Während der zweiten Gründung von DATUM ging ich alle paar Wochen zum AMS. Beim AMS ist es nicht unüblich, dass man jedes Mal einem neuen Betreuer gegenübersitzt. Für mich bedeutete es, jedes Mal aufs Neue die Frage zu beantworten: Was haben Sie vor?
Ich will ein Medienunternehmen gründen, erklärte ich also wieder. Ein gedrucktes Magazin mit ausführlichen Recherchen und langen Texten. Unabhängiger Journalismus, sauberes Handwerk. Ein Medium, das es bereits gab, Sie kennen es vielleicht: DATUM.
Im Frühling 2016 hatte ich das Magazin vom Voreigentümer erworben, weil der damit nichts mehr anzufangen wusste. Im Herbst, das war mein Plan, sollte es neu starten. In der Zwischenzeit bestand DATUM aus einem Laptop, einem Handy und einem Holztisch am Balkon eines Büros von Freunden. Ich hatte einen vierseitigen Vertrag, der die Titelrechte regelte, eine Excel-Datei mit den Kontakten der Abonnenten und eine eigene Tasse für meinen Kaffee.
Meine wechselnden Betreuer beim AMS kannten DATUM nicht, und meine Antwort reichte ihnen nicht. So kam das Gespräch jedes Mal auf ›die Liste‹. Es war eine Liste von Medienunternehmen, die Journalisten suchten. Und es waren durchwegs Medien, die keinen Journalismus betrieben, sondern Marketing. Geht nicht, sagte ich also, geht sich mit meiner Überzeugung nicht aus. Ob ich was anderes könne? Mir fiel nichts ein.
Weil ich mich irgendwo bewerben musste, gab ich jedes Monat meine eigene Liste mit Medien ab, deren Arbeit ich schätzte. Neben der Arbeit am Neustart blieb schlicht keine Zeit für Geldjobs. Es waren intensive Monate, da war ein wenig Angst, da war viel Leidenschaft. Es war eine verrückte, es war eine großartige Zeit.
Wenn man das so niederschreibt, dann klingt das nach der Geschichte eines Narren. Sie sollten mal die Geschichte der vielen anderen Narren hören, die das Magazin, das Sie in Händen halten, seit 2004 ermöglicht haben. Unser aller Geschichte ist die Geschichte von DATUM. Sie handelt von Überzeugung.
Einige von ihnen nahmen damals Platz am Holztisch auf dem Balkon. Überzeugung, das habe ich bei DATUM gelernt, ist ansteckend. Mit Art Director Andreas Klambauer planten wir am Balkon das neue Design, mit der Chefin vom Dienst Patricia Käfer die Organisationsstruktur. Mit Geschäftsführer Alex Zach das neue Unternehmen und mit Autorinnen und Autoren planten wir Geschichten für ein Magazin, das es nicht mehr und noch nicht gab. Auch die tausenden Abonnentinnen und Abonnenten erhielten vom Holztisch aus die Antwort auf ihre Fragen: DATUM wird wieder gegründet. Bitte um Geduld, bitte um Verständnis. Wir schaffen das. Drei Prozent von ihnen kündigten oder wollten ihr Geld zurück. Drei Prozent. Die Geschichte von DATUM, sie ist auch die Geschichte seiner Leserinnen und Leser.
Unser aller Geschichte ist die Geschichte von DATUM. Sie handelt von Überzeugung.
Das erste Mal gegründet wurde das Magazin im Jahr 2004. Zwei Worte: Klaus. Stimeder. Der Mensch, der Wirbelsturm Klaus hatte einen ›New Yorker‹ für Österreich im Sinn. Unabhängigkeit! Qualität! Journalismus! Alles, was Klaus tat, tat er bedingungslos – und mit Rufzeichencharakter. So kam DATUM in die Welt, ein zunächst prekäres Magazin, in dem die Arrivierten schrieben, die in ihren Stammmedien weder den Platz noch die Freiheit für ihre Recherchen vorfanden – und die Jungen, die die mangelnde Erfahrung mit Ambition ausglichen. Wir. Und weil wir nichts anderes kannten, befanden wir das Handwerk, wie Stimeder und sein Textchef Thomas Unger es uns lehrten, für normal.
Ja, wie sollte man denn Journalismus überhaupt anders betreiben? Jedes Thema zur Gänze durchdringen. Jeden Menschen anrufen, der dazu etwas zu sagen haben könnte. Jeden Text dazu lesen. Jeden Fakt, jeden Satz, jede Frage hinterfragen. Jedes Manuskript anderer so oft kritisieren, bis es sitzt. Jedes eigene so oft schreiben, bis es sitzt. Unabhängigkeit! Qualität! Journalismus!
Wir nahmen das alles sehr persönlich. Das ist bis heute so. Zu persönlich? Vielleicht. Im Rückblick hatten wir etwas von Jüngerinnen und Jüngern. Bloß dass wir nicht an eine Religion glaubten, sondern an eine bestimmte und letztlich simple Auffassung von journalistischem Handwerk. DATUM war unser Lehrbetrieb. Und der Meister, der uns zu seinen Gesellen machte, der uns die Lektionen anhand unserer mal mehr, mal weniger, aber irgendwie immer gescheiterten Texte um die Ohren schmiss, das war Klaus. Klaus!
Nach getaner Tagarbeit lasen wir einander den Code of Ethics der New York Times vor oder diskutierten über Spitzfindigkeiten der Recherche. Danach tranken wir, jeden Tag. Und als wir nicht mehr konnten, bestellte Klaus eine Runde Fluchtvierterl für alle. ›Ein echter Journalist muss trinkfest sein!‹, sagte er. Es ist einer der wenigen Sätze von ihm, von denen ich heute weiß, dass er Unsinn ist. Stimeder kam eben aus einer anderen Zeit. Es war nicht die alte Zeit, es war einfach eine andere. Und von dort hatte er auch DATUM mitgebracht.
Im österreichischen Journalismus herrschten damals Verhaberung und Schludrigkeit. Ja, das ist auch heute noch so. DATUM wollte die magazingewordene Intervention sein, das Gegenmodell. Und das will es bis heute. Unsere simple Überzeugung lautet: Anständiger Journalismus ist notwendig und möglich.
Der Zeitpunkt der Gründung teilte das globale Mediengeschäft in ein Davor und ein Danach. Das hatte natürlich nichts mit der Gründung zu tun, sondern mit dem Zeitpunkt. Eben damals nahm der große Wandel seinen Anfang. Man könnte auch Revolution dazu sagen. Denn die Art von Journalismus, die Weise der Mediennutzung, die Form des Geschäftsmodells haben seither einen revolutionären Wandel durchlaufen.
Es ist Zufall, dass es just in jenem Jahr zur Gründung so unterschiedlicher Medien wie Facebook und Heute kam (übrigens auch von Fleisch: Alles Gute!). Stellvertretend passen die beiden jedoch gut zu den medialen Entwicklungen seither: Die Digitalisierung von Produktion und Distribution. Die Konzentration der Eigentümerstrukturen. Die Personalisierung, die Verknappung, die Verflachung der Inhalte. Die Marginalisierung von Journalismus in der Welt der Information. Die Verschiebung der Inserate-Etats. Und schließlich die Inflation des Preises, den Menschen bereit sind, für Medien zu zahlen.
Wer seinen Blick schweifen lässt durch unsere Medienlandschaft, wer sich ansieht, wer wie informiert wird in diesem Land, den nimmt es nicht wunder, dass Journalisten in Beliebtheitsrankings die Nachbarn der Politiker sind. Sie sind es ja auch im sogenannten echten Leben. Das Misstrauen in Nachrichten und Medien steigt. Für die Mehrheit der Menschen ist Journalismus heute: interessengetrieben und fehlerhaft. So war das auch 2004, vor Eva Dichand und vor Mark Zuckerberg, bloß dass die Menschen damals noch eher bereit waren, Geld dafür zu zahlen.
Stimeder wollte ein Gegenmodell schaffen zu der Art, wie Journalismus betrieben wird. Mittlerweile ist DATUM auch ein Gegenmodell dazu, wie Journalismus konsumiert wird. Je rasanter sich der Nachrichtenzyklus in unseren Hosentaschen entwickelt, je schneller die kurzen, seichten und schreienden Meldungen auf unseren Bildschirmen eintreffen, desto zeitloser wirkt auch DATUM in seiner gedruckten Form, mit seinen langen und tiefgehenden Texten, mit seinem unaufgeregten Ton. 2004 war DATUM eine journalistische Oase. 2019 bietet auch die Art seines Konsums eine Oase inmitten einer blinkenden, vibrierenden, piepsenden Wüste.
So wie wir dem Buch näher sind als dem Internet, so ist wohl auch unsere Art zu arbeiten einem Buchverlag näher als einer Online-Redaktion. Besuchte uns jemand und sähe uns dabei zu, wie wir über Themen diskutieren und Worte abwägen, wie wir Texte besprechen und über Illustrationen tüfteln, er hielte uns womöglich für possierlich oder mindestens für aus der Zeit gefallen. Es herrschen Ernsthaftigkeit, Gründlichkeit und Respekt – voreinander und vor dem Werkstück. Sie merken vielleicht, ich gleite ins Pathos. Was soll ich machen, es ist ja auch ein Jubiläumstext: Von innen besehen hat DATUM schlicht mit Liebe zu tun. Mit Liebe zum Handwerk, mit Liebe zum Prozess und, ja, verdammt noch einmal, mit Liebe zu den Menschen und ihren Themen.
Natürlich streiten wir mitunter auch, tun und sagen dumme Dinge. Innerhalb der großen Vorstellung, die uns eint, gehen die kleinen oftmals auseinander. Mein Vorgänger Stefan Kaltenbrunner würde selbstverständlich vieles anders machen. Und Klaus Stimeder lebt heute vielleicht auch deshalb in Los Angeles, damit er sich nicht ständig ärgern muss über die jungen Deppen von damals. In unserer Überzeugung, in unserer Hingabe aber waren und sind wir alle vereint.
Von innen besehen hat DATUM schlicht mit Liebe zu tun. Mit Liebe zum Handwerk, mit Liebe zum Prozess und, ja, verdammt noch einmal, mit Liebe zu den Menschen und ihren Themen.
Heute, 15 Jahre nach Gründung und bald drei Jahre nach dem Neustart, sind wir als Unternehmen stabil. Mit unserem Podcast DATUM Kosmos, mit unseren monatlichen Diskussionsveranstaltungen, mit unserem Frühstückssalon, den wir gemeinsam mit unserem Verlagspartner Die Zeit organisieren, sind rund um das Magazin Diskursräume entstanden. Mit unserem Talente-Programm haben wir die Ausbildung junger Journalistinnen und Journalisten institutionalisiert und ausgebaut. Und wir haben noch große Pläne.
Ab Seite 102 finden Sie eine Liste jener Namen, die seit der Gründung im Impressum aufgeschienen sind. Es sind 860. Darunter finden sich mehr als hundert Journalistinnen und Journalisten, die durch die DATUM-Schule gegangen sind. Sie arbeiten heute bei anderen Medien, vor allem in Österreich, aber auch in Deutschland und der Schweiz. Dort machen sie jenen Unterschied, den Stimeder damals im Sinn gehabt hat, sie machen Qualitätsjournalismus. Ihnen und ihren Medien gegenüber verspüren wir keine Konkurrenz. In einer Zeit, in der der ökonomische und politische Druck auf Qualitätsjournalismus steigt, sehen wir sie als Alliierte. Es ist eine Allianz, der wir mit Stolz angehören.
Die Mission von DATUM war und ist es, die Qualität des österreichischen Journalismus zu erhöhen. Diese Mission lässt sich mit dem Wissen von heute als erfolgreich bezeichnen. Angesichts einer Gruppe von 800 Menschen, von denen seinen Beitrag niemand des Geldes, sondern jeder der Überzeugung wegen geleistet hat, und eines Zeitraumes von 15 Jahren scheint mir das eine sehr große und schöne Feststellung zu sein. Nicht mitgezählt bei diesen 800 sind unsere Leserinnen und Leser, unsere Informanten und Ideengeberinnen, unsere Kinder, unsere Partnerinnen und Partner. Ohne sie wäre DATUM nur eine Idee geblieben. Danke.
Meinen damaligen Betreuerinnen und Betreuern beim AMS habe ich im Oktober 2016 die Neustartausgabe von DATUM zugeschickt. Seither habe ich nichts mehr von ihnen gehört. •