Einsame Spitze
Roland Weißmann hat nach den Chat-Skandalen die einmalige Chance, den ORF nachhaltig aus dem Einflussbereich der Politik zu befreien. Wird der Generaldirektor sie nutzen?
Dafür, dass er kaum eine freie Minute hat, wirkt Roland Weißmann sehr entspannt. Bestens gelaunt und gelöst klingt er am Telefon und erzählt von seinem Tagespensum: Stundenlange Geschäftsführungssitzungen mit den Direktoren, die Finalisierung des Finanzplans für 2023, die endgültigen Budgetbeschlüsse drängen. Dazwischen will sich der ORF-Generaldirektor persönlich um den neuen zentralen Newsroom am Küniglberg kümmern. Mitte November ist die Übersiedlung von Ö3, der größten Radio-Redaktion, ins ORF-Zentrum abgeschlossen und Weißmann wohnt dem ›Open House‹ bei, mit dem die Neuankömmlinge im Newsroom willkommen geheißen werden sollen – schließlich gilt es, das Zusammenwachsen der Redaktionen in der neuen und keineswegs bei allen Redakteuren geliebten Struktur voranzutreiben. Der ORF-Generaldirektor gibt aber zu, dass auch die Affäre rund um ORF2-Chefredakteur Matthias Schrom noch Wochen nach dessen Rücktritt das Tagesgeschäft dominiert. Ein persönliches Treffen am Küniglberg sei angesichts der vielen Medienanfragen aktuell unmöglich, lassen die Pressesprecher der Generaldirektion wissen.
Es herrscht Aufruhr am Küniglberg – wieder einmal. Kleinere und größere Skandale rund um Postenbesetzungen und Interventionen der Politik, das sind die meisten ORF-Journalisten gewöhnt. Dass aber ein Chefredakteur zurücktreten musste, das gab es in der Geschichte des größten Medienunternehmens des Landes noch nie. In den von Profil veröffentlichten Chats konnte jeder ORF-Journalist detailliert nachlesen, wie der eigene Chefredakteur damalige FPÖ-Regierungspolitiker dazu ermutigte, von Sendungsverantwortlichen Gefallen einzufordern, und dazu auch noch konkrete Ratschläge erteilte, wie das am besten zu bewerkstelligen sei. Nicht einmal ansatzweise machte Schrom Anstalten, dem Druck der FPÖ standzuhalten, die ein ›neues Zeitalter‹ im ORF wollte und alles in Bewegung setzte, um dies auch durchzusetzen.
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