2023: Ein ganz neutraler Forscher
China saugt gezielt Wissen aus österreichischen Universitäten ab, um es dann militärisch zu verwerten. Der Quantenphysiker und Nobelpreisträger Anton Zeilinger erwies sich dafür als besonders nützlich.
Als im August 2016 der erste Quantensatellit 500 Kilometer über der Erde zu kreisen begann, muss die Gruppe am chinesischen Weltraumbahnhof Jiuquan mehr als stolz gewesen sein. Denn gemeinsam hatten sie Großes vollbracht. Der Satellit ›Micius‹ ermöglichte es, völlig abhörsicher Informationen von China bis nach Graz-Lustbühel zu schicken.
Die beiden Köpfe hinter diesem Erfolg: der österreichische Quantenphysiker Anton Zeilinger und sein ehemaliger Doktoratsstudent Jian-Wei Pan. ›Mit dem Start ist ein erster Schritt zu einer weltweiten Quantenkommunikation gesetzt‹, sagte Zeilinger damals. Und es sollte nicht der letzte sein, den Pan und er gemeinsam gingen.
Hinter der Geschichte
Das deutsche Medium Correctiv brachte im Sommer letzten Jahres eine große Recherche zu chinesischer Wissenschaftsspionage. Am Rande kam dabei auch Anton Zeilinger vor, weshalb wir über seine Arbeit mit China zu recherchieren begannen. Dabei hatten wir vor allem drei Hürden zu überwinden: Erstens, wir hatten anfangs beide keine Ahnung von Quantenphysik. Zweitens, wir wollten uns Zeilingers Rolle von Wissenschaftlern erklären lassen, aber nicht viele waren bereit dazu. Drittens, die Blockade und fehlende Gesprächsbereitschaft zu kritischen Fragen von Seiten der ÖAW und Anton Zeilinger war befremdlich. Wir wurden über Wochen hingehalten, immer wieder vertröstet, und auf unseren Fragenkatalog wurde letztlich nur peripher eingegangen. Die Geschichte kam dafür sehr gut an. Es gab sehr viele positive Rückmeldungen aus informierten Kreisen. Außerdem wurde die Thematik mehrmals von anderen Medien aufgegriffen. Unlängst äußerte sich Zeilinger gegenüber dem niederösterreichischen ORF zu unseren Recherchen, spielte den chinesischen Einfluss aber einmal mehr herunter.
Ich kam über das Talente-Programm zu DATUM und bin seit Jänner 2022 festangestellter Reporter. Emilia Garbsch hat ebenfalls ihren Anfang bei DATUM im Talenteprogramm gemacht. Heute ist sie freie Journalistin für diverse Medien.
Thomas Winkelmüller
Ein Jahr später führte Zeilinger, damals Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), mit seinem chinesischen Amtskollegen Chunli Bai das weltweit erste Quantentelefonat. Überträger des Gesprächs: der Micius-Satellit. Viele der Vorläufer der Instrumente an Bord wurden ursprünglich in Österreich entwickelt, sagte Zeilinger damals. Letztendlich gebaut hat sie ein chinesisches Team um Pan.
Spätestens seit dem Quantentelefonat hegte in Österreich noch kaum jemand Zweifel, dass Zeilinger bald den Nobelpreis gewinnen würde. Und fünf Jahre später ging diese von Medien lang herbeigeschriebene Hoffnung in Erfüllung. Das Land feierte.
Es gibt aber auch Menschen, die in Zeilingers Kooperation mit China keine Erfolgsgeschichte sehen, sondern ein spektakuläres Beispiel für die Naivität westlicher Forscher im Umgang mit einer nach globaler Vormacht strebenden Diktatur. Sie arbeiten in australischen Think Tanks oder US-amerikanischen Sicherheitsunternehmen, aber man findet sie auch an europäischen Universitäten, unter Zeilingers Kollegen. Und sie äußern Sorgen, die zumindest ein österreichischer Nachrichtendienst teilt.
›Obwohl das Micius-Quantensatellit-Projekt als wissenschaftliche Initiative vorgestellt wurde, war es von Anfang an in die chinesische Verteidigungsindustrie integriert‹, heißt es in einem Bericht der US-amerikanischen Sicherheitsfirma Strider. In der Kriegsführung der Gegenwart wird es immer entscheidender, wer über welches Wissen verfügt. Deswegen setzen auch Militärs große Hoffnungen in Quantentechnologien, die vor allem Ver- und Entschlüsselung von Kommunikation und Radarsysteme revolutionieren könnten.
So war der Chefingenieur des Micius-Satelliten, Xu Boming, bei der ›Shanghai Aerospace Academy‹ beschäftigt. Sie ist Tochterfirma eines staatlichen Rüstungsherstellers und bezeichnete sich selbst einmal als ›Rückgrat der chinesischen Verteidigungswissenschaft‹.
Drei Wochen vor dem berühmten Quantentelefonat unterzeichnete Zeilingers ehemaliger Doktorand und seitheriger Forschungspartner Jian-Wei Pan außerdem einen Vertrag. Der Inhalt: Die Errichtung von drei Laboren für Quantenforschung gemeinsam mit der ›China Shipbuilding Industry Corporation‹, kurz CSIC. Hinter dem Namen steckt ein staatlicher Rüstungshersteller, der die Weiterentwicklung militärischer Quantenkommunikation fördert. Pan wurde zum stellvertretenden Direktor des Wissenschafts- und Technologieausschusses der Firma ernannt. Nachzulesen war all das schon damals in chinesischen Staatsmedien und Presseaussendungen.
Die beiden Seiten dieser Geschichte – Kooperation als Chance für Forschungserfolge oder als Einfallstor für Wissenschaftsspionage – stehen für die Grundsatzfrage, wie Europa mit China in der Forschungszusammenarbeit umgehen soll. Denn Kooperationen laufen Gefahr, auch Teil einer Strategie zu werden, die der offizielle Nachrichtenkanal des chinesischen Militärs, ›PLA Daily‹, mit einem Sprichwort zusammenfasst: ›Picking flowers in foreign lands to make honey in China‹. Das Renommee ausländischer Universitäten, sowie ihre Forschung und Ausbildungsmöglichkeiten, werden gezielt genutzt, um die eigene Militärtechnologie zu verbessern. Auf Austausch setzt man auch an Chinas Hochschulen. So brachte man reichlich Know-How ins Land und stärkte Chinas Wissenschaftsstandort in den letzten Jahrzehnten massiv. Österreichs Forschung ist Ziel dieser Strategie geworden. Entgegengehalten wird dem wenig.
Auch die Zusammenarbeit mit Anton Zeilinger und seiner Forschungsgruppe an der ÖAW war und ist ein kleiner Teil von Chinas Strategie am Weg zur militärischen Vorherrschaft. Denn die Volksrepublik interessieren vor allem Forschungsfelder mit Dual-Use-Potential. Der Begriff fasst all jene Bereiche zusammen, die neben ziviler auch militärische Anwendung finden können. Dazu zählt die Quantenphysik, Anton Zeilingers Spezialgebiet.
DATUM hätte gerne mit Zeilinger selbst gesprochen und hat deshalb schon Ende August Kontakt mit ihm und seinem Team aufgenommen. Der Nobelpreisträger wollte sich jedoch weder mündlich noch schriftlich zu diesem Thema äußern.
Sieben andere Quantenphysiker haben dafür mit DATUM über die Kooperation mit chinesischen Wissenschaftlern gesprochen. Auch Mitarbeiter eines heimischen Nachrichtendienstes und vier China-Experten haben ihre Einschätzungen geteilt. Außerdem konnte DATUM Rechercheergebnisse der deutschen Medien Correctiv und Deutsche Welle einsehen. Aus all diesen Informationen ergibt sich ein Bild, das eine grundsätzliche Frage aufwirft, auf die nicht nur Österreich eine Antwort finden muss: Wie viel Risiko nehmen wir für wissenschaftlichen Fortschritt in Kauf?
Um die Grauzone, um die es hier geht, besser zu verstehen, hilft ein Blick in die Vergangenheit. Denn der gemeinsame Weg von Anton Zeilinger und Jian-Wei Pan begann vor bald drei Jahrzehnten mit einem Brief.
Man schreibt das Jahr 1996. Zeilinger ist gerade Professor an der Universität Innsbruck. Und China, das ist noch ein weit entferntes, weit ärmeres Land. Ein Professor schreibt damals an Zeilinger, dass einer seiner Studenten, ein gewisser Herr Pan, außergewöhnlich gut sei. Er empfiehlt Zeilinger, ihn als Doktoranden nach Österreich zu holen, Zeilinger kommt dem Vorschlag nach. Als dem Physiker 1997 in weltweit beachteten Experimenten das ›Beamen‹ – die Übertragung von exakten Informationen durch quantenphysikalische Prozesse und damit die Grundlage für den späteren Quantensatelliten – gelingt, ist Pan bereits Teil seiner Forschungsgruppe. Nach Abschluss seines Doktorats geht Pan an die Universität Heidelberg und später zurück nach China. Der Kontakt zwischen den beiden besteht bis heute.
Zeilinger und Pan gelten als Pioniere der Quantenphysik. Pans Landsleute bezeichnen ihn als ›Einstein Chinas‹. Zeilinger wiederum wird in heimischen Medien gerne als ›Quantenpapst‹ tituliert. Insgesamt 36 wissenschaftliche Artikel publizierten sie zusammen mit dutzenden Wissenschaftlern aus China und Österreich, zuletzt 2021.
Während mehr als 25 Jahren der Zusammenarbeit veränderte sich vor allem Pans Heimatland stark. Parallel zu einem rasanten wirtschaftlichen Aufstieg nahmen – nach einer kurzen Phase der scheinbaren Öffnung – auch die Repressionen zu. Die Staatsführung stellte immer mehr Lebensbereiche unter ihre Kontrolle.
Chinas Militär ist mittlerweile eng mit der Wissenschaft verzahnt. Sie wird für das Ziel vereinnahmt, bis 2049 zur dominierenden Weltmacht aufzusteigen – auch militärisch. Spätestens seit 2015, zwei Jahre bevor das österreichisch-chinesische Quantentelefonat stattfand, forciert das Regime die ›militärisch-zivile Fusion‹. Sie beschreibt die Strategie, bei jeglicher Forschung auch militärische Potentiale zu erschließen, inklusive Quantentechnologien.
Der tschechische Quantenphysiker Michal Křelina berät unter anderem die Europäische Union in Sicherheitsfragen und sagt: ›In der Kriegsführung der Zukunft wird Quantentechnologie eine entscheidende Rolle spielen.‹ Neben Quantencomputern und Sensorik werde vor allem die verschlüsselte Kommunikation, Zeilingers Fachgebiet, wichtig. Quantensatelliten spielen dafür laut Křelina eine Schlüsselrolle. Sie könnten in Friedenszeiten, aber eben auch im Kriegsfall Kommunikation absolut abhörsicher machen. Und Křelina fügt hinzu: ›Aus Perspektive der internationalen Sicherheit ist China eine Bedrohung und wissenschaftliche Zusammenarbeit bei Quantenforschung gefährlich.‹
Viele Grundlagen der verschlüsselten Quantenkommunikation entstanden in Österreichs Laboren – chinesische Forscher und Studenten, die später nach China zurückkehrten, waren dabei. ›Das größte Problem ist der Transfer von Wissen, der so stattfindet‹, sagt Křelina. In China werde man es für militärische Zwecke nutzen: ›Warum sollten wir ihnen helfen, ihre nicht mehr aufzuhaltenden Forschungsfortschritte zu beschleunigen?‹
Wie eng auch Jian-Wei Pans Forschung mit Chinas militärischen Interessen hinter Quantentechnologien verzahnt ist, zeigten im Juni Recherchen von Correctiv und Deutscher Welle. Der Wirkungsbereich des chinesischen Quantenphysikers ist schon lange die University of Science and Technology of China (USTC). 2009 war Pan Mitgründer des Unternehmens ›QuantumCTek‹, das später einen chinesischen Preis für ›Militärwissenschaft‹ gewann.
Heute beteuert er, seit 2011 nur noch als Aktionär beteiligt zu sein – die Firma setzt aber weiterhin die Forschung der USTC in konkrete Technologien um. Seine Universität schloss außerdem zwischen 2015 und 2018 mindestens drei Kooperationsverträge mit staatlichen chinesischen Rüstungsherstellern im Bereich der Quantenforschung, darunter einer, den Pan selbst unterzeichnete.
In der Vergangenheit betonte er, dass die Forschung im Rahmen dieses Abkommens für zivile Zwecke bestimmt sei – seine frühere Beratungstätigkeit bei der Firma habe nur zum Ziel gehabt, die Wissenschaft selbst zu fördern, schreibt er DATUM. Ein leitender Mitarbeiter der Rüstungsfirma meinte hingegen gegenüber einem chinesischen Staatsmedium, dass man mit Pans Team zusammenarbeite, um Quantentechnologien für Seeverteidigung zu erschließen.
Seit 2021 finden sich QuantumCTek und die USTC-Abteilung, zu der Pans Labor gehört, jedenfalls auf der US-Sanktionsliste für ›militärische Endbenutzer‹ und sind somit von Exportkontrollen betroffen. Pan selbst argumentiert auf Anfrage mit wissenschaftlicher Neutralität: ›Als Wissenschaftler können wir nicht kontrollieren oder vorhersagen, wie unsere Ergebnisse verwendet werden‹, schreibt er. Forschern den möglichen Missbrauch ihrer Entdeckungen durch Dritte vorzuwerfen, sei ungerecht. Zwei hohe Vertreter des österreichischen Abwehramtes, einer der drei hiesigen Nachrichtendienste, bestätigen jedenfalls im Gespräch mit DATUM: ›Die Forschung von Jian-Wei Pan ist militärisch relevant.‹ Chinas Wissenschaftler würden sich laut ihren Einschätzungen dem Staatsapparat nicht entziehen können.
Das stärkste Mittel zur Umsetzung dieser Staatstreue ist Angst. Von ihr berichten einige, die hierzulande mit chinesischen Forschern zusammenarbeiten. Es sind Geschichten von regimekritischen Gesprächen im Wald, außer Reichweite von Abhörgeräten. Von der Nötigung, die chinesische Kollegen erfahren, bestimmte Posten in ihrer Heimat anzunehmen, und von Ausreisen, die verwehrt werden. Von ihrer Panik, weil im Forschungsdatensatz Hongkong als eigenes Land geführt wird. Gut finden auch viele aus China die Entwicklung ihrer Heimat nicht – aber offener Widerstand, der ist gefährlich. Zum Schutz der Beteiligten beschreibt auch DATUM keine konkreteren Details.
All diese Geschichten beziehen sich auf chinesische Wissenschaftler, die auch in Österreich waren. Von ihnen gibt es einige. Allein 16 lernten laut der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Zeilingers Laboren, darunter auch Personen aus Pans heutigem Team in China. Zeilinger zeigt sich 2021 gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sogar ein wenig stolz: ›Es freut mich, dass viele von ihnen meine akademischen Enkel und Urenkel sind.‹ Auf die Frage, ob damit nicht wissenschaftliches Know-How abfließe, sagt Zeilinger: ›Bei Amerikanern habe ich das noch nie gehört.‹ Es handle sich um den üblichen Austausch innerhalb des Wissenschaftsbetriebs.
Von diesem Wissensaustausch profitierte auch Bo Liu, ein chinesischer Wissenschaftler, der an der ›National University of Defense Technology‹ (NUDT) seinen Doktor machte. Der Name ist Programm: Die NUDT ist direkt der Zentralen Militärkommission Chinas unterstellt und gehört zu den militärischen Spitzenunis des Landes.
Sechs Publikationen verfasste ebendieser Bo Liu zusammen mit Anton Zeilinger, darunter jene zu den Versuchen mit dem Micius-Satelliten. Liu wurde dabei stets sowohl der ÖAW als auch der NUDT zugerechnet und war Teil von Zeilingers Forschungsgruppe. 2017, als die erste Publikation mit Zeilinger erschien, überreichte der chinesische Präsident Xi Jinping persönlich der NUDT die Militärflagge. Und bezeichnete sie in einer Rede als ›Hochland für unabhängige Innovationen in der nationalen Verteidigungswissenschaft‹.
Seit 2022 veröffentlicht Liu wieder ausschließlich an der NUDT. Heuer zum Beispiel einen Text mit einem Forscher der ›Air Force Engineering University‹ zum Thema Quantenschlüsselaustausch zwischen Satelliten und Flugzeugen. Zeilingers Forschungsschwerpunkt, nur nahe an der Praxis.
Chinas Bemühungen an Österreichs Universitäten gehen aber weit über die Person Zeilinger hinaus. Die drei technischen Universitäten Österreichs in Wien, Graz und Innsbruck unterhalten mindestens zehn verschiedene Kooperationen oder Austauschprogramme mit chinesischen Institutionen. Vor allem die TU Wien sticht hervor. Sie kooperiert mit insgesamt drei Universitäten, die eines gemein haben: Sie alle sind Teil der ›Seven Sons of National Defense‹. Die Hälfte aller promovierten Absolventen dieser Universitäten gehen in den chinesischen Verteidigungssektor. Ebenso fließt etwa die Hälfte ihrer Forschungsausgaben in die Verteidigungsforschung.
Im Jahr 2020 erließ die Regierung der Vereinigten Staaten ein Einreiseverbot für Studenten der ›Seven Sons‹. Die TU Wien hingegen holt sie weiter in ihre Labore und Hörsäle.
Stellung nehmen wollte die Hochschule dazu nicht – sie verwies, wie die Uni Wien, auf Prüfungen von Forschungsergebnissen gemäß Dual-Use-Verordnungen der EU. Die ÖAW gibt an, ein ›mehrstufiges, internes Kontrollsystem‹ für Dual-Use-Risiken zu haben. Zusammenarbeit mit chinesischen Forschern in der Quantenphysik bestehe nur in der Grundlagenforschung, sämtliche Ergebnisse würden öffentlich publiziert, heißt es in Stellungnahmen der Uni Wien und der ÖAW. Zahlreiche konkrete Fragen blieben unbeantwortet. Alle Institutionen betonten zudem, dass Austausch zu besseren Forschungsergebnissen führe und ein Grundprinzip der Wissenschaft sei. Dazu gehört offenbar auch der Austausch mit der militärisch mächtigsten Diktatur der Welt, die allen Demokratiebestrebungen und damit auch der Freiheit der Wissenschaft längst den Krieg erklärt hat.
Und auch Chinas Bestreben, die Freiheit von chinesischen Wissenschaftlern im Ausland zu beschränken, wird hingenommen – mitunter aus finanziellen Interessen: Mit dem sogenannten ›China Scholarship Council‹, kurz CSC, finanziert die Volksrepublik die Ausbildung junger Wissenschaftler im Ausland, etwa als Doktoranden und Post-Docs, die Forschungsgruppen hierzulande vergrößern. DATUM liegt ein solcher Stipendiums-Vertrag vor. Er verpflichtet Stipendiaten zur bedingungslosen Staatstreue, ständigen Kontakt mit der Botschaft und der Rückkehr nach China. Der Vertragsinhalt dürfte überall identisch sein.
CSC-Stipendiaten gibt es aktuell auch an Österreichs Universitäten. Etwa an der Universität Wien, der TU Wien oder bei der ÖAW. Unter Zeilingers Co-Autoren war zumindest eine Person, die mit diesem Stipendium in Wien forschte.
Keine Universität äußert sich gegenüber DATUM zu CSC-Vertragsinhalten – außer die Uni Wien. Sie sei in den Verträgen nicht ›zeichnende Partei‹, wolle in Zukunft stärker für das Thema sensibilisieren. In Schweden und Deutschland lassen erste Universitäten keine neuen CSC-Stipendiaten mehr zu.
Auch das österreichische Abwehramt blickt mit Sorge auf die CSC-Stipendien. Freundschaftliche Beziehungen könnten später für die Interessen des Regimes genutzt werden – ganz gleich, ob Stipendiaten das wollen oder nicht. 2017 beschloss die kommunistische Partei ein Gesetz, das zur Kooperation mit dem Geheimdienst verpflichtet: Chinesische Staatsbürger im Ausland sind davon nicht ausgenommen.
Das seien Risiken, die vielen Forschern nicht bewusst sind, so das Abwehramt. Deshalb bieten sie und die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst Beratung zu internationalen Forschungskooperationen an – sofern Wissenschaftler mit ihnen Kontakt aufnehmen.
Nur wenige Quantenphysiker in Österreich wollten mit DATUM über all das sprechen. Marcus Huber schon. Er leitet eine Forschungsgruppe der ÖAW, ist Vorstand des Atominstituts der TU Wien und gehört zu einer neuen, jüngeren Generation von Wissenschaftlern.
Wie Zeilinger forscht auch Huber im Bereich Quantenkryptografie. ›Sie ist essentiell für die Privatsphäre der Gesellschaft, aber eben auch für Geheimdienste. Sollte man deswegen nicht daran forschen?‹, fragt er. Seine Forschung sei öffentlich finanziert und allen zugänglich. Für ihn überwiegt somit klar der gesellschaftliche Nutzen.
Seine chinesischen Kollegen seien genauso ›einfach Wissenschaftler‹, getrieben von der Leidenschaft zur Forschung. Mit ihnen nicht zu kooperieren, sei ein ›Bestrafen der Falschen‹. Bei einer Rückkehr nach China könnten sie liberale und demokratische Werte zurück ins Land tragen, hofft Huber.
Aber er räumt ein: Die Prekarisierung der Wissenschaft in Europa macht die Grenzziehung mitunter schwer. In China fehle es nicht an Geld für Forschung, dafür an Know-How. ›Kooperationen einzugehen, ist oft die einzige Möglichkeit, größere Projekte umzusetzen und Durchbrüche in der Forschung zu erzielen‹, sagt Huber. Sie sind die harte Währung, die in der Wissenschaft zählt.
Nach dem Gespräch wird Huber DATUM in einer Mail schreiben: ›Abstrakte geopolitische Ambitionen potentiell gefährlicher Weltmächte‹ seien vielen nicht bewusst: ›Und das macht das Ganze zu einem scheinbaren »win-win« für alle.‹ Für wissenschaftliche Erkenntnisse sei es das auch, aber dass es Chinas Aufholen in der Forschung ermöglicht habe, sei nicht zu leugnen.
Was Huber ›abstrakte geopolitische Ambitionen‹ nennt, könnte bald schon sehr konkret werden: Seit Jahren verstärkt die chinesische Diktatur die militärischen Drohgebärden gegenüber dem abtrünnigen, demokratischen Taiwan. Für viele Beobachter ist weniger die Frage, ob, sondern wann China militärisch losschlägt. Und laut Quantenphysiker Michal Křelina könnte es nur noch wenige Jahre dauern, bis Teile der Quantentechnologien weit genug entwickelt seien, um auch in der Kriegsführung eingesetzt zu werden.
All diese Kooperationen passierten und passieren in einem politischen Klima, das Zusammenarbeit mit China fördert oder sogar einfordert. Als 2014 eine mehr als hundertköpfige österreichische Delegation in die Volksrepublik aufbrach, angeführt vom damaligen Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, war die Wissenschaft prominent vertreten. Auch Anton Zeilinger war mit von der Partie. Seine Aufgabe, wie Medien damals schrieben: ›Kooperationen fixieren.‹
Denn was China von Österreich unterscheidet, ist der unerschöpfliche Wille, Geld in seine Universitäten zu pumpen. 2001 trat Zeilinger an die Europäische Raumfahrtbehörde ESA heran, um mit ihrer Finanzierung einen eigenen europäischen Quantensatelliten zu bauen. Ohne Erfolg. Als dann einige Jahre später Jian-Wei Pan fragte, ob Zeilinger mit ihm beim Micius-Projekt zusammenarbeiten wolle, fragte dieser zurück: ›Wie viel Geld hast du?‹ Laut Zeilinger, so steht es in einem Artikel der Weltwoche, soll nur ein Wort zurückgekommen sein: ›Genug.‹ 2010 besiegelten Zeilinger und Pan die Zusammenarbeit im Bereich Quantenkommunikation im Weltraum mit einem Abkommen – laut APA verpflichteten sich beide Seiten dazu, ›sich in allen Schritten in der Weltraum-Quantentechnologie abzustimmen‹.
Die ÖAW betont, dass es in keiner Kooperation mit China zum direkten Technologietransfer gekommen sei. Auch bei der Entwicklung des Micius-Satelliten selbst habe die ÖAW ›weder wissenschaftlich noch finanziell oder technologisch in irgendeiner Weise‹ einen Beitrag geleistet. Die ÖAW-Bodenstationen, die die Informationen des Micius-Satelliten empfingen, habe man für die Experimente eigenständig entwickelt.
China schickt aber nicht nur Wissenschaftler ins Ausland, sondern wirbt auch hiesige Forscher gezielt ab. Johannes Majer war schon lange an der TU Wien tätig gewesen, als ihm 2018 Jian-Wei Pan eine Stelle an der USTC anbot. So gut wie jeder Quantenforscher, mit dem DATUM gesprochen hat, bekam ähnliche Anfragen aus China. Heute hat Majer sein Büro schräg über Pans. ›In einem halben Jahr wird ein neuer Gebäudekomplex in Shanghai fertiggestellt‹, sagt Majer, ›dort gibt es dann eine Halle nur für Satelliten, die so groß ist, dass man darin Fußball spielen könnte.‹
Majers ehemaliger Mentor, Jörg Schmiedmayer, weiß von dem neuen Institut. Und er ist sichtlich resigniert. ›Wir in Wien haben 20 Jahre lang versucht, 5.000 Quadratmeter neue Labor- und Bürofläche für die Quantenforschung zu bekommen, und es ging nicht. In Shanghai gibt es innerhalb von zwei Jahren 100.000 Quadratmeter‹, sagt Schmiedmayer, ›das ist lächerlich.‹ Anstatt den chinesischen Investitionswillen zu verteufeln, solle man zuerst überlegen, was man hierzulande alles versäumt. Letztendlich vergräme das die besten Talente und treibe sie zur Abwanderung.
Das Argument ist angesichts der Unterdotierung der österreichischen Forschungslandschaft nicht von der Hand zu weisen. Ob Forscher in anderen Demokratien nach Geldgebern suchen oder mit Wissenschaftlern eines totalitären Staates kooperieren, entscheiden sie aber selbst.
Im Juli dieses Jahres sprach ein Journalist der Salzburger Nachrichten Anton Zeilinger auf seine Zusammenarbeit mit China, speziell auf das Quantentelefonat, an. Zeilinger wies als Grundlagenforscher jegliche Verantwortung von sich, schoss aber nach: ›Jede Art von Grundlagenforschung hat Anwendungen, die sowohl zivil als auch militärisch sind. Denken Sie an die Kernforschung. Sie hat leider zur Atombombe geführt, aber auch dazu, dass wir heute Kernspintomographen haben, die weltweit jeden Tag Tausende Menschenleben retten.‹ Er habe immer nur zeigen wollen, was mit Quantenphysik möglich ist und sich im Moment, wo es zur Industrieanwendung kommt, stets zurückgezogen, beteuerte Zeilinger 2022 an anderer Stelle.
›Wir berücksichtigen, dass auch zivile Forschungsprojekte, inklusive Grundlagenforschung, von China strategisch auf ihre militärische Verwendbarkeit hin betrachtet werden‹, heißt es hingegen in der China-Strategie Deutschlands, die kürzlich veröffentlicht wurde. In Österreich gibt es gar keine verschriftlichte China-Strategie.
›Das Bewusstsein steigt, aber wir sind noch immer sehr blauäugig‹, sagt Alfred Gerstl, Präsident des Central European Institute of Asian Studies. Da immer mehr Spitzenunis anderer Länder vorsichtiger werden und Zusammenarbeit mit China abblocken, würde Österreich nun wieder interessanter für die Volksrepublik werden, sagt Gerstl. ›Insofern wird eine Diskussion in Österreich dringlicher.‹
Was fehle, seien staatliche Vorgaben und ein einheitliches und unabhängiges System zur Risikominimierung, das bei jeder Kooperation das Für und Wider abwäge. ›Wenn man das alleine machen muss, führt das zu einem Interessenkonflikt und Überforderung‹, sagt Gerstl. Zu fordern, dass Zeilinger nach jahrzehntelanger Partnerschaft mit Pan die Zusammenarbeit beendet, sei viel verlangt – vor allem, weil es ihm an Alternativen mangle.
Der Jurist Matthias Kettemann sieht weitaus mehr Verantwortung auf Seiten der Wissenschaft als Zeilinger: ›Ich würde dafür plädieren, auch in der Grundlagenforschung die Zusammenarbeit mit China in der Quantenphysik ganz einzustellen. Das gesellschaftliche und politische Risiko überwiegt.‹ Kettemann ist Leiter des Quantum Ethics Lab der Universität Innsbruck. Es wurde mit dem Ziel gegründet, bereits vor der breiten Umsetzung von Quantentechnologien über ethische Fragen und notwendige Regularien nachzudenken. Der Forschungsprozess, in dem man viel mehr als durch das Nachlesen von Papern lernen könne, sei schützenswert, so Kettemann. Gleichzeitig solle man nicht sämtliche Verbindungen kappen: ›Austausch selbst ist im beiderseitigen Interesse, aber in der Forschung müssen wir mehr Grenzen ziehen.‹
Während das in Österreich noch kaum breit diskutiert wird, arbeitet China mittlerweile an der dritten Generation von Quantensatelliten, die zweite, verbesserte Version schoss man letztes Jahr ins All. Die europäische ESA will nächstes Jahr ihren ersten Quantensatelliten fertigstellen.
Chinas Staatsführung ist Anton Zeilinger jedenfalls dankbar: 2021 erhielt er den Chinese Government’s Friendship Award, einen Preis der chinesischen Regierung, der ›ausländische Experten auszeichnet, die einen wichtigen Beitrag für Chinas Modernisierung geleistet haben‹.
Und während andere zu mehr Vorsicht mahnen, sieht die ÖAW keinen Anlass zum grundsätzlichen Umdenken – und will den Austausch weiter fördern. Geplant wird ein ›Quantum Physics Hub Austria-China‹, laut Website geleitet von Jian-Wei Pan und Anton Zeilinger. Der Hub, so erklärt es die ÖAW in ihrer Stellungnahme, soll ›längere gegenseitige Forschungsaufenthalte‹ ermöglichen, um sich gemeinsam ›grundlegenden Fragen der Physik zu widmen‹. •