema, einem weitläufigen Reservat, das eines der letzten Waldstücke der Region beherbergt.
Das Reservat erstreckt sich über 730 Quadratkilometer, das ist fast zweimal die Fläche Wiens. Die Vormittagssonne brennt, als Parkmanager Reginaldo Oliveira bis zu den Knien im Gras steht und an den Halmen zupft. Er kneift die Augen zusammen und blickt in die Ferne, auf einen austrocknenden Sumpf.
„Normalerweise ist das hier alles überschwemmt“, sagt Oliveria, der seit neun Jahren den Park verwaltet. „Jetzt gelangen wir an Orte, die wir vor zwei Jahren nicht betreten konnten. Manche Lagunen haben sich um mehr als zehn Meter zurückgezogen.“
Der Park Várzeas do Rio Ivinhema liegt im Flussbecken des Paraná und wurde vor mehr als zwei Jahrzehnten eingerichtet, um Lagunen, also flache Seen, Sumpfgebiete und geflutete, sumpfige Wälder zu erhalten, die im restlichen Mato Grosso do Sul weitgehend verschwunden sind. Das Reservat ist ein Zufluchtsort für Wildtiere. Einige der hunderten hier lebenden Arten, der Jaguar und der Pantanal-Hirsch zum Beispiel, sind in anderen Regionen vom Aussterben bedroht.
Doch die üppige Oase leidet an einer historischen Dürre, die die Region seit 2021 heimsucht. Der Paraná, der zweitlängste Fluss Südamerikas und die Süßwasserquelle für 40 Millionen Menschen in Brasilien, Argentinien und Paraguay, steht im Mittelpunkt der Krise: Sein Wasserstand ist auf den niedrigsten Stand seit fast 80 Jahren gesunken. Die Dürre gefährdet die Wasserversorgung, schränkt die Stromerzeugung aus Wasserkraft ein und behindert den Transport von Lebensmitteln per Schiff.
Die Auswirkungen sind auch im Várzeas do Rio Ivinhema deutlich zu spüren. Der Ivinhema, ein Nebenfluss des Paraná, der sich etwa hundert Kilometer durch das Reservat schlängelt, ist weitgehend erschöpft. Der Wasserstand sinkt und sinkt. Oliveira und sein Team mussten bereits die Überwachung von etwa 60 Kilometern des Flusses auf Anzeichen von illegalem Fischfang einstellen, weil sie dort einfach nicht mehr mit ihren Booten fahren können.
„Da ragen riesige Felsen heraus, die wir vorher nicht sehen konnten“, sagt Oliveira, während er im Motorboot auf die Stelle zurast, an der der Ivinhema in den Paraná mündet, vorbei an einer Familie von Capybaras, die eines nach dem anderen ins Wasser gleiten. „Wir riskieren, das Boot zu zertrümmern, wenn wir in diese flachen Bereiche fahren.“
Die anhaltende Dürre setze auch der Tierwelt zu und habe Waldbrände in Gebieten ausgelöst, die einst vor den Flammen geschützt waren, sagt Oliveira. „Diese Art von Wald hat noch nie Feuer gefangen, eben weil er auf sumpfigem Boden wächst.“
Doch Anfang 2022, so Oliveira, brachen am Rande dieses einst gefluteten Waldes Brände aus, die durch die ausgetrocknete Vegetation angefacht wurden. „Es ist so trocken, dass die Flammen bei jedem Wind aufloderten. Und sie breiteten sich unkontrolliert aus.“
Der Park Várzeas do Rio Ivinhema wurde auch eingerichtet, um die Umweltschäden durch den Porto Primavera auszugleichen. Durch den gigantischen Staudamm wurde ein Gebiet von 2.250 Quadratkilometern überflutet. Das ist mehr als fünfmal die Fläche Wiens. Das Flussbett des Paraná vergrößerte sich auf das Neunfache seiner natürlichen Größe. Der Staudamm produziert nicht nur Strom, er drosselt auch Wasserströme, verdrängt die Tierwelt und gestaltet die Landschaft der gesamten Region um.
„Dieser menschliche Eingriff hat zu tiefgreifenden Veränderungen in den Wasserkreisläufen geführt“, sagt Leonardo Palmas, der bei Imasul, der Umweltbehörde des Bundesstaats Mato Grosso do Sul, für die Schutzgebiete zuständig ist. „Die Region hat sich verändert – und wurde anfälliger für Brände.“
Dann kam der Vormarsch der Landwirtschaft. Er schadete dem Einzugsgebiet des Paraná-Flusses noch weiter. Umweltschützerinnen und Umweltschützer sprechen von einer neuen Ära unregelmäßiger Regenfälle und intensiverer Dürreperioden in der Region.
„Früher war die Viehzucht hier der wichtigste Wirtschaftszweig, jetzt wird das gesamte Land für den Getreideanbau genutzt“, sagt Palmas. „Außerdem wurde der Wald rund um den Park in Plantagen umgewandelt. Dabei wurde das Sumpfgebiet trockengelegt.“
In Mato Grosso do Sul befindet sich Brasiliens größter Teil des Atlantischen Regenwaldes, des am stärksten bedrohten Ökosystems des Landes. Der Wald erstreckt sich hier auf 63.000 Quadratkilometern, doch in den vergangenen fünf Jahrzehnten wich er immer mehr den ausufernden Monokulturen. Heute ist Mato Grosso do Sul der drittgrößte Maisproduzent Brasiliens und ein wichtiges Zentrum für den Anbau von Soja, Weizen und Gerste.
Einst gehörte dieses Land dem indigenen Volk der Guarani-Kaiowá, das zum Jagen und Fischen auf die dichten Wälder angewiesen war. Doch als Siedler sich die Region zu eigen machten, vertrieben sie die Guarani-Kaiowá von ihrem Land in eine Handvoll Reservate. In den vergangenen zwei Jahrzehnten kämpfte das Volk darum, Teile ihres angestammten Landes zurückzugewinnen, auf dem heute größtenteils Monokulturen wachsen.
Das indigene Dorf Kurupi liegt auf einem Stück roter Erde, nur wenige Meter von einer stark befahrenen Autobahn entfernt. Ständig rumpeln Lastwagen vorbei. Ein paar Holzhütten stehen verstreut zwischen den letzten verbliebenen Bäumen. Regenwasser sammelt sich in einem blauen Behälter. Die wenigen Dutzend Bewohnerinnen und Bewohner verwenden es sparsam zum Waschen und Kochen. Gleich hinter dem Dorf erstrecken sich Mais- und Zuckerrohrplantagen über Hunderte von Hektar.
Dieses Land mit den weitläufigen Monokulturen gehörte einmal ihren Vorfahren, sagen die Guarani-Kaiowá, die hier leben. Sie kämpften darum und konnten vor Kurzem einen Teil zurückgewinnen. Doch sie können nur schwer überleben, sagt Valdir Martins, Häuptling des Dorfes. Denn auf dem kargen Boden können sie keine Pflanzen mehr anbauen.
„Der Wald wird zerstört, und der Regen bleibt aus. Es ist ein schwaches Land. Es ist bereits leblos“, sagt Martins. „Denn Wasser ist Leben. Und wenn das Land zerstört wird, trocknet das Wasser aus, es verschwindet.“ Die für die Guarani-Kaiowá-Kultur bedeutsamen Heilkräuter seien ebenfalls verschwunden, nachdem der Wald den Plantagen weichen musste. „Alles ist zu einer Kulturpflanze geworden, alles hier ist ein Zuckerrohrfeld. Unser Wald ist verschwunden.“
Ein paar Stunden entfernt, in der Gemeinde Itaquiraí, baut der Kleinbauer Luiz Carlos Prudente auf etwa sechs Hektar Land Limetten und Bananen an. Auch er spüre die Auswirkungen der Dürre, sagt er. Normalerweise nehme jede Bananenstaude 20 bis 30 Liter Wasser pro Tag auf, aber die anhaltende Trockenheit habe ihr Wachstum gehemmt und zu kleineren Bananen geführt.
„Den Bananen hier sieht man an, dass es ihnen an Wasser mangelt“, sagt Prudente, während er durch die Reihen von Bananenstauden führt. „Sie sind wegen der Dürre nicht ausgefüllt und nicht abgerundet. Sie sind nicht mehr von guter Qualität. Man kann sehen, dass sie zu kämpfen haben.“
Nach zwei Monaten ohne Regen grub er vor Kurzem einen Brunnen und installierte ein Bewässerungssystem, um den Schäden an seinen Bananenbäumen entgegenzuwirken. Außerdem baut er neuerdings in einem Gewächshaus Salat an, in der Hoffnung, seinen Lebensunterhalt vor der Dürre zu schützen.
„Wir haben es hier mit einem Klimaproblem zu tun“, sagt Prudente, der einen lokalen Verband von Bananenbauern leitet. „Das trockene Wetter ist ein sehr ernstes Problem für uns. Es ist die größte Herausforderung, die wir in der Familienwirtschaft haben.“
Prudente macht große Monokulturbetriebe nicht nur für die wechselnden Regenmuster verantwortlich, die seine Ernten zerstören, sondern auch für die Verschmutzung des Bodens durch Pestizide, die oft aus Flugzeugen im Tiefflug versprüht werden. „Diese Großbetriebe, die in Soja und Mais investieren, roden den ganzen Wald“, sagt er. „Dabei ist unser größtes Problem heute die Abholzung. Das wissen wir als Bauernfamilien nur zu gut. Sie ist die Ursache für die ganzen Widrigkeiten, mit denen wir zu kämpfen haben.“
Die Dürre, die dem Paraná-Flussbecken das Leben raubt, ist nur ein Teil in einer Kette von Klimafolgen, die sich laut Klimawissenschaftlern über verschiedene Ökosysteme Brasiliens hinweg zuträgt.
So trocknet der Amazonas-Regenwald immer weiter aus, während die Abholzung dort einen 15-Jahres-Höchststand erreicht hat. Laut Marcelo Parentes Henriques, Forscher für Hydrologie bei der brasilianischen Mineral Resources Research Company (CPRM), führt dies wiederum zu einer Verringerung der Regenfälle in anderen Teilen Brasiliens. „Der Regen in diesen Regionen, der nicht mehr fällt, kommt normalerweise aus dem Amazonas“, sagt Henriques. Wenn die Feuchtigkeit aus dem Regenwald verdunstet, bildet sie mächtige „fliegende Flüsse“, die durch den Himmel ziehen und schließlich heftige Regenfälle über anderen Regionen wie dem Pantanal-Feuchtgebiet ablassen. Doch dieses Phänomen sei durch immer häufigere und heftigere Dürren bedroht, sagt Henriques.
„Diese fliegenden Flüsse sind ein wesentlicher Teil eines natürlichen Kreislaufs, der jetzt gestört wird“, sagt er. „Und die Folgen sind weitreichend.“
Besonders drastisch sind sie im Pantanal, einem Gebiet aus Sümpfen und Lagunen, das sich über Brasilien, Bolivien und Paraguay erstreckt. Ein Großteil der Region ist normalerweise ständig geflutet, aber sengende Hitze und anhaltende Dürren haben seit 2019 beispiellose Waldbrände ausgelöst, die große Teile des Pantanals verschlungen und Millionen von Tieren getötet haben.
Im Park Várzeas do Rio Ivinhema, so Parkmanager Oliveira, haben die Flammen den Lebensraum der Wildtiere vernichtet und einige Arten vertrieben. Die Klimakrise zwinge die Tiere zu Verhaltensänderungen, sagt er. 2021 habe fast ein Drittel der Sittiche mit der Tradition gebrochen und sei nach dem Brüten im Park geblieben. Und im vergangenen Jahr kehrten die abgewanderten Tiere bereits im August in das Reservat zurück, zwei Monate früher als sonst.
Mit der Zeit, sagt Oliveira, werden sich Arten, die widerstandsfähiger gegen Trockenheit sind, im Park ansiedeln, während diejenigen, die besser an feuchtere Umgebungen angepasst sind, auswandern. Letztendlich werde der Park ein Zufluchtsort für Wildtiere bleiben, auch wenn sich die dort lebenden Arten mit der Zeit verändern. „Wir wissen nicht, wie lange die Dürre andauern wird – das macht uns Sorgen“, sagt Oliveira. Gleichzeitig sehe man aber auch, dass Tiere enorm widerstandfähig seien – und sich, so gut es geht, an eine veränderte Umgebung anpassen werden.