Ein Leben im Tag von … Thomas Frühwirth
Über Rennrollstuhltraining, Esoterik und sein Leben für den Sport.
Mein Tag beginnt immer um sechs Uhr mit demselben Ritual. Noch im Bett liegend, sage ich mir folgende Phrase vor: ›Da draußen drehen sich Milliarden von Galaxien, auf diesem Planeten leben Billionen von Lebewesen. Ich bin nur ein Mensch, aber gleichzeitig Schöpfer meines Universums. Eigentlich bin ich schon tot, dieser Tag ist nur ein weiterer Bonus. Danke dafür.‹ Diese Sätze helfen mir, jeden Tag als Geschenk zu sehen. Danach lege ich mich auf die Magnetfeldmatte in meinem Bett, mache einen gedanklichen Bodyscan und bedanke mich bei meinem Körper für seine Strapazierfähigkeit.
Diese Routine setze ich im Badezimmer fort. Zungenschaben, Nasenspülung und so weiter. Ich bin ein ›Vollfreak‹ und habe nahezu jedes noch so kleine Detail meines Tages durchgeplant. Abschließend blicke ich mir im Spiegel in die Augen und sage: ›Ich liebe mich und ich liebe mein Leben.‹ Das mag einfach klingen. Es zu können, hat aber Jahre gedauert und viele Tränen und Lacher gekostet. Und ja, mir ist bewusst, dass man meine Rituale belächeln kann, aber sie haben mich zu einem Menschen gemacht, dem es leichtfällt, Glück auszustrahlen.
Danach komme ich zum ersten Punkt eines erfolgreichen Trainingstags, dem Frühstück. Je nach Härte der bevorstehenden Einheiten esse ich entweder weißen Reis mit Honig, um meinem Körper schnell Energie zu liefern, oder Hirse mit Gemüse und Eiern, um es etwas langsamer angehen zu lassen. Ich brauche jedenfalls früh hochwertige Nährstoffe, um den anstehenden Sport durchzustehen.
Mein erstes Training beginnt dann um 9 Uhr. Ich trainiere im Jahr zwischen 800 und 1.200 Stunden. In intensiven Trainingsphasen sind das bis zu sieben Stunden am Tag. Ich habe mir über die Jahre zu Hause mein eigenes Fitnesscenter gebaut, besitze einen Cyclus2-Ergometer für 15.000 Euro, eine Walze für das Rennrollstuhl-Training, eine Kraftkammer und habe sogar eine Gegenstromanlage zum Schwimmen aus Amerika importieren lassen. Im Spitzensport kommt es auf jedes halbe Prozent Trainingsqualität an.
Während des Sports nehme ich stündlich 80 Gramm in Wasser aufgelöstes Kohlenhydratpulver zu mir. In Extremsituationen sogar bis zu 120 Gramm, um meine maximale Leistung zu erzielen. Außerdem mache ich mir vor jeder Einheit kurz bewusst, was ich erreichen will. Möchte ich meine Ausdauer verbessern, stelle ich mir vor, wie sich meine Mitochondrien vermehren. Wenn ich Kraft trainiere, konzentriere ich mich darauf, kleine Muskelverletzungen zu provozieren, um den Muskel stärken zu können. Das klingt vielleicht wie Esoterik, hilft im Spitzensport aber erwiesenermaßen.
Nach dem ersten Mal Duschen bereite ich dann mein Mittagessen vor. Ich bin ein Verfechter der einfachen, gesunden Küche. Verarbeitete Lebensmittel kommen bei mir kaum auf den Tisch. Dann folgt meistens eine Power-Nap-Meditation, um Energie für mein Training am Nachmittag zu tanken.
Bei Intensiv-Einheiten gehe ich bis ans körperliche Limit, also auch mal bis knapp vor die Bewusstlosigkeit. Das klingt verrückt, für mich als Spitzensportler ist es aber das Höchste der Gefühle. Gleichzeitig lebe ich für den Sport, alles andere wird zur Ausnahme. Das bedeutet auch, dass ich mit vielen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens wenig anfangen kann. Ein klassisches Familienleben mit Kindern wäre momentan nicht möglich. Ich trinke außerdem keinen Alkohol. Vor meinem Motorradunfall habe ich gesoffen, wie man es als Jugendlicher am Land eben macht, anstatt seine Träume zu verfolgen. Den Mut, den es dafür braucht und den ich gefunden habe, will ich heute weitergeben.
Meine Abende verlaufen schließlich ruhig. Ich esse noch eine Kleinigkeit und meide Bildschirme, um besser schlafen zu können. Dunkle Vorhänge, Ohrenstöpsel und Schlafmaske brauche ich auch. Wenn ich dann gegen 21:30 Uhr einschlafe, verabschiede ich mich ganz ohne lange Rituale, sondern sage einfach nur ›Danke‹. •
Thomas Frühwirth (43) ist Spitzensportler und im Paratriathlon sowie als Handbiker im Paracycling aktiv. Bei der Straßenrad-Weltmeisterschaft in Zürich gewann er Ende September Gold im Zeitfahren, zuvor hatte er zwei Silbermedaillen bei den Paralympics in Paris geholt. Sein neues Buch ›Zum Leben Danke sagen – Wie auch du in jeder Krise gewinnst‹ erscheint am 23. November im Verlag Edition a.