Das Musterländle

Vorarlberg hat als erstes Bundesland den Lockdown beendet. Selbst als die Zahlen wieder stiegen, blieb es bei seinem Tanz auf dem Vulkan. Warum gefällt sich das Land so sehr in seiner Sonderrolle ?

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Illustration  :
Francesco Ciccolella
DATUM Ausgabe Mai 2021

Voran mit Vernunft ‹ gab die Landesregierung von Vorarlberg als Motto vor, als Mitte März der Lockdown beendet wurde. Während im Osten Österreichs die Intensivstationen an ihre Kapazi-tätsgrenzen stießen, durften die Menschen im äußersten Westen des Landes wieder zum Friseur gehen und in Gastgärten Kaffee trinken, sogar Konzerte waren wieder möglich, nur frisch getes-tet, natürlich. In der Woche vor Ostern führte man im westlichsten Bundesland mit nicht einmal 400.000 Einwohnern 153.000 Tests durch – so viele wie nirgendwo sonst in Europa.

Die gewagte Öffnungspolitik brachte das Ländle einmal mehr dahin, wo es nach eigener Auffassung hingehört : an die Spitze. Das lange gepflegte Selbstbild setzt auf eine Mischung aus Stolz und Understatement mit einer Prise Langeweile. In Vorarlberg will man in aller Bescheidenheit besser sein als der Rest. Es ist eine schwierige Gratwanderung zwischen Demut und Arroganz. So blieb auch der Tanz auf dem Vulkan trotz aller Vorsicht nicht ohne Wirkung : Schon nach vier Wochen hatte sich die Zahl der aktiv Erkrankten verdreifacht, und während die Sieben-Tages-Inzidenz im restlichen Österreich fiel, stieg sie in Vorarlberg wieder an.

Wer dachte, dies würde zu einem sofortigen Umdenken bei den Spitzenpolitikern im Ländle führen, hatte sich jedoch getäuscht. Der Landeshauptmann sah nicht nur keinen Grund zur Sorge, sondern gab sich noch Mitte April überzeugt davon, dass sich das › Vorarlberger Modell ‹ durchsetzen werde. Der Chef der Vorarlberger Wirtschaftskammer äußerte gar die Hoffnung, › dass wir das gallische Dorf halten und weiterentwickeln können ‹. Und der Rest Österreichs fragte sich : Wieso sind die Vorarlberger eigentlich so überzeugt davon, dass sie es besser können und besser wissen ?

Vorarlberg ist ein kompliziertes Land. Für viele im Osten bleibt es ein unbekanntes Gebiet, bevölkert von Menschen, die einen unverständlichen Dialekt sprechen. In Vorarlberg hat man eine Meinung zu Wien, in Wien vor allem wenig Ahnung von Vorarlberg. Die Horizonte im Ländle und in der Hauptstadt sind andere. Von Wien aus ist man mit dem Auto schneller in der Ukraine als im westlichsten Bundesland. Die Vorarlberger wiederum sind auch mit dem Zug schneller in Paris als in Wien.

Vorarlberg, das ist gerade noch Österreich. Zwischen Bund und Ländle liegt eine innere Distanz, deren geografische Manifestation der Arlberg ist. Auf der einen Seite schätzt man Fleiß, Sparsamkeit und Ordnung, auf der anderen Seite liegt Österreich. So sieht man es zumindest westlich des 1.793 m hohen Alpenpasses, den nur Innerösterreicher des Namens wegen für einen Berg halten. Was, je nach Sichtweise, dahinter oder davor liegt, bleibt den meisten Innerösterreichern verborgen. Viele wissen nicht einmal, dass sie Innerösterreicher sind. Wie so oft finden die Kleinen mehr Worte für die Großen als umgekehrt.

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