Das kannst du mir glauben

Warum etwas mehr sprachliche Distanz diesem Land guttäte.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Juni 2023

In Frankreich müsste man sein.  Im Land des ›tu‹ und ›vous‹. Dort, wo streng zwischen vertrautem Du und förmlichem Sie unterschieden wird. Dort, wo der Philosoph Jean-Paul Sartre und seine Partnerin Simone de Beauvoir sich mit Sie angesprochen haben – auch privat. Dort, wo Kinder ihren Eltern noch immer so gegenübertreten, nicht mehr so häufig wie früher, aber doch. Das erzählen zumindest Kenner des Landes.

Warum sollte man das wollen? Weil es in krassem Kontrast zum Niedergang der höflichen Anrede im deutschsprachigen Raum, sogar in der Schweiz steht. Die ›Duzis‹ breiten sich dort rasant aus, wenn man den Berichten glauben will. Und weil in Österreich der Übergang in der politischen Landschaft von der distanzierten Anrede zur vermeintlichen Nähe politisch konnotiert ist – wie so vieles in diesem Land. Das Du signalisiert Vertrautheit, Freundschaft, lockeren Umgang, Kooperation. Das förmliche Sie deutet auf Distanz und Respekt hin. 

In Österreich scheint man da in letzter Zeit ­etwas gründlich missverstanden zu haben, was sogar der Kabarettistin Lisa Eckhart aufgefallen ist und wogegen sie sich mit deftigen Worten wehrt: ›Wenn Sie übergriffig werden wollen, dann fassen Sie mich an die Brust, aber duzen Sie mich nicht.‹

Diese oder eine ähnliche Schlagfertigkeit hätten in den letzten Jahren etliche junge Journalisten (m/w) parat haben sollen. Sie waren manchmal unangenehm berührt, manchmal verunsichert, manchmal aber auch stolz, wenn ihnen das Du-Wort oft sogar bei der ersten Begegnung aufgedrängt wurde. Etwa so: Das erste Interview mit Josef Ostermayer (SPÖ). Bevor eine junge Journalistin grüßen konnte, wurde ihr schon das Du-Wort angeboten. Eine Eckhart’sche Abwehr hätte das Interview oder das Gespräch ruiniert. Sie beharrte nicht auf Distanz. Oder so: Einem jungen Kollegen wird vor versammelter Kollegenschaft von einem weiblichen Regierungsmitglied das Du-Wort offeriert. Er ist sich bewusst, gerade Opfer eines absichtsvollen Manipulationsversuchs zu sein. Es fällt ihm aber in dieser Situation keine passende Form der höflichen Ablehnung ein.

Die Vertrautheit, die hier vorgegaukelt wird, soll künftig als Barriere gegen zu heftige Kritik dienen. Dieser Missbrauch der Anrede wird seit ungefähr 20 Jahren immer intensiver als Stilmittel der Politik eingesetzt. Es wird erst seine Wirkung verlieren, wenn jeder mit jedem in diesem Land per Du ist. Das wäre gar keine schlechte Idee, denn es würde auch die Scheinheiligkeit des privaten Du und des öffentlichen Sie entlarven. Wer per Du ist, sich aber öffentlich mit Sie anredet oder dem anderen öffentlichkeitswirksam das Du-Wort entzieht, darf sich über demokratieschädliches Misstrauen nicht wundern. 

Nicht nur Frankreich, auch ein angelsächsisches Land wäre fein. Hier sind alle per Sie, denn das allgemeine ›you‹ bedeutet zwar nicht wie vielfach angenommen Du, sondern das viel höflichere Ihr, also die altertümliche dritte Person. Das sind aber Spitzfindigkeiten, die mit der Grobschlächtigkeit eines personell stark vernetzten, um nicht zu sagen verhaberten Landes wenig zu tun haben. Thou can believe me. Das kannst du mir glauben.