Wie Naturschützer erreichen wollen, dass künftig auch Umweltzerstörer vor dem Internationalen Strafgerichtshof landen.
Tief im Amazonas-Gebiet, am Xingu-Fluss, lebt Raoni Metuktire, Häuptling des indigenen Kayapó-Stammes. Auf seinem Kopf trägt er eine gelbe Federkrone, die an das Leuchten eines Heiligenscheins erinnert. Seine Unterlippe umschließt eine rote Lippenplatte von der Größe einer Untertasse. Wenn der über 90-jährige Stammesführer, auch ›Kazike ‹ genannt, über den Regenwald spricht, erzählt er auch vom weißen Mann, der während der vergangenen Jahrzehnte in seiner Heimat verheerende Zerstörungen anrichtete. Er erzählt von Waldrodungen und Bergbauarbeiten inmitten brasilianischer Naturschutzgebiete. Von bewaffneten Angriffen auf ihn, seine Familie und auf Nachbarstämme der Kayapó. Mehrmals suchte der Kazike das Gespräch mit dem amtierenden brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Doch der gegenüber Indigenen ablehnende Präsident reagierte nicht.
Seitdem Bolsonaro in Brasilien regiert, brennen jährlich Waldflächen, die nicht mehr in Fußballfeldern gezählt, sondern mit dem Territorium von Staaten verglichen werden. Bei den Bränden handelt es sich nicht um zufällig entstehende Naturkatastrophen. Es sind gelegte Brände zur Expansion der Agrar- und Fleischindustrie. Wenn das Feuer außer Kontrolle gerät, gefährdet das nicht nur das Leben der Menschen vor Ort. Klimaexperten sind sich einig : Wenn der Amazonas zu Asche wird, verliert die Menschheit einen wertvollen Alliierten im Kampf gegen die Klimakrise. Doch weder die Politik noch das Gesetz halten den Teufelskreis der Zerstörung derzeit auf.
Eigentlich sollte in einer Gemeinschaft das Gesetz das Zusammenleben schützen, indem es Menschen davon abhält, Verbrechen zu begehen. Die Androhung einer Strafe ist das schärfste Mittel, durch das die Gesellschaft ihre Ablehnung eines bestimmten Verhaltens ausdrückt. Es schafft Gewohnheiten und begründet die Überzeugung : ›Verbrechen lohnen sich nicht. ‹ Was aber, wenn Gesetze Zerstörungen, die das Zusammenleben gefährden, nicht sanktionieren ? Gibt es ein höheres Recht, das greift, wenn die staatliche Ebene versagt ?
Trotz seines hohen Alters und einer kürzlich überstandenen Covid-19-Erkrankung setzt sich Raoni dafür ein, dass Jair Bolsonaro mit seiner Politik der Brandrodungen auf Kosten von Mensch und Natur nicht ungestraft davonkommt. Nach einem Auftritt beim französischen Umweltfestival Climax lernt er Ende 2019 im Haus des Veranstalters in Bordeaux den Menschenrechtsanwalt William Bourdon kennen. Der Kazike und der Franzose schmieden einen Plan : In den nächsten anderthalb Jahren sammelt ein Team aus Umweltaktivisten in Zusammenarbeit mit mehreren Umweltorganisationen Beweise für eine Anklage gegen Bolsonaro vor dem internationalen Strafgerichtshof wegen des Verbrechens gegen die Menschlichkeit.
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