Editorial
Ein gutes Jahr beginnt mit einer Regierung, der Heinz-Christian Strache und Herbert Kickl nicht angehören.
Schwarz-Blau. Erinnern Sie sich noch? Wie die Regierung Opposition und Zivilgesellschaft ignoriert, wie sie staatliche Institutionen beschädigt hat (Stichwort BVT)? Wie sie Druck auf Minderheiten und Randgruppen ausgeübt, wie sie Rechtsextremismus und Nationalismus regierungsfähig gemacht hat? Wie Kanzler und Vizekanzler jedes Mal, wenn sie vor einem Problem standen, einfach Kopftuch! Asyl! Kriminalität! gerufen haben? Wir erinnern uns. Es war eine dunkle, eine gefährliche Zeit, an die Kurz, Strache und Kickl die besten Erinnerungen bewahrt haben.
Vor diesem Hintergrund wirkt Schwarz-Grün wie eine Chance. Eine Chance für unsere Gesellschaft, wieder miteinander statt nur gegeneinander zu sprechen: über Themen wie Bildung, Digitalisierung, Pflege, anstatt immer nur über Kopftuch, Asyl, Kriminalität. Eine Chance für die Grünen zu zeigen, dass sie nicht nur problematisieren und streiten, sondern auch regieren können. Eine Chance für Sebastian Kurz, zu zeigen, dass er nicht nur ein erfolgreicher Wahlkämpfer, ein gewiefter Stratege sein kann, sondern auch ein guter, ein besonnener Kanzler.
Bemerkenswert, dass die Regierung Kurz II im ersten Monat nach ihrer Inauguration keine dieser Chancen genutzt hat – die ÖVP war dazu nicht willens, die Grünen nicht imstande.
Ein Bildungsminister, der die Politisierung des Bildungssystems vor Wissenschaft schützen, eine Frauenministerin, die sich nicht als Feministin bezeichnen lassen will, eine Landwirtschaftsministerin, die am Dieselprivileg festhalten, eine Europaministerin, die die Außengrenzen stärken, die Migration eindämmen, die Zahlungen an Brüssel nicht erhöhen will: Der Auftrag der ÖVP ist der Schutz ihrer Ressorts vor Veränderung. Stattdessen: Kopftuchverbot. Asylzentren. Sicherungshaft. Die ÖVP setzt ihre Koalition mit der FPÖ nach deren Wegfall einfach mit den Grünen fort.
Als farbliches Synonym für die ÖVP verwenden wir übrigens weiterhin Schwarz. Die Farbe Türkis ist Kernstück eines politischen Taschenspielertricks. Neue ÖVP? Neuer Stil? Bewegung statt Partei? Tatsächlich bedeutet Türkis: nach innen autoritär, nach außen migrationsfeindlich und europaskeptisch.
Und die Grünen? Verschwenden ihre Energie darauf, die ÖVP nach außen zu verteidigen, während sie intern darüber streiten, wie sie zu jener Partei werden konnten, die der Opposition einen Untersuchungsausschuss zurechtstutzt.
Der Lichtblick dieser Regierung sind Alma Zadić, Leonore Gewessler und Rudolf Anschober, die ihre historische Chance nutzen wollen, dieses Land zu verändern und neben ihren ÖVP-Kollegen zudem so wirken, als wären sie tatsächlich aus Fleisch und Blut.
Es wäre töricht, eine Regierung an ihrem ersten Monat zu messen. Ebenso töricht wäre es, nicht zu sagen, was man sieht, bloß weil Heinz-Christian Strache und Herbert Kickl ihr nicht mehr angehören.
Ihr Stefan Apfl
stefan.apfl@datum.at
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