Herr Grasl und die Wahrheit
Pragmatisch, machtbewusst und umstritten – der Manager und Journalist Richard Grasl im Porträt.
Dies ist die Geschichte von Richard Grasl, einem einflussreichen und skandalumwitterten Medienmanager und Journalisten. Es ist aber auch eine Geschichte, die viel über das politische und mediale Österreich erzählt. Sie beginnt – wie so oft in diesem Land – am Stammtisch eines Wirtshauses. Es heißt ›Zum Goldenen Kreuz‹, steht in Krems an der Donau und gehörte den Eltern von Richard Grasl.
Nach der Schule, wenn die anderen Kinder für das Mittagessen zu Hause am Küchentisch Platz nahmen, hockte sich der junge Richard an den Stammtisch des elterlichen Betriebs. Da saßen die üblichen honorigen Persönlichkeiten einer Kleinstadt: Rechtsanwalt, Arzt, Magistratsbedienstete, und hin und wieder gesellte sich auch ein Lokalpolitiker dazu. Es wurde diskutiert und politisiert. Und mittendrin: der halbwüchsige Sohn des Wirts. ›Die Gespräche dort habe ich regelrecht aufgesaugt. Am Anfang hörte ich nur zu. Aber mit der Zeit habe ich mich getraut mitzudiskutieren‹, erinnert er sich heute. Es waren die 1980er-Jahre, als Grasl an ebendiesem Stammtisch sozialisiert wurde und ganz nebenbei lernte, wie man mit wichtigen Menschen umgeht.
Heute, mit 50 Jahren, gehört Richard Grasl längst selbst zu den Mächtigen des Landes. Beruflich hat er derzeit gleich drei Funktionen, von denen eigentlich jede einzelne ein Full-Time-Job ist: 2018 wurde er Digitalchef der Tageszeitung Kurier, drei Jahre später zusätzlich deren stellvertretender Chefredakteur, und zu Beginn dieses Jahres übernahm er auch noch die Geschäftsführung von Profil. Wobei ihm in der gegenwärtigen Führungsstruktur des Nachrichtenmagazins eine besondere Rolle zukommt: Als Chefredakteur wurde der Langzeitchef von Profil, Christian Rainer, durch Anna Thalhammer ersetzt, nicht aber als Herausgeber. Grasl ist als Geschäftsführer der Gesellschaft, die das Magazin herausgibt, de facto der neue Herausgeber, ohne dass die Profil-Redaktion – wie im Redaktionsstatut vorgesehen – darüber hätte abstimmen können. Grasl selbst will das nicht überinterpretiert wissen, schließlich gebe es derzeit auch beim Kurier keine Person als Herausgeber. ›Wenn Geschäftsführung und Chefredaktion gut zusammenarbeiten, kommt man auch ohne Herausgeber sehr gut aus. Man braucht nicht so viele Menschen an der Spitze, diese Zeiten sind vorbei‹, sagt Grasl.
Doch gerade diese jüngste berufliche Weihe sorgte um den Jahreswechsel für Aufregung im politmedialen Österreich, denn Profil ist nicht irgendein Medium, sondern seit Jahrzehnten eine Bastion des investigativen und unabhängigen Journalismus. Diese Personalie ist auch Anlass für DATUM, sich der Person Grasl anzunähern und ein möglichst vollständiges Bild eines Mannes an einer Schaltstelle der Macht zu zeichnen. Eines vorweg: Es sagt viel über Grasl und dieses Land aus, dass die meisten, die ihn kennen, zwar gerne und durchaus offenherzig über ihn reden, aber fast niemand das öffentlich tun will. Und: Grasl ist eine vielschichtige Person, er polarisiert und ihn umranken viele Gerüchte, von denen aber nicht alle einer genauen Recherche standhalten.
Die Aufregung über Grasls Beförderung zum Profil-Geschäftsführer hatte im Wesentlichen zwei Gründe, einen offensichtlichen und einen, über den bis vor Kurzem mediales Stillschweigen herrschte. Der erste: Richard Grasl gilt als, freundlich formuliert, ÖVP-nahe. Er selbst stellt das zwar vehement in Abrede, sagt aber: ›Ich habe aufgehört, mich darüber zu ärgern und würde es nicht einklagen. Jedenfalls versuche ich in meiner journalistischen Tätigkeit äquidistant zu sein.‹ Und auch wenn Grasl von Wegbegleitern gesellschaftspolitisch oder auch bei Klimafragen als deutlich progressiver als die ÖVP beschrieben wird, so ist seine Karriere doch zu eng mit der ÖVP und insbesondere der niederösterreichischen Volkspartei verknüpft, um es dabei zu belassen. ›Du bist unser Küniglberg-Held‹, schrieb ihm Thomas Schmid, der Generalsekretär im Finanzministerium, in einem seiner berüchtigten Chats. Doch während andere Topmedienleute über ähnliche Chats mit Schmid stolperten, bleibt Grasl davon unbeeindruckt, und seine Karriere unbelastet. Doch dazu später.
Der zweite Grund für die Unruhe, die Grasls Avancement zum Profil-Geschäftsführer in der Medienbranche und darüber hinaus hervorgerufen hat, wurzelt in einem folgenschweren Motorboot-Unfall am 7. Juni 2017 auf dem Wörthersee, vielleicht aber noch mehr in Grasls Umgang damit.
Gemeinsam mit drei Freunden und einem Skipper verbrachte Grasl den Tag an Bord eines gemieteten Motorboots. Unter Alkoholeinfluss unternahm Grasl mehrfach ein waghalsiges Manöver, einen so genannten ›Powerturn‹, bei dem sich das Boot um die eigene Achse dreht. Dabei fiel einer seiner engsten Freunde, der niederösterreichische Bauunternehmer Manfred Schroll, der am Heck des Bootes auf der Abdeckhaube des Motors saß, ins Wasser. In einer fatalen Fehlreaktion legte Grasl den Rückwärtsgang ein, die Schiffsschraube erfasste Schroll und fügte ihm tödliche Verletzungen zu. Das alles geht aus dem Urteil des Landesgerichts Klagenfurt hervor, in dem Grasl wegen grob fahrlässiger Tötung zu zehn Monaten unbedingter Haft verurteilt wurde. Das Oberlandesgericht Graz setzte die Strafe schließlich auf 9,5 Monate herunter. Letztlich wurde ihm ein offener Vollzug mit Fußfessel bewilligt.
In erster Instanz legte Grasl ein Privatgutachten vor, das zeigen sollte, dass sein verstorbener Freund ihm zuvor ins Steuer gegriffen habe und deshalb über Bord gegangen sei. Zwei vom Gericht bestellte Sachverständige widerlegten diese Darstellung: ›Der Verantwortung des Erstangeklagten, welche offensichtlich vom Ziel getragen war, dem Getöteten die Verantwortung für das Unfallgeschehen zuzuweisen, konnte nicht gefolgt werden‹, heißt es in dem Urteil, das in zweiter Instanz bestätigt wurde. Die Angehörigen des Verstorbenen haben beide Urteile auf einer Website online gestellt: ›Nach einer langen und schmerzvollen Zeit des Wartens ist nun gerichtlich und in aller Deutlichkeit bestätigt, dass Mandi (so der Spitzname des Verstorbenen, Anm.) keinerlei Schuld an seinem Schicksal trifft‹, heißt es dort.
›Ich werde das immer in mir tragen‹, sagt Grasl heute. ›Natürlich verändert einen das. Man regt sich nicht mehr über Sachen auf, die in Wirklichkeit belanglos sind. Weil es um andere Themen geht, die im Leben wichtiger sind. Ich möchte mich zu der Causa aber auch weiterhin nicht öffentlich äußern und bitte, das zu respektieren. Ich habe es damals auch zum Schutz meiner Kinder getan und tue das weiterhin.‹ Dass er diesen Unfall und seine Folgen nicht los wird, muss Grasl auch in den Sozialen Netzwerken erkennen, wo auf viele seiner Postings Motorboot-Emojis oder halblustige Wortspiele aus der Seefahrt niederprasseln.
In einem Interview mit einem Branchenmagazin namens Extradienst, das im März veröffentlicht wurde, nahm Grasl erstmals öffentlich zum Unfall Stellung und erklärte auf die Frage, ob er alles getan habe, was notwendig sei, um das wieder gutzumachen: ›Nein, weil man es nie ganz gutmachen kann. Aber ich habe alles getan, was meine Möglichkeiten zulassen.‹
Maria Katharina Thiery-Schroll, die Witwe des getöteten Bauunternehmers, bestätigt gegenüber DATUM, dass Grasl nach dem Unfall mehrmals angekündigt habe, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um Wiedergutmachung zu leisten. Aber, sagt sie: ›Seine Zusagen, dass wir das Thema Entschädigung schnell klären würden, haben sich nicht bestätigt. Jeder Schritt hat viele Monate gedauert, und erst seit Kurzem ist die Angelegenheit abgeschlossen.‹ Als Vorwurf möchte sie das jedoch nicht verstanden wissen: ›Da Richard nie ein Freund von mir war, werfe ich ihm diese Vorgehensweise nicht vor.‹
Ohne explizit darauf angesprochen worden zu sein, nimmt Thiery-Schroll auch zu Grasls Verteidigungslinie im Prozess Stellung: ›Alle Beteiligten sind aufgrund der Vorkommnisse ohnehin für den Rest ihres Lebens geprägt und teils geschädigt. Jeder hat so gehandelt, wie er es – zunächst im Schock und später womöglich durch andere äußere Einwirkungen verstärkt – für richtig gehalten hat. Im Nachhinein betrachtet und als Nicht-Beteiligter ist man gleich einmal gescheiter und hätte alles anders gemacht. Mittendrin zu stecken, ist eine andere Erfahrung, aber darauf achten nur die wenigsten Menschen.‹
Über den Vorfall und den anschließenden Gerichtsprozess samt Verurteilung wurde in den Medien breit berichtet, inklusive Live-Ticker aus dem Gerichtssaal – doch niemals mit der namentlichen Nennung Grasls, allenfalls in Blogeinträgen oder Forenpostings fand sich der Name. Allen, die sich für den Fall interessierten, war schnell klar, um wen es sich handelte, aber die Medien blieben bei der Umschreibung als ›prominenter Medienmanager‹ – und das war kein Zufall.
Nach dem Unfall wurde der einflussreiche und in Journalistenkreisen ausgezeichnet vernetzte Rechtsanwalt Manfred Ainedter in zahlreichen Redaktionen vorstellig, um auf den Persönlichkeitsschutz von Richard Grasl hinzuweisen. Dieser erklärt zwar im Gespräch mit DATUM, keinen Rechtsanwalt in dieser Angelegenheit beauftragt zu haben, doch Ainedter bestätigt eine entsprechende Anfrage, ob er im Auftrag von Grasl unterwegs war, per Mail lapidar mit: ›Gut recherchiert!‹ Wie dem auch sei, das juristische Argument lautete damals: Zum Zeitpunkt des Unfalls war Grasl bloß freier Berater beim Kurier und vom Land Niederösterreich bestellter Aufsichtsrat beim Flughafen Wien. Damit sei er keine Person des öffentlichen Interesses. Hätte er als Prominenter gegolten, wäre die Namensnennung dieser Lesart zufolge zulässig gewesen.
Darüber hinaus stellte Grasls Strafverteidiger Alexander Todor-Kostic zu Beginn des Prozesses im Landesgericht Klagenfurt gegenüber anwesenden Journalistinnen und Journalisten klar, dass der Name seines Mandanten in der Berichterstattung nicht zu nennen sei.
Grasls Rolle beim Unfall am Wörthersee war also ein Tabu in der medialen Öffentlichkeit – zumindest in Österreich. Es blieb einem deutschen Radiosender und einem österreichischen Medienwissenschaftler vorbehalten, dieses Schweigen zu brechen: Im Dezember 2022, als Grasls Aufstieg zum Geschäftsführer und De-facto-Herausgeber von Profil besiegelt war, gab Fritz Hausjell, stellvertretender Vorstand des Publizistik-Instituts an der Universität Wien und Präsident von ›Reporter ohne Grenzen‹, dem Deutschlandfunk ein Radiointerview und sprach den Unfall sowie das Schweigen darüber offen an: ›Richard Grasl ist für ein Magazin, das unter anderem Missstände aufdeckt, eine Vorgabe. Er hat bei einem Schiffsunfall einen Freund zu Tode gebracht und dann dafür gesorgt, dass alle Medien in dem Land seinen Namen nicht nennen durften‹, sagte Hausjell. ›Das geht einfach nicht zusammen.‹ Der Beitrag verbreitete sich in der Branche zwar rasant, wurde aber von keiner Redaktion eines Mediums aufgegriffen.
Und schließlich war es Grasl selbst, der sich in dem bereits erwähnten Interview mit Extradienst zu dem Thema äußerte: ›Alle Medien haben erkannt, dass hier die Privatsphäre zu schützen ist. Da bin ich den österreichischen Medien sehr dankbar dafür, dass hier das Medienrecht gewahrt wurde‹, sagte er. Grasl meinte aber auch: ›Ich habe ja niemandem etwas untersagt.‹ Die Rolle seiner Anwälte verschwieg er dabei.
Aber ist die Rechtslage eigentlich so eindeutig? ›Nein‹, meint die Medienrechtsanwältin Maria Windhager – die auch DATUM bei dieser Recherche juristisch begleitet. Windhager weiter: ›Die Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz ist in solchen Konstellationen immer sehr schwierig und oft durch alle Instanzen strittig. Es gab damals schon sehr gute Argumente für die Zulässigkeit der Namensnennung, weil durchaus ein öffentliches Interesse an der Kenntnis seiner Person vertretbar war. Ich war daher einigermaßen überrascht, dass sich alle Redaktionen gegen die Namensnennung entschieden haben, zumal in vielen Berichten gleichzeitig so viele Angaben zu seiner Person mitgeliefert wurden, die ohnehin eine Identifizierbarkeit ermöglichten.‹
So einschneidend und traumatisch der 7. Juni 2017 und seine Folgen für Richard Grasl waren, seiner Karriere als Medienmanager und Journalist taten weder die Tragödie noch die Fußfessel, die er zeitweilig tragen musste, einen echten Abbruch. Das ist wohl zum einen darauf zurückzuführen, dass man beim Kurier-Mehrheitseigentümer Raiffeisen allem zum Trotz nicht auf die Umsetzerqualitäten, die Netzwerke und die Kämpfernatur des Managers verzichten wollte. Und zum anderen liegt es auch daran, dass Grasl von frühester Jugend an für das Mediengeschäft brannte und sich kaum vorstellen konnte, etwas anderes zu machen. Denn bereits damals, als Jüngling am Stammtisch im ›Goldenen Kreuz‹, wollte er Journalist werden. Ein gern gesehener Gast dort war der Sportchef der Kremser Ausgabe der Niederösterreichischen Nachrichten, Rudolf Aschauer. Der sprachgewandte Germanist berichtete anschaulich von örtlichen Fußballspielen und Tennisturnieren. Schon mit 13 wurde Grasl mit dem Wunsch vorstellig, auch über Sport zu schreiben. ›Mach erst einmal die Unterstufe fertig‹, meinte Aschauer. Der Sportjournalist hielt Wort, zwei Jahre später verfasste Grasl seine ersten kurzen Texte, hauptsächlich über lokale Fußballergebnisse. ›Im Sport lernst du recherchieren, besonders damals, als es noch kein Internet gab. Da gab es etwa ein Match Bergern gegen Mautern. Ich habe im Bergerner Wirtshaus angerufen, da hieß es, die Mannschaft habe 2:1 gewonnen. Im Mauterner Wirtshaus war von einem 1:1 die Rede.‹ Schon damals lernte Grasl also eine wichtige Lektion im Journalismus: Wahrheit ist oft eine Frage der Perspektive. Manchmal blieb der Jungjournalist am Sonntag bis Mitternacht in der Redaktion. Trotzdem saß er am kommenden Morgen wieder pünktlich in der Klasse.
Aschauer vermittelte Grasl schließlich zum ORF-Landesstudio, wo er sich neben seinem Studium der Handelswissenschaften ein Zubrot verdiente. Noch ehe er seinen Magister in der Tasche hatte, stand Grasl als Moderator vor der Kamera. Nach einem kurzen Intermezzo in einer Wirtschaftsprüfungskanzlei bekam er seine erste Anstellung. Das war in den späten 1990er-Jahren, das Landesstudio in St. Pölten leitete damals die spätere ORF-Generaldirektorin Monika Lindner. Viele Jahre später äußerte sie sich unerwartet kritisch über das politische Klima in Niederösterreich: Die ›Flugrichtung des Heiligen Geistes‹ habe Pröll bestimmt – und darauf hat wohl auch der ORF Rücksicht nehmen müssen.
Lindner hielt sich an die Spielregeln und wurde schließlich auf Empfehlung Prölls ORF-Generaldirektorin am Küniglberg. Sie war es auch, die Grasl nach Wien holte, wo er ZiB2-Redakteur wurde. Der Jungjournalist galt als bienenfleißig und anpackend, umgänglich bis jovial und sehr vif. Und er zeigte einen Zug zum Tor: Nach einem Hochwasser in Niederösterreich führte Grasl ein aufsehenerregendes Interview mit Erwin Pröll, der in Gummistiefeln durch die Fluten watete. Dem Landeshauptmann gefiel das. Mit nur 29 Jahren kam Grasl zurück nach St. Pölten – als Chefredakteur des Landesstudios.
Dass er mit Pröll gut konnte, war augenscheinlich. Nur selten trübte sich das Verhältnis ein. Einmal herrschte Pröll den ORF-Chefredakteur vor laufender Kamera an, weil der eine gar zu kecke Frage stellte. Doch die Versöhnung folgte auf dem Fuß, bei einigen Gläsern Weißwein. Die APA berichtete damals, dass Pröll den jungen Journalisten zur Seite genommen und ihn jovial gefragt habe: ›Und, was willst noch werden?‹
2009 wurde Grasl schließlich Kaufmännischer Direktor am Küniglberg – auf Empfehlung Prölls und unter heftigen Diskussionen über politisch motivierte Postenbesetzungen im ORF. Für diese Umbesetzung war ein entsprechender politischer Hebel notwendig, und die ÖVP fand ihn in der für den ORF essenziellen Frage, ob die Anstalt die ihr durch die GIS-Befreiung von einkommensschwachen Haushalten entgangenen Einnahmen aus dem Bundesbudget ersetzt bekomme. Größenordnung: 160 Millionen Euro. Erst nachdem der SPÖ-nahe ORF-General Alexander Wrabetz zugesichert hatte, Grasl zu installieren, gab die ÖVP ihre Blockade gegenüber dieser Refundierung auf. Den ›teuersten ORF-Transfer aller Zeiten‹, nannte das die sonst recht zurückhaltende APA damals.
Dem Image des Politgünstlings, der aus der Redaktion des Landesstudios in Niederösterreich in die zweitwichtigste Position des ORF gehievt worden war, begegnete Grasl mit Abgebrühtheit – und mit Fleiß. Auch vehemente Kritiker waren schnell positiv überrascht. Hemdsärmelig, entscheidungsfreudig und auffallend umgänglich im Ton, so wurde er innerhalb und außerhalb des ORF wahrgenommen. Als ›Grasls Nummer zwei‹ stets an seiner Seite: der heutige ORF-Generaldirektor Roland Weißmann.
Das damalige Verhältnis zwischen Grasl und seinem Chef, ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, wird allgemein als gut beschrieben, doch im Hintergrund bahnte sich ein vorprogrammiertes Duell um die Spitze an. Dass Grasl der Wunschkandidat der ÖVP an der Spitze des ORF war, galt als offenes Geheimnis. Und bereits im Sommer 2016 setzte der Niederösterreicher alles auf eine Karte und forderte Wrabetz bei dessen dritter Wahl zum ORF-Generaldirektor heraus. Grasl zog im Stiftungsrat mit 15 zu 35 Stimmen für Wrabetz den Kürzeren, und es wurde klar: Seiner Zeit beim ORF war vorerst einmal ein Ende gesetzt. Im Herbst 2016 machte er sich als Medienberater selbstständig, und so kam er zum Kurier, zu dessen Mehrheitseigentümer, der Raiffeisen Holding Wien und Niederösterreich, er bereits lange und gute Verbindungen pflegte.
Als Berater teilte er sich eine Bürogemeinschaft mit dem ÖVP-nahen Lobbyisten und früheren Pressesprecher von Vizekanzler Josef Pröll, Daniel Kapp. Die beiden residierten in der Wiener Innenstadt, unweit des Stephansdoms. Zunächst arbeitete Grasl von dort aus als Berater für den Kurier, der 2016 den kleinen Regionalsender Schau-TV gekauft hatte. Der fernseherfahrene Grasl sollte die Neuerwerbung in das Gesamtprodukt integrieren. Bald ging er beim Kurier ein und aus, hatte einen Schreibtisch zwischen dem Großraumbüro der Redaktion und der Chefredaktion. ›Es war schnell klar, dass er für höhere Weihen bestimmt ist‹, erzählt ein früherer Kurier-Redakteur. Die Sache mit dem Unfall sei in der Redaktion nur indirekt angesprochen worden: ›Er sprach in kleiner Runde manchmal von dem schweren Schicksalsschlag, der ihn und seine Familie getroffen habe.‹
Beim Kurier etablierte sich Grasl schnell als Macher, und der Rest ist Geschichte. Und dazu gehört auch, dass Grasl immer wieder in Verdacht geriet, allzu stark auf die Begehrlichkeiten der ÖVP einzugehen – auch auf Kosten der Glaubwürdigkeit in der Berichterstattung. So sehen es zumindest andere. Grasl selbst hat im Gespräch mit DATUM im großen Besprechungszimmer im 4. Stock des Kurier-Gebäudes in Wien-Heiligenstadt für alles eine Erklärung. Er bleibt auch bei unangenehmen Fragen ruhig, pariert professionell jeden Einwand.
Da wäre etwa die Sache mit den angeblichen SPÖ-Netzwerken in der Justiz. Anfang 2020 landete ein 25 Jahre altes Dokument in der Kurier-Redaktion, auf das sich der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz gerne berief, um zu belegen, dass die anlaufenden Ermittlungen gegen ihn politisch motiviert seien. Es handelte sich um das Protokoll einer Besprechung SPÖ-naher Juristinnen und Juristen, in denen diese den Wunsch äußerten, mehr Parteifreunde in der Staatsanwaltschaft unterzubringen. Dabei wurde insinuiert, dass auch die Leiterin der Staatsanwaltschaft Wien, Maria-Luise Nittel, Teil der klandestinen Gruppe gewesen sei. Unbestritten ist, dass Grasl und Kurier-Chefredakteurin Martina Salomon eine Redakteurin beauftragten, dazu einen Artikel zu schreiben. Dem Vernehmen nach wollte diese noch zusätzliche Recherchen anstellen. Tatsache ist, dass Grasl den Text schließlich selbst verfasste und online stellte – nach Mitternacht, ohne Angaben zum Autor und vor allem, ohne Nittel mit den Vorwürfen zu konfrontieren. Diese stellten sich als falsch heraus, die Staatsanwältin wehrte sich juristisch und erwirkte einen Widerruf. Besonders pikant: Wegen der gleichen fehlerhaften Berichterstattung hatte der Kurier im Jahr 2011 bereits eine Gegendarstellung veröffentlicht.
›Ich habe einem Protokoll, über das bereits breit berichtet wurde, vertraut – das war im Nachhinein ein Fehler‹, sagt Grasl heute. ›Ich war Tageschef und habe mit der Chefredakteurin telefoniert, die wissen wollte, was aus der Geschichte geworden ist. Also habe ich sie eben schnell selbst geschrieben.‹ Eine Nachlässigkeit sei das gewesen. Aber ganz sicher keine Auftragsarbeit der ÖVP.
Zur selben Zeit brachte die SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim eine parlamentarische Anfrage zum ›Fall Richard G.‹ ein, der nach seiner Verurteilung eine Weile mit Fußfessel im Kurier ein und aus ging. Yildirim mutmaßte, dass für ihn weniger strenge Auflagen gelten würden als für andere Freigänger. Nach einigen Tagen zog sie die Anfrage unerwartet zurück. Yildirim will darüber nicht sprechen. Aus ihrem Umfeld ist zu hören, dass es vonseiten der ÖVP massiven Druck auf den SPÖ-Klub gab. Und dass sie gleichzeitig einen scharfen Protestbrief seitens einzelner Kurier-Redakteure bekam, in dem ihr niedere Motive für die Anfrage unterstellt wurden. ›Ich weiß von der Anfrage. Aber nicht, dass es einen Brief von Kurier-Redakteuren gab, das höre ich zum ersten Mal‹, sagt Grasl.
Eine harmlose Erklärung hat er auch für die bereits erwähnte Chatkonversation mit Thomas Schmid. Völlig unverdächtig sei die, würde man sie komplett lesen. Das von Schmid geäußerte Begehren, der ORF möge gefälligst Bilder von der Papst-Audienz seines Chefs Michael Spindelegger zeigen, habe er zuständigkeitshalber an die Programmdirektorin Kathrin Zechner weitergeleitet, während er den Kindergeburtstag seines Sohnes feierte. Dafür, dass Schmid ihn deshalb tags darauf als ›unser Küniglberg-Hero‹ lobte, könne er schließlich nichts: ›Jeder weiß doch mittlerweile, dass Schmids Kommunikation sehr seltsame Züge trug.‹ Doch der ganze Chat zeigt auch folgenden Austausch: ›Du bist der Beste! Danke dir für deine Hilfe heute. Ich weiß, dass das keine Selbstverständlichkeit ist.‹ Grasl darauf zu Schmid: ›Für mich schon! That’s my job!‹ Damit habe er bloß das Weiterleiten gemeint, sagt Grasl heute. Und: ›Ich habe in meiner Zeit als Kaufmännischer Direktor kein einziges Mal aktiv mit einem Redaktionsmitglied der ZiB über irgendeine Geschichte geredet. Weil ich wusste: Das geht schief.‹ Im Übrigen sehe er Anrufe dieser Art auch nicht als Intervention. Eine solche würde für Grasl erst vorliegen, wenn ›Druck ausgeübt wird‹.
Auch Kritiker mit Einblick in die Materie attestieren, dass die befürchtete Einflussnahme auf die Redaktion von Profil in den ersten sechs Monaten nicht stattgefunden habe. Anna Thalhammer, von Grasl von der Presse abgeworben und zur Chefredakteurin gemacht, streut er Rosen: ›Das Heft ist wieder relevanter geworden. Dass Anna Thalhammer das journalistische Zeug dazu hat, das wusste ich. Aber was ihre Führungsqualitäten betrifft, war ich extrem positiv überrascht, denn da fehlte es ihr zuvor an Erfahrung. Und innerhalb ihres Budgets hat sie die Personalhoheit.‹ Er selbst sieht bereits erste wirtschaftliche Erfolge beim Profil. ›Die Erlöse gehen wieder hinauf, der Trend zeigt nach oben. Das ist dem Eigentümer wichtig.‹ Grund dafür sei vor allem mehr Schlagkraft am Anzeigenmarkt und neue Projekte, wie das zuletzt erstmals publizierte Nachhaltigkeitsmagazin. Derzeit arbeite man auch an einer neuen Kampagne. Der Claim ›Wie viel Profil hat Ihre Meinung?‹ habe ausgedient, sagt Grasl. Eine Werbeagentur schlug vor, mit dem Begriff ›Wahrheit‹ zu arbeiten. ›Ein schwieriger Begriff im Journalismus‹, sagt Grasl und fährt fort: ›Was ist schon die Wahrheit? Wir dürfen nie glauben, dass wir die Wahrheit gepachtet haben. Wir sind bestenfalls auf der Suche.‹
Für langjährige Beobachter Grasls ist eines klar: Er sieht sich als Journalist, ist aber eher in den Sphären der Politik zu Hause. Wenn ihm das jemand ins Gesicht sagt, ärgert er sich gehörig darüber. Was jedenfalls stimmt: Grasl changiert zwischen Journalismus und den machtpolitischen Dimensionen des Medienmanagements. Diese Zweigleisigkeit, die seine Karriere geprägt hat, ist derzeit sogar beruflich institutionalisiert: Als stellvertretender Chefredakteur des Kurier greift er selbst in die Tasten und bestimmt die Blattplanung mit, als Onlinechef der Zeitung soll er die digitale Transformation vorantreiben, und als Profil-Geschäftsführer das in den vergangenen Jahren in massive wirtschaftliche Turbulenzen geratene Traditionsmagazin sanieren. Und viele in der Medienwelt fragen sich, wohin den Pragmatiker sein nächster Karriereschritt führt: Als Nachfolger von Thomas Kralinger in die Geschäftsführung des Kurier und möglicherweise sogar der Mediaprint, der mächtigen Vertriebs- und Vermarktungstochter von Kronen Zeitung und Kurier? Oder doch zum Nachfolger der Kurier-Chefredakteurin Martina Salomon, deren Vertrag gerade um ein Jahr bis Herbst 2024 verlängert wurde? Eines steht jedenfalls fest: Raiffeisen setzt konsequent auf Richard Grasl, und er wiederum dankt es dem Konzern mit absoluter Loyalität. Zum Schluss also die Frage, wo er selbst seine berufliche Zukunft sieht. ›Ist Ihnen das nicht klar? Nein? Mir übrigens auch nicht‹, antwortet er lachend. Aber ob das auch die Wahrheit ist? •