G’füllte Haut mit zwei Zipf’
Beim Arbeitstreffen zweier Spitzenpolitiker ging es um die Wurst und die Volksnähe.
Nach Handshake und Pressekonferenz stand ein ungewöhnlicher Fototermin am Programm. Dafür eilte Peter Kneffel am 10. Juli 2025 vom Bundeskanzleramt Richtung Stephansplatz. ›Auf einmal bahnte sich eine Kolonne schwarzer Dienstwagen den Weg durch die Fußgängerzone‹, sagt der Fotograf, kurios sei das gewesen. Es regnete, als der österreichische Bundeskanzler Christian Stocker und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder mit Entourage am Würstelstand vorfuhren. Aber mit den Würsteln kam die Sonne und es entstanden ungewöhnliche Fotos, auf denen die Spitzenpolitiker ›eine normale Bratwurst‹ essen. Der Hunger allein kann sie nicht ›Zum Goldenen Würstel‹ getrieben haben. Söder und Stocker kamen direkt vom offiziellen Mittagessen, wo Wiener Schnitzel aufgetischt wurde.
›Wenn Politiker sich mit Essen fotografieren lassen, ist das nie spontan, unschuldig oder unvorbereitet, sondern Teil einer sorgfältig choreografierten Performance, in der Essen zum Symbol nationaler Identität, Klassenzugehörigkeit und ideologischer Haltung wird‹, meint Sara García Santamaría, Kommunikationswissenschafterin an der Universitat de València. Während der Pandemie begann sie, Politikern auf Instagram zu folgen und zum ›Gastropopulismus‹, so der Terminus technicus, zu forschen. Es handle sich eigentlich um kostenlose Werbung, warnt sie. ›Journalisten sollten sich bewusst sein, dass ein Bierzelt-Selfie oder ein Bratwurst-Bissen eingesetzt werden kann, um Nationalismus, Ausgrenzung, Klimawandelskepsis oder konstruierten Anti-Elitismus zu signalisieren.‹ Es brauche unbedingt Kontextualisierung und einen kritischen Blick auf scheinbar witzige, harmlose Essensfotos. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa), für die Kneffel arbeitet, sieht sich dagegen selbst als ›überparteilichen Zeugen‹. ›Es liegt im Ermessen der Redaktionen, welche Fotos sie verwenden und wie sie sie nutzen und einordnen‹, sagt ein Unternehmenssprecher.
Söders Instagram-Feed ist voll von Fotos, auf denen er Fleisch und Wurst präsentiert oder verzehrt. Zum Hashtag #söderisst kann man im CSU-Fanshop ein Kochbuch bestellen. Diese gezielte Imagekampagne – er selbst spricht immer wieder von Wurst-Diplomatie – steht in einer langen Tradition. Politiker nutzen Essen, um Identität und Verbundenheit zu demonstrieren. In den USA gilt Fast Food als Symbol des Nationalstolzes. Franklin D. Roosevelt etwa servierte König George VI. und Königin Elizabeth 1939 bei einem Picknick im Hyde Park stolz Hotdogs. Bill Clinton und Donald Trump wollen mit ihren häufigen McDonald’s-Besuchen als ›ganz normale Typen‹ erscheinen. Als Barack Obama mit den überspitzten Vorwürfen einer Brokkoli-Konsumpflicht konfrontiert war, ließ er sich gezielt in Diners fotografieren, um einem allzu gesunden, elitären Eindruck entgegenzuwirken. Der Brite Nigel Farage wiederum positioniert sich als ›Mann mit dem Pint‹. Und Matteo Salvini boykottierte Nutella, weil Ferrero zur Herstellung türkische Haselnüsse verwendet.
›Essen ist ein Requisit in der Inszenierung, die eine Ablehnung elitärer Geschmäcker und Volksnähe betont‹, sagt García Santamaría. Beim Tiroler Landeshauptmann Anton Mattle ging der Versuch, durch Essen besonders nahbar zu wirken, dagegen nach hinten los: Als er im Wahlkampf erzählte, ›Eis wie ein Normaler‹ zu essen, sorgte das mehr für Spott und Belustigung als für Sympathie beim Publikum. •