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Eine Frage des Unrechts

In Polen gilt Europas strengstes Abtreibungsgesetz. Das macht jetzt auch geflüchteten Ukrainerinnen zu schaffen. Viele weichen ins Ausland aus – auch nach Österreich.

DATUM Ausgabe Juni 2022

Die Gräuel des Krieges erreichen Elena per E-Mail. Eine Frau, vor ein paar Wochen nach Polen geflüchtet, schreibt ihr auf Ukrainisch. Elena versteht kaum ein Wort, also kopiert sie den Text und übersetzt Satz für Satz im Internet. Die Absenderin habe kurz nach Kriegsbeginn ihre Heimat verlassen. Ihr Haus sei mittlerweile zerstört. Unlängst habe sie erfahren, dass nun ihr Partner im Krieg gefallen sei. Von ihm sei sie schwanger. Ohne Heimat und Mann wolle sie kein Kind bekommen und deswegen ihre Schwangerschaft abbrechen, schreibt sie. Aber in Polen ist das keine Option. Abtreibungen sind hier praktisch nicht möglich. Deswegen bittet sie um Hilfe.

Solche Nachrichten häufen sich in dem Postfach, das an diesem Tag Elena betreut. Sie teilt es sich mit einem knappen Dutzend anderen Frauen, die sich alle als Aktivistinnen in einer österreichisch-polnischen Pro-Choice-Gruppe engagieren. Elena heißt eigentlich anders und auch ihre Kolleginnen von ›Ciocia Wienia‹ – übersetzt die ›Wiener Tanten‹ – wollen anonym bleiben, denn für ihre Arbeit laufen sie Gefahr, bis nach Österreich verfolgt zu werden. Als feministisches Kollektiv ermöglichen sie Frauen Abtreibungen in Wien, wenn diese anderswo nicht das Recht darauf haben. Seit Russland die Ukraine überfallen hat, kontaktieren neben Polinnen, in deren Heimat Europas striktestes Abtreibungsgesetz gilt, auch immer mehr dorthin Geflüchtete die ›Wiener Tanten‹. Mittlerweile haben sie schon einigen von ihnen Abtreibungen in Österreich ermöglicht.

›Ciocia Wienia‹ arbeitet als Teil eines Netzwerks von Organisationen, das sich über ganz Europa erstreckt. Unter ›Abortions without Borders‹ haben sich über die letzten Jahre mehrere lokale polnische Kollektive wie ›Kobiety w Sieci‹ und Gruppierungen im Ausland gebildet und vernetzt. 397 Ukrainerinnen und noch weit mehr Polinnen haben bei ihnen seit März um Hilfe bei einem Schwangerschaftsabbruch gebeten. In den Niederlanden kaufen die Organisationen Medikamente und verschicken sie von dort aus, um in Polen direkt abzutreiben. Ist aufgrund der fortgeschrittenen Schwangerschaft ein medizinischer Eingriff nötig, arbeitet ›Abortions without Borders‹ mit Kliniken in Ländern wie Deutschland oder Österreich zusammen. Während Medikamente etwa 70 Euro kosten, beträgt der Preis für einen Abbruch bei einem Arzt bis zu 700 Euro, wobei die Kosten schwanken können.

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