Editorial von Kurator Wolfgang Petritsch
Wider die Straflosigkeit
Assads Krieg gegen seine eigene Bevölkerung war noch nicht einmal zwei Jahre alt, als in Harvard ein Seminar ausgerichtet wurde, das sich mit möglichen Lehren aus den jugoslawischen Zerfallskriegen für Syrien befassen sollte. Ich war damals als Schumpeter-Professor an der Kennedy School und sollte meine Erfahrungen im Kosovo und in Bosnien darlegen. Die syrische Perspektive präsentierte der eminente Philosoph an der Universität von Damaskus, Sadik al-Azm, der als Scholar at Risk einige Monate an der Universität verbringen sollte, nicht zuletzt, um sich von den Strapazen seiner Flucht zu erholen.
Während ich also über den Wiederaufbau des zerstörten Bosnien und die schwierige Flüchtlingsrückkehr sprach, richtete sich der eindringliche Appell des vertriebenen Professors auf die in seinem Land grassierende Straflosigkeit : No more impunity!, lautete sein verzweifelter Appell. Für Sadik al-Azm stellte sich der Kampf um Recht und Gerechtigkeit für Assads Opfer, die Bestrafung der Täter – wo immer sie sich aufhalten mögen – als Wesenskern einer sinnvollen internationalen Solidarität dar. Sein Ruf nach Gerechtigkeit für
Syrien hat mich an die Apathie Europas erinnert, als im Juli 1995 in Srebrenica ein Genozid an tausenden Bosniaken begangen wurde. Wie kann Recht – und dessen Durchsetzung – universelle Geltung erlangen ? Seit Kurzem werden die sozialen Probleme und Menschenrechtsverletzungen globaler Produktionsketten und Handelsströme kritisch hinterfragt. Die Verantwortung für unseren globalisierten Konsum ist zweifellos wichtig. Es gilt jedoch, den Anspruch auf Gerechtigkeit für die Opfer von Verbrechen gegen die Menschlichkeit verbindlich umzusetzen. Der Weg führt über das Weltstrafrechtsprinzip (auch Weltrechts- oder Universalitätsprinzip genannt.
Das Gespräch mit Justizministerin Alma Zadić in diesem Heft, die mit zehn Jahren aus ihrer Heimat Bosnien flüchten musste, ist ein Versuch, das Politische durch das Prisma des Persönlichen besser zu verstehen. Aber es geht auch um die Institutionen des Rechts; und da liegt vieles im Argen, wie der Artikel über die Verwicklung des damaligen BVT in der Syrien-Causa beweist. Zivilgesellschaftliche Organisationen, wie etwa CEHRI in Österreich, tragen dazu bei, die schleppenden Untersuchungen gegen mutmaßliche syrische Kriegsverbrecher voranzutreiben. Sie agieren als Teil eines internationalen Netzwerks, das sich zum Ziel gesetzt hat, massive Verstöße gegen Grund- und Freiheitsrechte, wie sie in Syrien seit einem Jahrzehnt geschehen, zur Anklage zu bringen.
Diese zivile Internationale der Engagierten, in Deutschland, Schweden, Spanien, Frankreich oder in den USA, ist die Antwort auf den Hilferuf Sadik al-Azms und zahlreicher exilsyrischer Organisationen, Syrien nicht den Schergen Assads zu überlassen.
Bedauerlicherweise gibt es für Syrien weder ein Sondertribunal noch kann sich das ICC damit befassen. Umso mehr müssen Staaten, die sich dem Völkerrecht verpflichtet fühlen, aktiv werden und die grassierende Straflosigkeit in Syrien mit den Mitteln des Rechtsstaates bekämpfen. No more impunity – keine Straflosigkeit zulassen ! Österreich kann damit aus eigenem Handeln dem Weltstrafrechtsprinzip zum Durchbruch verhelfen. •
Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre !
Ihr Wolfgang Petritsch