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Die Hausrecycler

Andrea Kessler und Peter Kneidinger verbauen Überreste alter Gebäuden in neuen Häusern. Kann so Kreislaufwirtschaft am Bau funktionieren?

DATUM Ausgabe April 2024

Eine Bar kann auch eine Beichte sein‹, sagt Andrea Kessler. Die Mitbegründerin des Bauunternehmens ›Materialnomaden‹ streicht über eine Tür-große Holzplatte mit kleinem verstrebten Fenster, die sie gerade mühsam aus einer Holzkiste hervorgezogen hat. Diese alten Beichtstühle hat das Unternehmen für die neue Wandvertäfelung in der Bar im Wiener Magdas Hotel der Caritas wiederverwertet. Mit einer übrigen gebliebenen Beichtstuhltür in den Händen steht Kessler heute in einer Lagerhalle in Wien Floridsdorf, von deren rechten hinteren Eck sich ein buntes Chaos ­geordnet in fein säuberlichen Stapeln überblicken lässt. Metallrohre, Montagewinkel, Markisenhalterungen neben alten Fensterrahmen, roten Halte­stangen und blauen Zugsesseln. Die Objekte sind aber nur auf Durchreise, vielen ist ihre Zukunft schon vorherbestimmt.

Als Materialnomaden haben sich Andrea Kessler und ihr Co-Gründer Peter Kneidinger einer nachhaltigen Bauwirtschaft verschrieben. Dafür ernten sie Bauteile aus abbruchreifen Gebäuden und verpflanzen sie an anderer Stelle wieder. So kann aus Deckenpaneelen auch ein Blumentrog, aus Lüftungsrohren eine Fassade, aus Kastentüren ein Hausdach werden. Ihr, laut Kneidinger, bisher ›schönster‹ Kreislauf ist jedoch ein Parkettboden, der einfach Parkettboden bleibt.

Aber der Reihe nach: denn so funktioniert momentan auch unsere Wirtschaft – linear. Wir bauen einen Rohstoff ab, produzieren ein Produkt, nutzen und werfen es am Ende meist in die Tonne. In der Fachsprache nennt sich das ›take-make-use-waste‹-Wirtschaft. Oder plakativer: Wegwerfgesellschaft. ›Unsere Kernaufgabe ist statt diesen linearen Ketten, die Kurve zu kratzen‹, sagt Kessler. Die Kurve zu einer Kreislaufwirtschaft. ›Denn der Anfang eines Projekts beginnt eigentlich beim Ende eines anderen‹, fügt sie hinzu.

Besonders für die Baubranche ist das relevant. Dreiviertel des gesamten Abfalls und 57 Prozent des gesamten Ressourcenverbrauchs in Österreich gehen auf die Bauwirtschaft zurück. Eine kürzlich veröffentlichte Analyse des Climate Change Center Austria zu den Maßnahmen der Stellungnahmen zum Nationalen Energie- und Klimaplan schreibt der Etablierung einer Kreislaufwirtschaft im Bauwesen ein Einsparpotential von 0,7 bis maximal 1,4 Millionen Tonnen CO2 zu. Das wären rund ein Viertel aller nationalen Emissionen im Sektor. Kreislaufwirtschaft bedeutet vor allem, effizient und schonend mit Ressourcen umzugehen, Stoffkreisläufe zu schließen. Und hier kommen die Materialnomaden ins Spiel.

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