Der Schmetterlings-Effekt
Claudia Lenz bringt Kinder an die Macht – leise und demokratisch.
›Greta Thunberg und die von ihr angestifteten Schülerstreiks ermutigen mich. Kein Wunder, dass Schweden eine Thunberg hervorbringt. Skandinavien hat traditionell eine stark verankerte egalitäre und demokratische Tradition. Aber in Schweden wird derzeit ein regelrechter kultureller Hegemoniekampf zwischen den traditionell offenen und liberalen Kräften und den ethno-nationalistischen »Schwedendemokraten« ausgetragen. Viele gesellschaftliche Fragen sind hier politisierter und polarisierter als in den Nachbarländern, wo einwanderungskritische Parteien längst mitregieren.‹
Claudia Lenz, europäische Demokratiedidaktikerin, unermüdlich Reisende, gebürtige Deutsche. Sie arbeitet in Oslo an einer wissenschaftlichen Hochschule und am Zentrum für Holocaust-Studien. Der 16-jährigen Klima-Aktivistin Greta Thunberg stellt Lenz ein Spitzenzeugnis für ihre Kompetenz zum Eingreifen in Rahmenbedingungen aus.
Im Europarat arbeitete Lenz jüngst einen Referenzrahmen für demokratische Kulturkompetenzen mit aus. Das klingt sperrig. Doch dahinter steckt das tägliche Bemühen Erwachsener von Lissabon über Linz bis Lemberg / Lwiw, Kinder und Jugendliche auf das Zusammenleben in Demokratien vorzubereiten. ›Demokratisches Zusammenleben braucht eine gemeinsame Orientierung dafür, wie mit Vielfalt, Meinungs- und Interessenunterschieden umgegangen werden kann. Wir haben mit tausenden Lehrerinnen und Lehrern einen »Leitstern« entwickelt, an dem sich Praxis von Großbritannien bis Georgien orientieren kann.‹
Zusammengefasst ist der Kompetenzrahmen auf einer Seite in der Gestalt eines Schmetterlings. Der Inhalt: Kinder und Jugendliche eignen sich interkulturelle, menschenrechtliche und demokratische Fähigkeiten und Fertigkeiten an. Wann sind diese so ausgeprägt, dass die Kinder mit fremden Menschen und neuen Situationen gut umgehen können? Der Kompetenzrahmen bietet hier Orientierung und ist die stille, transnationale und zukunftsweisende Antwort auf den Lärm von rechts.
Claudia Lenz ist in ihrem jetzigen Job nach Studien der Philosophie und der Politikwissenschaft gelandet, ›über die norwegisch-deutsche Vergangenheitsaufarbeitung kam ich zur Didaktik.‹ 1990 hatte sich die damalige Studienanfängerin im Berliner Ostbahnhof in den Zug gesetzt, es ging nach Warschau, Prag und Budapest. ›Der Eiserne Vorhang ist gefallen. Seit damals verbinde ich Europa mit Erweiterung des Horizonts – und die EU ist für mich das Regulativ gegen Nationalismus.‹ In selbstorganisierten Lesekreisen erarbeitete sie sich ihr Weltverständnis. ihr Vorbild: Hannah Arendt. Heute wendet Lenz Arendts Konzept vom ›Denken im Konzert‹ in bildungspolitischen Komitees in Straßburg genauso an wie vor wenigen Wochen in einem Seminar mit Jugendarbeitern und Bildungsinnovatoren im Zentrum polis in Wien.
Nimmt Lenz Österreichs Bürger als demokratiekompetent wahr? Sie antwortet diplomatisch: ›Ich würde der Bundesregierung gerne ausrichten, dass sich Investitionen in Demokratiebildung ausnahmslos als sinnvoll und nachhaltig erweisen.‹ •
Claudia Lenz lehrt an der ›Norwegian School of Theology, -Religion and Society‹ und am Zentrum für -Holocaust-Studien in Oslo. In einer Fachgruppe im Europarat -unterstützt sie die Aus-bildung von -überzeugten Demokraten.