Feuriges Fleisch

Warum Grillen als halböffentliche Zeremonie ideologisch aufgeladen ist.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Juni 2025

Wer sich dieser Tage auf Terrassen, in Gärten und Baumärkten umsieht, wird merken, worum es den Menschen im Sommer kulinarisch geht: Grillen. Das Phänomen Grillen übersteigt das simple Anbraten von Fleisch und Gemüse auf offenem Feuer. Vor ein paar Jahren erschien in der Bild-Zeitung ein protorassistisches ›Manifest‹, das Migranten in 50 Punkten deutsche Werte näherbringen sollte. Punkt 33 lautet dort: ›Deutschland ist ein Land der Griller. Nach einem Picknick im Park nehmen wir unseren Müll wieder mit.‹ Viele Österreicher dürften das so ähnlich sehen.

Menschen identifizieren Grillen als besonders natürliche und ursprüngliche Art des Kochens. Eine Grillparty ist ein Yin und Yang zwischen Gebratenem (Fleisch, Männer) und Rohem (Salate, Frauen). Ein Ideal für Gemeinschaft in suburbanem Lebensraum. Eine im Sinne der allgemeinen Gesundheitsobsession inhaltlich unbedenkliche Sache (Vitamine! Proteine!). Eine Kochart, in der alles unter Kontrolle und sämtliche Vorgänge öffentlich und transparent sind, was der allgemeinen Ordnungsliebe zuträglich ist. Und ein Ort des männlichen Perfektionismus, etwa beim besten Zeitpunkt das (wahrscheinlich von den Frauen marinierte) Fleisch vom Rost zu nehmen und dafür allgemeines Lob zu ernten. Ein Grillfest bietet sich auch für spielerische Konkurrenz an, wenn es darum geht, wessen Steak am blutigsten oder welche Salatkreation am exaltiertesten ist. Als Tischgespräch eignen sich beispielsweise ideale Kindererziehung, Finanz-Online, Immobilienpreise, Erfolge im Erwerbsleben sowie Urlaube an bekannten, unbedenklichen Orten.

Wenn Sie derlei kleinbürgerliche Ordnung hinter sich lassen und neue Orte kennenlernen wollen, fahren Sie zum Grillen vielleicht mal in die Selbstgrillzone auf der Wiener Donauinsel. Dort treffen Gruppen diverser Migranten sämtlicher Kontinente zusammen, es ist eine lebhafte und globalisierte Welt dort. Soweit ich beobachten konnte, haben auch alle ihren Müll wieder mitgenommen. Vielleicht sollte die Bild-Zeitung auch einmal vorbeischauen. •

Grillzone Neue Donau · Linkes Ufer zwischen Brigittenauer Brücke und Brigittenauer Badebucht · Gratis Nutzung ohne Voranmeldung

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