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Die Banalität der Liederlichkeit

Moral und Ethik sind für die ÖVP Verschubmasse.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe November 2022

Wer legt fest, was Moral ist? Wer sagt, was gerade ethisch ist?‹ Mit diesen Fragen im Sommergespräch des ORF hat Bundeskanzler Karl Nehammer die Turbulenzen nach dem Geständnis des ehemaligen Generalsekretärs des Finanzministeriums, Thomas Schmid, schon vorgezeichnet. Weitgehend unbemerkt und gewiss ungewollt.

Demnach wären Moral und ethisches Verhalten Töchter der Zeit. Mitte der 2010er-Jahre war es offenbar ›gerade ethisch‹, bewährte politische Praktiken noch einmal auf die Spitze zu treiben, in der Hoffnung, die Wucht des Wahlsieges 2017 würde jede Kritik im Keim ersticken. Keine Aussage Schmids auf den von der Korruptionsstaatsanwaltschaft zusammengetragenen 450 Seiten deutet auf ungewöhnliche Kreativität hin. Das politische Geschäft mit den Inseraten in Printprodukten ist so alt wie das Naheverhältnis von Medien und Politik in Österreich. Nicht einmal die Schilderung des Besuchs der Fellner-Brüder in seinem Büro nach dem Aufstieg zum ÖBAG-Chef ist neu. Episoden dieser Art kursieren seit Jahren – in der gleichen Tonalität, mit den gleichen zwei Akteuren – in der Bundeshauptstadt. Es hat sie allerdings noch niemand so detailliert geschildert. Möglich, wenn auch nicht wahrscheinlich, dass jemand in Zukunft den Brüdern die Türe weist, wenn das Gespräch das Thema Geld gegen positive Berichterstattung erreicht. 

Auch Interventionen zur Herabsetzung einer Steuerschuld oder zur Einstellung einer Steuerprüfung sind so alt wie der Kummer von Steuerpflichtigen mit den Finanzprüfern. Deshalb zweifelt auch außerhalb der ÖVP kaum jemand daran, dass sich die Interventionen von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka und das Drängen von René Benko und Siegfried Wolf genau so abgespielt haben. Selbst wenn sie Fehlverhalten bisher immer abgestritten haben: In Österreich weiß man, dass es so läuft – seit Jahrzehnten.

Der normale Steuerpflichtige unterzieht sich vielleicht der Mühe, mit dem Finanzbeamten zu verhandeln; der prominente Steuerzahler nimmt die ›Abkürzung‹. Sämtliche Beziehungen in Österreich, auf welcher Ebene auch immer, laufen über ›Abkürzungen‹. 

Da ist es kein Wunder, wenn Schmid diese für ganz normal gehalten hat. Das Gleiche gilt auch für die Erfüllung von Personalwünschen.

Beschwerde- oder Gleichbehandlungskommission, diese oder jene Einspruchsmöglichkeit, die in den letzten Jahren geschaffen worden ist, sie alle gelten nur bis zu einer gewissen Ebene. Darüber hinaus zählt der direkte Zugang zu den Hotspots der Macht, wo immer sie sind oder wo immer sie vermutet werden.

Schmid meinte, es seien ›Dinge gemacht worden‹, die nicht in Ordnung waren. Das meint er jetzt. Vieles davon war jedoch bis vor Kurzem völlig in Ordnung. Die Übernahme von Kosten für eine Partei durch ein Ministerium zum Beispiel. Vor vielen Jahren meinte ein Verantwortungsträger: Die Partei muss in der Regierung sein, um Zugang zu Finanzierungen durch die Ministerien zu haben. 

Der Obmann einer christlich-sozialen Partei, der erst fragen muss, wer Moral und ethisches Verhalten ›gerade‹ festlegt, hat auch keine Ahnung von Liederlichkeit. Ihm erscheint alles normal, Grenzen existieren nicht.