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Beton in der Brandung

Michael Ludwig verkörpert Stabilität wie kein Zweiter in der SPÖ. Im Umgang mit der Pandemie hat sich das als Stärke erwiesen, im Hinblick auf Verkehrsprojekte könnte es ihm zum Verhängnis werden.

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Fotografie:
Stefan Fürtbauer
DATUM Ausgabe Februar 2022

In der Pandemie sind Dinge möglich, die früher undenkbar schienen. Ende November sagten 41 Prozent der Oberösterreicher, Michael Ludwig habe die besten Entscheidungen für Gesundheit und Wirtschaft getroffen. Über den eigenen Landeshauptmann Thomas Stelzer sagten das nur 20 Prozent. In Niederösterreich ging die Frage sogar 48 zu 21 zu Ungunsten von Johanna Mikl-Leitner aus. Ein Wiener Bürgermeister, der in den Bundesländern bessere Noten bekommt als die jeweiligen Landeshauptleute – da könnte eigentlich auch glatt die Hölle zufrieren. Nicht viele hatten das dem unauffälligen, freundlichen Ludwig zugetraut.

Im Mai 2018 übernimmt Michael Ludwig das Amt des Bürgermeisters und Landeshauptmanns von seinem Langzeit-Vorgänger Michael Häupl. In Kommentaren wird er danach als ›Übergangskandidat‹ bezeichnet. Das hat jetzt schon länger niemand mehr geschrieben. Ludwig ist zu einem der mächtigsten Männer des Landes geworden. Er gilt als Politiker, der sein Bundesland besonnen, aber entschlossen durch die Pandemie steuert. Es könnte alles verhältnismäßig schön und verhältnismäßig ruhig sein, wäre da nicht das Thema Straßenbau.

Ludwig hat aktuell zwei Probleme. Für das eine, Corona, kann er nichts. Für das andere, den Konflikt mit den Lobau-Besetzern, schon. Ein drittes – die Frage, wie er sich als Machtzentrum in der SPÖ positioniert – liegt zumindest gerade mal auf Eis. Dafür erscheint das zweite Problem sogar noch ein bisschen größer und rätselhafter, weil der Kontrast zum Corona-Management so groß ist.

Ein Blick zurück. 2020, im ersten Jahr der Pandemie, ist Wien der Buhmann. ›Das war parteipolitisch motiviert‹, sagt Ludwig. ›Man wollte im Vorfeld der Wahlen in Wien über den medialen Bereich Druck aufbauen.‹ Aber ganz so einfach ist es nicht: Wien hat im ersten Jahr tatsächlich häufig hohe Inzidenzen und verschläft den Sommer. Gesundheitsstadtrat Peter Hacker trifft nicht immer den richtigen Ton und fordert Lockerungen immer zum falschen Zeitpunkt. Die Geschichte, dass der Bürgermeister seinen Stadtrat in die zweite Reihe abgestellt hätte, will Ludwig aber so nicht gelten lassen. ›Wir arbeiten gut zusammen. Aber ich hab‘ von Anfang an gesagt, dass am Ende die Meinung des Bürgermeisters zählt.‹

Wien lernt aus den Fehlern. Im zweiten Jahr der Pandemie funktioniert plötzlich sehr viel. Die Stadt setzt das ›Alles Gurgelt‹-System so vorausschauend auf, dass sie im Jänner 2022 das einzige Bundesland ist, das flächendeckend und ohne gröbere Mängel pcr-Tests durchführen kann. Bis zur Omikron-Welle sind auch die Inzidenzen in Wien sehr gut. So gut, dass die Bereiche, wo sie es nicht sind (bei den Durchimpfungsraten bei Menschen über 65 Jahren liegt Wien am letzten Platz), in der Öffentlichkeit kaum Beachtung finden. Ludwig begibt sich in die Rolle des Mahners und ist meistens strenger als die anderen. Das kommt an. Es ist vielleicht eines der größeren politischen Aha-Erlebnisse des Jahres 2021: Menschen wollen in der Pandemie offenbar nicht einfach so wenig Maßnahmen wie möglich, sondern eine konsistente politische Führung. Im Spätherbst sind die höchstbewerteten Pandemiemanager Michael Ludwig und Hans-Peter Doskozil – mit unterschiedlichen, aber eben klaren Linien.

Ein Montagvormittag im Jänner. Michael Ludwig sitzt in dem riesigen Amtssaal vor seinem Büro. Wie immer im Hemd, wie immer in Hosenträgern, wie oft freundlich grinsend. Schon zu seiner Zeit als Wohnbaustadtrat gilt er als auffällig gut gelaunt. Ludwig ist entspannt, zumindest vor und nach dem Interview. Läuft die Aufnahme, fällt er augenblicklich in einen professionellen Ton, als säße er bei ›Wien Heute‹. Im Dezember, als im Zuge der Coronademos absurde Verschwörungstheorien umgingen, wollten ihm Journalisten des Kurier einen lockeren Elfmeter auflegen und starteten das Interview mit der Frage, wie viele Leute er am Wochenende aus dem Kanaldeckel geimpft habe. Der Bürgermeister ließ sie auflaufen und gab eine lange, ernste Antwort.

Und trotzdem ist Ludwig sowas wie ein Medienbürgermeister: Der Presse- und Informationsdienst (pid) der Stadt schickt täglich gute Nachrichten aus (›Weiteres Hilfspaket für Fiaker in der Coronakrise‹) und stellt im Nachhinein Fotos zur Verfügung (Ludwig verfüttert eine Karotte an ein Pferd). Zu Beginn der Weihnachtszeit schaute das dann schon mal so aus: Michael Ludwig eröffnet die Christkindlmärkte (11. November), Michael Ludwig entzündet die Beleuchtung des Weihnachtsbaums auf dem Rathausplatz (13. November), Michael Ludwig entzündet die Weihnachtsbeleuchtung in der Stadt, (15. November).

In seinem ersten Bürgermeisterjahr brachte Ludwig den ›Herzerlbaum‹ zurück. Für Nicht-Wiener: Der Herzerlbaum ist ein Baum, an dem leuchtende Herzen hängen. Kompletter Kitsch, den viele Wiener aber irgendwie mögen. Und für sowas haben sie einen Blick im Rathaus.

Die Herkunftsgeschichte von Michael Ludwig ist schon oft erzählt worden. Aber weil das zum Verständnis wichtig ist, hier die Kurzform: Ludwig wird 1961 in Wien geboren, wächst in Neubau auf. Das ist damals noch nicht schick. Es gibt noch innerstädtische Fabriken, die Mutter ist Hilfsarbeiterin in einer davon. Als der Sohn Michael 16 Jahre alt ist, zerbricht die Ehe der Eltern. Ludwig zieht mit seiner Mutter in einen Gemeindebau in Floridsdorf. Sie nimmt wieder einen Job an und geht nebenbei putzen. Ludwig besucht das Gymnasium, studiert Politikwissenschaft und Geschichte.

Er ist kein typischer Student, verbringt die Abende lieber bei Sektionstreffen als in einer Bar, geht nebenbei Pakete austragen und arbeitet am Bau. Man muss aus ihm keinen Arbeiterführer machen – dafür ist er schon zu lang in den politischen Zirkeln unterwegs. Aber Menschen, die ihn länger kennen, weisen darauf hin, wie sehr ihn seine Jugend geprägt habe. Als er 2020 in einem Interview nach einem seiner Helden gefragt wird, nennt er seine Mutter.

Nach seinem Studium arbeitet Ludwig in der Erwachsenenbildung, leitet eine Volkshochschule und später die Landesstelle des Dr.-Karl-Renner-Instituts, der roten Parteiakademie. Berufspolitiker wird er erst recht spät. 1999 zieht er in den Gemeinderat ein, 2007 wird er Wohnbaustadtrat – ein mächtiges Amt, in dem viel Geld zu verteilen ist und das schon Werner Faymann nach oben brachte. Er schafft sich eine Machtbasis und will weiter hinauf. 2009 wird er Vizebürgermeister und damit zu einem logischen Kronprinzen. Ein paar Jahre, bevor er Bürgermeister wird, rasiert er sich den Bart ab. Männer mit Bart kommen in der Politik nicht ganz nach oben, sagt man. 2018 gewinnt Ludwig auf dem Parteitag die Kampfabstimmung gegen Andreas Schieder, zwei Jahre später eine Wahl. Er führt die SPÖ Wien raus aus der Koalition mit den Grünen und rein in eine mit den Neos.

Ludwig hat ein paar mächtige Freunde: Mit Altbundespräsident Heinz Fischer verbindet ihn genauso eine Freundschaft wie mit dem intern einflussreichen Ex-Landtagspräsidenten und SPÖ-Wien-Wahlkampfmanager Harry Kopietz, ebenfalls aus Floridsdorf. Ludwig gilt lange als ›zu nett‹, aber das stellt sich als Missverständnis heraus. Er kann durchaus Härte zeigen, er macht sich nur ungern selbst die Hände schmutzig. So mancher Wegbegleiter soll nicht mehr besonders gut auf ihn zu sprechen sein.

Die Männer in der SPÖ machen es der Parteivorsitzenden Pamela Rendi-Wagner nicht einfach, auch wenn es schon mal schlimmer war. Noch Ende 2020 richtete Ludwig seiner Chefin aus, dass der gelernten Ärztin ihr ›Expertenwissen im Weg‹ stehen würde. Im letzen Jahr ist die Kritik aus Wien ruhiger geworden. Ludwig hat ausgeschlossen, in naher Zukunft die SPÖ übernehmen zu wollen. Er bleibe ›zumindest bis 2025‹ Bürgermeister, da sei er der Bevölkerung im Wort. Ganz herausnehmen aus den Konflikten kann sich Wien als Machtzentrum aber nicht. Im November tauchten plötzlich Gerüchte auf, dass der Bürgermeister doch zur Übernahme der Partei bereit wäre, allerdings nur bei ›freier Personalwahl‹. Was wiederum in den anderen Bundesländern für Alarm gesorgt haben soll, die nicht alle Macht in den Händen Wiens sehen wollen. Die Bruchlinien in der SPÖ sind kompliziert.

Im vergangenen Herbst schlug sich Ludwig öfter auf die Seite von Rendi-Wagner. Er sprach sich gegen Neuwahlen aus und verkündete, dass ›ständige innerparteiliche Diskussionen‹ weder Wähler noch Zustimmung in der Bevölkerung bringen. Das war vor allem in Richtung Hans-Peter Doskozil gerichtet. Den beiden Landeshauptleuten wird ein grundsätzlich intaktes Verhältnis nachgesagt. Wer was plant und wie es weitergeht, wissen wahrscheinlich nicht einmal die Beteiligten genau.
Ludwig ist das Produkt einer Partei, die es so nicht mehr gibt. Als er in die SPÖ eintritt, ist die Rechnung noch einfach: Die Partei kümmert sich um die Leute, versorgt die Funktionäre mit Gemeindewohnungen und Jobs bei der Stadt und erwartet dafür vor allem Dankbarkeit und Disziplin.

Das ist die SPÖ Wien. Und Ludwig ist die SPÖ Wien, im Guten wie im Schlechten. Seitdem er Bürgermeister ist, hat sich das gesamte Arsenal gezeigt. Auf der einen Seite steht, dass Wien seine Bürger in der Pandemie mit Corona-Paketen um rund 600 Millionen Euro finanziell unter die Arme griff. Auf der anderen stehen Aktionen wie der fragwürdige Aufstieg Raphael Sternfelds vom Kommunikationsleiter der SPÖ Wien zum ›Bereichsleiter Strategische Kommunikation‹ bei der Stadt (der Job wurde ohne Ausschreibung vergeben) oder das weiterhin dicke Budget für den PID, der die Wiener Werbemillionen verteilt.

Die Zahlen sind beachtlich: Im Jahr 2020 gab die Stadt 24 Millionen Euro für ›Medienkooperationen‹ aus. Damit entfielen zwei Drittel der Werbeausgaben aller Bundesländer auf Wien, der Großteil davon floss in den Boulevard. In Zeiten, wo es praktisch wäre, wenn die SPÖ bei diesem Thema die ÖVP frontal angreifen könnte, ist das eine offene Flanke. Das Interessante an Ludwig ist, dass er sowas einfach negiert. ›Wir suchen den Kontakt zur Wiener Bevölkerung nicht primär über eigene Kommunikationskanäle, sondern über privat geführte Medien‹, sagt er. Es wundere ihn immer, wie stark das von den Medien selbst kritisiert würde. ›Die meinen ja immer die anderen, die Inserate für das eigene Medium meinen sie ja nicht.‹

Und weil man es mit Profis zu tun hat, hat das Team von Ludwig die Zahlen, wie viel das Medium des Fragestellers im letzten Jahr bekommen hat, natürlich auch parat. Der Bürgermeister hat da natürlich nicht Unrecht. Die Position vieler Journalisten ist inkonsistent, die Inserate der anderen immer schlimmer als die eigenen. Aber man kann auch fragen, ob etwas nur dadurch besser wird, dass seine Kritiker an Glaubwürdigkeit verlieren.

Inserate sind ein Thema der Politblase, der Konflikt um die Verkehrsprojekte ist es nicht. Die Geschichte beginnt Ende August, als eine Gruppe von jungen Menschen mit ›Fridays for Future‹-Bezug ein Protestcamp gegen die Umsetzung der großen Straßenbauprojekte Lobautunnel und Stadtstraße bezieht. In der Folge bläst sich dieser Streit immer weiter auf und wird zu einem Symbol für den Kampf um die Verkehrswende. Auch als Umweltministerin Leonore Gewessler den Bau des Lobautunnels Anfang Dezember stoppt, bleiben die Besetzer.

Die Verwunderung ist weniger, dass es zu einem Konflikt kommt. Dass die SPÖ eines Michael Ludwig sich von den Autos vollständig abwenden würde, war nie realistisch. Aber die Stadtspitze sprach über die jungen Aktivisten mit einem radikalen, fast kühlen Ton: In einem Falter-Interview sagte Ludwig, dass er das Camp ›mit Sicherheit nicht‹ besuchen wolle – wohl wissend, dass das vermutlich Headline werden würde. Als es kurz vor Jahreswechsel einen mutmaßlichen Brandanschlag auf ein Gebäude im Camp gab, meldete sich Ludwig erst einen Tag später und führte den Vorfall auch darauf zurück, dass es ›rechtsfreie Räume‹ gebe.

Der Konflikt ist der SPÖ ein Stück weit entglitten. Die Drohbriefe, die die Stadt im Dezember an die jungen Aktivisten und an NGOs schickte, halfen in Wahrheit eher den Besetzern. Nun sind die auch keine einfachen Zeitgenossen. Das Büro von Stadträtin Ulli Sima steckte Medien die Bedingungen der Aktivisten für Gespräche: Stopp der Vorarbeiten für die Straße, externe Mediation und gleich große Verhandlungsteams. Ein Termin im Jänner verlief ergebnislos. Und so sind da gerade zwei Seiten, die beide ein hohes Risiko eingegangen sind, weiter auf Kollisionskurs. Das Büro Sima hat die Aufgabe übernommen, den Konflikt zu lösen. Das ist auch deshalb so schwierig, weil Ludwig und viele andere in der SPÖ Wien die öffentliche, medienwirksame Besetzung als eine parteipolitische Aktion der Grünen sehen.

›An der Stadtstraße hängen Wohnungen für 60.000 Menschen‹, sagt Ludwig. ›Neben einem gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsnetz wird es in den Stadtentwicklungsgebieten auch Straßen brauchen.‹ Ludwig versucht, den Spagat zwischen ›Straßenbau und Klimaschutz‹ zu schaffen. Ihm sei Klimaschutz wichtig, aber er wolle auch konkret etwas tun. ›Und sich nicht einzelne Konfliktthemen herausgreifen und die medial aufbereiten.‹ Im Jänner verkündete die Stadtregierung einen großen ›Klimafahrplan‹, mit dem Wien bis 2040 klimaneutral werden soll, wie im Koalitionsvertrag vereinbart. Ludwigs Problem: Verkehrsprojekte sind ein Symbol. Teile der SPÖ-Parteijugend schlugen sich offen auf die Seite der Besetzer. Die rot dominierte Bezirksvertretung Alsergrund sprach sich gegen die Lobau-Autobahn aus, gegen die Parteilinie.

Herr Ludwig, haben Sie nicht Angst, da eine Generation zu verlieren? ›Nein, gar nicht. Ich bin im Dialog mit vielen jungen Menschen, die in den ­Entwicklungsgebieten, die wir jetzt erschließen, eine Wohnung oder einen Arbeitsplatz wollen. Ich bin ja nicht nur mit der politisch organisierten Jugend im Gespräch, nicht nur mit denen, die Zugang zu den Medien finden.‹

Man neigt dazu, in der Politik hinter allem die Strategie zu suchen. Und oft ist da ja auch eine. Aber manchmal kann es auch einfacher sein. Vielleicht glaubt Michael Ludwig einfach wirklich, dass es kulturelle Eliten gibt, die seine Hilfe aufgrund ihres privilegierten Zugangs zur Öffentlichkeit nicht brauchen. Eines der Bücher, die Ludwig in den letzten Jahren sehr genau gelesen hat, ist ›Rückkehr nach Reims‹ von Didier Eribon. In diesem stellt der französische Soziologie fest, dass die französischen Arbeiter unter anderem deshalb zum Front National gewandert sind, weil die linken Eliten ›nicht mehr die Sprache der Regierten, sondern jene der Regierenden‹ gesprochen hätten. Das hat sich Ludwig zu Herzen genommen. Er sagt Sätze wie: ›Ich bin Sozialdemokrat und hab den Anspruch, mich auch um die zu kümmern, die keine Stimme in den Medien haben.‹ Und er würde nie so despektierlich über den Herzerlbaum schreiben, wie dieser Text es eben getan hat.

Michael Ludwigs Erfolg ist – Stand Mitte Jänner – anhaltend. Er hat im letzten Jahr einige mutige Entscheidungen getroffen, von denen sich viele als richtig herausgestellt haben. Aber die Themen Verkehr und Straßenbau werden nicht weggehen. Über den deutschen Ex-Kanzler Helmut Schmidt sagt man, dass er mit seiner schroffen Haltung gegenüber dem entstehenden grünen Milieu die Entstehung der Partei Die Grünen mit gefördert habe. Wahrscheinlich setzt Ludwig darauf, dass er in diesem Milieu nicht mehr viel gewinnen kann. Man wird sehen, ob sich diese Wette auszahlt. •