Beruhigen reicht nicht
Warum Alexander Van der Bellen seine Entscheidungen erklären muss.
Der Schicksalstag von Bundespräsident Alexander Van der Bellen war genau vor 25 Monaten. Da wurde er zum Opfer weitverbreiteten Wunschdenkens. Zum anderen wurde zum ersten Mal eine seiner großen Schwächen sichtbar: Van der Bellen redet viel und bedächtig-beruhigend, aber er kommuniziert nicht.
Vor allem nicht nach dem denkwürdigen Jänner-Tag 2023. Angesprochen in einer ORF-Sendung auf einen Regierungsauftrag für die FPÖ, meinte er damals: Auch bei einem Wahlsieg könne sich FPÖ-Chef Herbert Kickl nicht sicher sein, automatisch einen Auftrag zu einer Regierungsbildung zu erhalten. Er werde nicht eine anti-europäische etc. Partei durch seine Maßnahmen noch ›befördern‹. Daraus wurde seither allerorts das Zitat: Van der Bellen wird Kickl nicht mit der Regierung beauftragen. So hat er es nie gesagt. So hat er es aber seither unterlassen, versäumt, schlecht beraten vergessen, den Menschen den Unterschied zwischen ›automatisch‹ und ›nicht‹ zu erklären. Man kann nur hoffen, dass er diese Unterlassungssünde seither bereut hat.
Faszinierend ist, dass ausgerechnet die Freiheitlichen, die sonst auf alle politischen Regeln, Usancen, Gepflogenheiten pfeifen und sich an den eigenen Tabubrüchen erfreuen, empört reagieren, wenn andere es ihnen gleichtun. Dass Van der Bellen der stimmenstärksten Partei FPÖ, wie 2023 angekündigt, den Auftrag nicht ›automatisch‹ erteilte, erklärte Kickl zum Skandal.
Van der Bellen ist ein Präsident, der in dieser Situation nicht gewinnen kann. Muss er auch nicht. Es gibt für ihn nichts mehr zu gewinnen. Außer die Stabilität dieser Republik. Kein anderer Präsident konnte so gleichmütig das nach seiner Einschätzung Richtige tun wie Van der Bellen. Erstens muss er auf niemanden Rücksicht nehmen, nicht einmal auf sich selbst. Zweitens hat er seinen Platz in der Geschichte bereits mit seinem Verhalten in den innenpolitischen Krisenjahren gesichert, als die Hofburg einem Wetterhäuschen glich, durch das Regierungsmitglieder wie aufgezogen durchmarschierten.
Allerdings zeigt sich jetzt wieder die Schwäche in der Kommunikation mit der Bevölkerung. In der Krisenzeit von Rücktritten und Vortritten 2019 bis 2022 musste er nicht viel erklären, da sprachen die Ereignisse für sich.
Jetzt jedoch wollte die Bevölkerung keinen Präsidenten, den die ›Zusammensetzung einer Regierung grundsätzlich nicht zu interessieren‹ hatte, wie Van der Bellen meinte. Es wird die Menschen in der Nachbetrachtung interessieren, ob Van der Bellen auf diese Zusammensetzung Einfluss genommen hat und wie. Es wird ihnen wichtig sein zu erfahren, ob er Mediator oder Mitgestalter oder keines von beidem war. Er muss sich erklären, auch auf die Gefahr hin, für das eine (totale Zurückhaltung) wie das andere (Einfluss) kritisiert zu werden.
Bundespräsidenten sind schon seit Jahrzehnten nicht mehr, was sie einmal waren – vielleicht mit der Ausnahme von Heinz Fischer als Herr der Verschnaufpause nach Kurt Waldheim und Thomas Klestil.
Jedoch war noch nie ein Bundespräsident so verpflichtet, den Menschen zu erklären, warum er welche Entscheidungen getroffen hat. Schließlich ist die Präsidentschaft auf der Basis der ›schönen Verfassung‹ die eine Institution, die nicht angegriffen wird. Noch nicht. •