Die Ruhe nach dem Massaker

Wie der Fotograf Ziv Koren den Horror des Hamas-Angriffes auf Israel festhielt, ohne tote Menschen zu zeigen.

·
Fotografie:
Ziv Koren/Polaris/laif
DATUM Ausgabe November 2023

Ich hatte Tränen in den Augen. Nachdem ich fotografiert hatte, umarmte ich den Soldaten‹, sagt Fotojournalist Ziv Koren. Wenige Tage nach der brutalen Attacke der Hamas auf Israel mit weit über tausend Toten schoss er das Bild zweier Soldaten der israelischen Antiterroreinheit LOTAR im Kibbuz Kfar Aza, wo zuvor mehr als 70 Terroristen mehr als hundert der rund 750 Bewohner ermordet hatten. 

Koren begleitete die Soldaten bei der ­Befreiung des Kibbuz, Haus für Haus, aus Sorge vor verschanzten Terroristen und Sprengfallen. Beim Anblick des Schabbat-Tischs einer getöteten Familie übermannten einen der Soldaten die Gefühle: ›Er sah das Challah, ein besonderes Brot, das religiöse Juden am Schabbatabend essen. Am Feiertag legt man darüber eine spezielle Art von Stoff mit der Aufschrift Schabbat Schalom.‹

Dass sein Bild fast 100.000 Likes auf ­Instagram bekam, nachdem der offizielle Account der israelischen Streitkräfte es dort postete, hat Koren zunächst gar nicht mitbekommen. Er vermutet aber, sein Bild wirke deshalb so stark, weil ›all die harten Bilder von toten Körpern einfach überwältigend sind und die Menschen damit nichts anfangen können.‹ Korens Foto zeigt stattdessen, was die Opfer durch das brutale Attentat nie mehr erleben dürfen: ein friedliches, ­familiäres Schabbat-Mahl – und mit den ­Soldaten zwei Beobachter der Szenerie, die ihr so hilflos gegenüberstehen wie die ­Betrachter des Bildes. 

Koren ist der Meinung, dass Medien manchmal auch explizite Bilder zeigen ­sollen, hat selbst am gleichen Tag auch Blutspuren fotografiert. Allerdings sieht er einen großen Unterschied bei der Verwendung solcher Bilder durch die zwei Konfliktparteien: ›Die Hamas benutzt Leichen für Propaganda – wir arbeiten mit Medien zusammen, die ethische Standards erfüllen.‹ 

Bei den israelischen Streitkräften begann vor mehr als 30 Jahren auch Ziv Korens Karriere. Nach einem Motorradunfall konnte der ehemalige Kunststudent keinen klassischen Militärdienst leisten und begann so im Rahmen seines Wehrdienstes, IDF-Einsätze zu fotografieren. Korens Beziehung zu den IDF ermöglichte es auch, die Fotos aus dem Kibbuz zu schießen. Als einem der ­ersten Fotografen wurde ihm erlaubt, die Anti-Terror-Einheiten zu begleiten. Zuvor war er direkt nach dem ersten Luftalarm und den Meldungen eines Angriffes auf eigene Faust in Richtung Anschlagsort losgefahren. Als Koren und seine Kollegen ausstiegen, um tote Teenager zu fotografieren, schossen Terroristen auf sie. ›Wir lagen 25 Minuten hinter den Autos, bis israelische Soldaten kamen‹, erinnert er sich.

Ziv Koren fotografierte schon israelische Militäroperationen im Gaza-Streifen, war auch im ukrainischen Butscha. Aber er sagt: ›Ich habe noch nie so etwas Brutales und Gewalttätiges gesehen.‹ Er spricht von geköpften Menschen, verbrannten Familien und erinnert daran, dass die Identität von 250 entstellten Leichen erst noch via DNA-Tests ermittelt werden muss. Koren selbst hat neun Freunde bei den Attacken verloren. 

Trotz dieser Eindrücke hat der Fotograf auch Mitgefühl für die palästinensische ­Bevölkerung und plädiert nach wie vor für eine Zwei-Staaten-Lösung. Doch ›Israel wird nicht tatenlos zusehen, wie eine Terrororganisation uns in Stücke reißt‹. Wie er selbst mit dem Erlebten umgeht? ›Ich dokumentiere Geschichte. Das gibt mir die Kraft weiterzumachen.‹