Datum Talente

Einmal offline und zurück

Unsere Autorin gehört zu einer Generation, die das Leben nur mit Internet kennt. Und hat genau deshalb beschlossen, den Alltag eine Woche ohne zu meistern. Ein Selbstversuch.

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Illustration:
Dasha Zaichanka
DATUM Ausgabe März 2025

Schon lange frage ich mich, wie gesund meine Beziehung zu meinem Handy und zum Internet noch ist. Bin ich womöglich, ohne es zu merken, in eine toxische Beziehung geschlittert? Prinzipiell halte ich es offline schon eine Weile aus, das weiß ich: Aber das letzte Mal, als ich längere Zeit ohne Internet verbracht habe, schlug ich mich mit einer Machete durch den peruanischen Dschungel. Und so gut so eine Netz-Pause zu abenteuerlichen Reisen passt, so falsch erscheint sie mir in meinem Alltag. 

Ob Alltag und offline doch zusammenpassen, möchte ich mit diesem Selbstversuch – eine Woche ohne Internet – herausfinden. Gesund ist eine Beziehung schließlich nur dann, wenn man auch ohne einander kann. Aber geht das heutzutage überhaupt, einfach so eine Woche lang offline sein? Wie wird mein Umfeld darauf reagieren, wenn ich plötzlich nicht mehr über die gewohnten Kanäle erreichbar bin? Und vor allem: Wie wird es mir selbst damit gehen? 

Tag 0 – Vorbereitung

Beinahe bereue ich mein Vorhaben schon jetzt. Das Handy auszuschalten, heißt für mich erst einmal: Stress. Es müssen zahllose Vorbereitungen getroffen werden. Zum Beispiel eine Abwesenheitsbenachrichtigung für mein E-Mail-Postfach einzurichten. Ich will ja nicht das berufliche Angebot meines Lebens verpassen. Und was, wenn mich diese Woche wieder der nigerianische Prinz um Hilfe bittet und mir als Dank ein Vermögen verspricht? Während ich das schreibe, bin ich mir gar nicht mehr sicher, aus welchem Land der berüchtigte afrikanische Thronerbe wirklich stammt, dessen Name unter solchen Scam-E-Mails steht. Normalerweise gibt mir das Internet nach ein paar schnellen Klicks eine Antwort auf solche Fragen, jetzt muss ich plötzlich auf mein Gedächtnis vertrauen. 

Im Laufe des Tages informiere ich unterschiedliche Personen über mein Vorhaben, Freunde, Familie, meinen Arbeitgeber. Ich leihe mir ein Tastenhandy und einen Wiener Stadtplan von Leuten aus, die im Gegensatz zu mir wissen, wie man diese Dinge benutzt. Ich beende eine Recherche für einen Text und vereinbare diverse Interviews und Termine, solange ich noch E-Mails verschicken darf. Danach schreibe ich mir mehrere Telefonnummern und Adressen, inklusive Wegbeschreibung, in ein kleines, analoges Notizbüchlein. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht aufgeregt bin.  Meine erste Erkenntnis: Fiele das Internet, ohne Vorwarnung, von jetzt auf gleich einfach aus, wäre ich ziemlich aufgeschmissen.

Tag 1

Am Freitagmorgen beginnt mein Experiment. Eine meiner ersten ›Amtshandlungen‹ als Selbst-Versuchskaninchen sind zwei Testanrufe, um sicherzustellen, dass ich ohne mein Smartphone nicht komplett von der Bildfläche verschwinde. Mein Freund fragt mich, ob ich meinen Entzug bereits begonnen hätte. Ein anderer Freund bezeichnet meinen Selbstversuch als ›Detox‹. Zwar klingt das nach Selbsthilfebuch, aber die Vorstellung, mich digital zu entgiften, gefällt mir trotzdem besser als der Gedanke an Sucht. Dennoch rät mir Oliver Scheibenbogen, Psychologe am Anton-Proksch-Institut, in der mir bevorstehenden Woche auf mögliche Entzugserscheinungen zu achten. Selten sind An­zeichen von Internetsucht bei jungen Menschen nämlich nicht. Laut einer Meta-Studie erfüllen etwa 30 Prozent der Mittzwanziger die Kriterien für eine sogenannte Smartphone-Sucht. Dabei taucht diese Bezeichnung in den klinischen Klassifikationssystemen noch gar nicht auf. Dort ist bisher nur von Internet- und Gamingsucht die Rede. Noch gehe ich davon aus, davon nicht betroffen zu sein, und genieße es, den Tag offline zu verbringen. Ich mag es, keine Nachrichten beantworten zu müssen und nicht automatisch zum Handy zu greifen, um dann zu merken, dass zwei Stunden vergangen sind. Auf dem Weg zum Restaurant, wo mein Freund und ich zu Abend essen, lernen wir die Ausschilderungen in den U-Bahn-Stationen Wiens richtig zu schätzen. Beim Essen sagt er mir, dass ihn der Versuch inspirieren würde. Eigentlich brauche er sein Smartphone gar nicht, und er überlege, es durch ein Tastenhandy zu ersetzen. 

Tag 2 

Mein erster Gedanke nach dem Aufwachen gilt meinem Smartphone. Ich habe lange geschlafen, bis zwölf Uhr haben mich bestimmt schon einige Nachrichten erreicht, die gelesen werden wollen. Aber mein Smartphone ist aus, lediglich ein verpasster Anruf wartet auf dem ­Tastenhandy auf mich. Ehrlich gesagt fühle ich mich erleichtert: Die schiere Anzahl der Benachrichtigungen, sei es von Freunden oder von verschiedenen Apps, die um Aufmerksamkeit buhlen, kann erdrückend sein. Das alles fällt jetzt erst einmal weg und ich kann in Ruhe das Frühstück vorbereiten, ohne dabei gestresst auf dem Handy herumzutippen. 

Am Abend ist mein Freund auf eine Geburtstagsfeier eingeladen, ich selbst habe nichts vor, also komme ich mit. Weil wir spät dran sind, bestellen wir telefonisch ein Taxi statt wie gewohnt ein Uber via App – und zahlen deswegen fünf Euro mehr. Auf der Feier kenne ich niemanden. Die gemietete Turnhalle wird für verschiedene Ballspiele genutzt, was nicht unbedingt zu meinen Stärken zählt. Ein Smartphone eignet sich in solchen Fällen gut, um die eigene Unsicherheit zu überspielen. Die Konzentration auf den Bildschirm signalisiert, dass man beschäftigt ist, sozial gefragt, man muss nicht verloren in der Ecke stehen. Blöd nur, dass diese Strategie mit einem Tastenhandy, das nur drei Funktionen hat, irgendwie wenig glaubwürdig erscheint. 

Tag 3 

Am Sonntagmorgen verschlafe ich beinahe eine Verabredung zum Brunch. Normalerweise hätte ich mir einen Wecker auf meinem Smartphone gestellt, so komme ich eine halbe Stunde zu spät. Mir fehlt nicht nur ein Wecker, sondern auch der Orientierungssinn und Google-Maps. Den Rückweg muss ich zum Glück nicht alleine bestreiten, gemeinsam mit zwei Freunden spaziere ich den Donaukanal entlang. Ich frage mich, wie viele Schritte wir wohl schon gegangen sind, aber mein rotes Tastenhandy kann mir darüber keine Auskunft geben. Der Mythos, dass man täglich 10.000 Schritte gehen soll, hat sich in mein Gehirn eingebrannt. Immer, wenn ich das Gefühl habe, außergewöhnlich viele Schritte gemacht zu haben, schaue ich sonst immer auf meinem Handy nach, ob es genug sind, um mir wohlwollend die eigene Schulter zu tätscheln. Ansonsten vermisse ich mein Smartphone heute nicht. Mehr noch, ich genieße die Ruhe. Ich höre die Stadt, manchmal sogar Vogelgezwitscher, und nehme meine eigenen Gedanken wieder mehr wahr. Ein Freund ruft mich an, um mir von einem Jobangebot zu erzählen, das Telefonat dauert rund zehn Minuten. Normalerweise hätte er mir eine WhatsApp-Nachricht geschickt und wir hätten kurz hin- und hergechattet. Jetzt merken wir, dass man sich per Anruf besser gemeinsam freuen kann. 

Abends überkommt mich die Melancholie. Nach einem Wochenende mit wenig Schlaf bei mir nichts Unübliches. Vielleicht sind es aber auch erste Symptome des Internetentzugs? Da Netflix und Tiktok mich heute nicht wachhalten können, bleibt mir nichts anderes übrig, als früh schlafen zu gehen.  

Tag 4 

Allmählich kristallisieren sich die positiven Effekte des Verzichts heraus. Morgens bin ich viel schneller fertig, um in den Tag zu starten. Ich arbeite schneller und konzentrierter. Tatsächlich ist erwiesen, dass ein Handy, auch wenn es abgeschaltet ist, die Konzentration beeinträchtigt, wenn es im gleichen Raum liegt. 

Meine Leistungssteigerung ist nicht das einzige, das mir heute auffällt. Zu den zwei Terminen, die ich an diesem Tag habe, komme ich nicht pünktlich, ich komme sogar zu früh: Ohne GoogleMaps habe ich mir angewöhnt, einen Zeit-Puffer einzuplanen, falls ich den Weg nicht gleich finde, und das wirkt sich positiv aus. Einer der Termine wäre normalerweise eine einfache E-Mail ­gewesen, jetzt ist es ein echtes Treffen mit echter sozialer Interaktion. Auch komme ich heute dazu, Sachen zu machen, die ich zwar eigentlich gerne tue, für die ich mir aber schon länger keine Zeit mehr genommen habe: Lesen, zum Beispiel. Endlich lege ich mir einen ­Bücherei-Ausweis zu. In der städtischen Bücherei will ich zur Geschichte des Internets recherchieren. In der Abteilung ›Know-how/Internet‹ werde ich zwischen ›Internet für Dummies‹ und ›Die Welt der Memes‹ fündig. Mich beschleicht der Verdacht, dass diese Ecke nicht für Menschen meines Alters gedacht ist. Aber in Anbetracht der extra großen Tasten und des SOS-Knopfes, der in mein aktuelles Handy integriert ist, bin ich vielleicht nicht ganz fehl am Platz. Auch mein normaler Google-Suchverlauf ist wohl nicht weniger peinlich als das, was ich in den analogen Internetratgebern für Senioren nachschlage, aber was ich sonst auf meinem Smartphone mache, sieht ja keiner. In der Bücherei dagegen hoffe ich darauf, niemanden zu treffen, den ich kenne. 

Am Nachmittag beginnt dann die Begeisterung für meinen Selbstversuch zu bröckeln. Das hat zwei Gründe: Erstens hat mein Tastenhandy absurd wenig Speicherplatz. Der Mitteilungsspeicher ist voll, ab heute muss ich jeden Tag mindestens einmal alte Nachrichten löschen. Zweitens wird mein Handy-Guthaben für Gespräche innerhalb der EU mitten in einem Telefonat mit einer Freundin in Deutschland leer. Statt in der App müsste ich es in der Filiale wieder aufladen, aber dafür ist es um 19 Uhr schon zu spät! Ich fühle mich wie ein Kind, als ich mir das Handy eines Mitbewohners leihe, um die Freundin zurückzurufen. Hoch lebe das Internet, das keine Schließzeiten kennt, denke ich beim Auflegen. 

Tag 5 

Dienstag ist Cheatday. Um kurz vor sechs klingelt mein Wecker. Heute erlaube ich mir, das W-Lan meines Laptops einzuschalten – nicht ohne mich dreimal zu vergewissern, dass die Benachrichtigungen deaktiviert sind, damit mich nicht eine Flut an Nachrichten der letzten Tage überschwemmt. 

Der Grund für mein Schummeln: Heute beginnen die Anmeldungen für die begehrten USI-Sportkurse für Studierende. Manche Kurse sind innerhalb von Minuten ausgebucht, und ich möchte wegen meines Detox-Versuchs nicht auf die Chance auf einen Platz verzichten. Die Seite, auf der man sich für die Sportkurse anmelden kann, ist allerdings überlastet. Eine Stunde lang versuche ich erfolglos, mich anzumelden. Das Internet macht also doch nicht alles besser. Gegen Mittag lade ich mein EU-weites Guthaben in der Filiale meines Anbieters auf. 100 SMS/Anrufe für 2,99 Euro. Das sollte reichen, denke ich – und werde eines Besseren belehrt. Noch am gleichen Tag habe ich schon wieder kein Guthaben mehr. 

Abends fahre ich zu einer Lehrveranstaltung. Da ich seit einer Woche keine E-Mails gelesen habe, habe ich nicht mitbekommen, dass der Unterricht abgesagt wurde. Ich schreibe einem Freund, um ihm zu erzählen, was mir passiert ist. Er schreibt zurück: ›Als Student kann man eigentlich nicht ohne Internet sein Studium organisieren.‹ 

Tag 6 

Was macht man, wenn man krank ist, aber kein Internet hat? Den Arzt anrufen jedenfalls nicht, denn die Nummer müsste ich googeln. Stattdessen rufe ich meinen Vater an und lade mich selbst zum Mittagessen ein. Er fragt mich, ob ich dieses und jenes mitbekommen hätte. Habe ich nicht. Ich habe in der letzten Woche vielleicht dreimal Radio gehört. Zeitungen habe ich nicht abonniert, auch Fernseher besitze ich keinen. Ohne Internet geht somit das meiste Weltgeschehen unbemerkt an mir vorbei. Das löst in mir gemischte Gefühle aus. Einerseits ist es angenehm, nicht dauernd mit Nachrichten konfrontiert zu werden. Andererseits möchte ich nichts Wichtiges verpassen. Deswegen kaufe ich mir später eine Tages- und eine regionale Wochenzeitung. Die meisten News aus Südamerika, wo mein Vater ursprünglich herkommt, werde ich aber auch hier nicht finden. Für Ausgewanderte ist das Internet ein Segen: Viele meiner Freunde leben in Peru oder in Deutschland. Durch das Internet fühle ich mich ihnen nah. Das ist auch einer der Punkte, die mich davon abhalten, meine Social-Media-Kanäle endgültig zu löschen. Statt über Südamerika informiert der Falter über das Wiener Kulturangebot der kommenden Woche und liefert praktischerweise zu jeder Veranstaltung auch gleich die Adresse – sehr nützlich für mich, die ich sowas derzeit nicht nachgoogeln kann. 

Als ich in die Redaktion fahre, um einen USB-Stick mit meinem Text abzugeben, vermisse ich die Vorteile des Internets. Per E-Mail hätte ich den Text bequem von meinem Bett aus schicken können, jetzt muss ich mich nicht nur krank durch Wien schleppen, es kostet auch mehr Zeit. Trotzdem gibt es einen kleinen Grund zur Freude: Ich finde den Weg auf Anhieb mithilfe meines Stadtplans.

Tag 7 

Am letzten Tag scheitere ich. Plötzlich finde ich mich auf Instagram wieder, wo ich mich gierig durch den nie enden wollenden Feed scrolle. 

Zwar ist das nur ein Traum, aber selbst in meinem Unterbewusstsein scheint Social Media präsent zu sein. Vielleicht wollte mir mein Traum einen Vorgeschmack auf das geben, was ich ab heute Nachmittag wieder machen kann: Heute um 16:30 habe ich ein Online-Seminar und werde dafür meine Offline-Zeit beenden. Ich bewege mich zwischen Nervosität und Neugier auf die ganzen Nachrichten, die mich erwarten werden. Als ich Whatsapp  nach sieben Tagen wieder öffne, habe ich um die 15 ungelesene Chats – in Anbetracht der Zeit, die ich offline war, eine meiner Meinung nach erwartbare Zahl. Meine Instagram-Nachrichten bleiben auch einen Tag später noch ungeöffnet. Stattdessen nutze ich meinen Internetzugang, um mich ohne jegliche Interaktion kurz durch Social Media zu klicken und am Abend einen Film zu streamen. Von stundenlangem Handy-Gedaddel bin ich noch weit entfernt. Trotzdem muss ich zugeben, die Einfachheit meines Smartphones vermisst zu haben. 

Totale Abstinenz sei beim Internet und beim Smartphone nicht möglich, sagt mir Oliver Scheibenbogen. Auch Patientinnen und Patienten, die wegen einer Sucht behandelt werden, können nicht, wie bei anderen Suchtmitteln, komplett darauf verzichten. Daher wird am Anton-Proksch-Institut mit einem Ampelsystem gearbeitet. Grün heißt, diese Apps und Funktionen können problemlos genutzt werden. Gelb bedeutet: kann unter Umständen genutzt werden. Nut bei Rot wird totale Abstinenz gefordert. Bei Social-Media-Abhängigen wären das zum Beispiel Tiktok, Facebook oder Instagram. Scheibenbogen erklärt mir, dass Sucht unter anderem dann besteht, wenn man die Kontrolle über die Nutzung verliert. 

Als Sucht lässt sich mein Internet-Verhalten also nicht bezeichnen. Dennoch haben sich in dieser Woche ohne Smartphone einige Dinge positiv verändert. Besonders aufgefallen ist mir, dass ich mehr Freunde getroffen habe. Wahrscheinlich liegt das daran, dass ich die soziale Interaktion nicht ins Digitale verschieben konnte – dabei war meine größte Angst im Vorfeld ausgerechnet, den Kontakt zu ihnen zu verlieren. Was ich in dieser Woche über meine Beziehung zum Smartphone und zum Internet gelernt habe: Sie ist nicht toxisch. Sie ist aber auch nicht perfekt. 

Deshalb werde ich einige Regeln aufstellen, die ich ab jetzt in meinen Smartphone-Alltag integrieren möchte. Die wichtigsten: Mein Smartphone wird ab jetzt außer Reichweite meines Bettes aufgeladen. Wenn ich konzentriert arbeiten muss, dann schalte ich mein Handy komplett aus oder lege es zumindest in einen anderen Raum. Und ich werde mir Smartphone-freie Oasen schaffen. Das können kleine Momente sein, vielleicht aber auch mal ein ganzer Tag. 

Es ist ein bisschen wie der beliebte Ratschlag in der Paartherapie: mehr Qualitytime, mehr Grenzen.  •

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