Herr Grasl und die Wahrheit
Pragmatisch, machtbewusst und umstritten – der Manager und Journalist Richard Grasl im Porträt.
Dies ist die Geschichte von Richard Grasl, einem einflussreichen und skandalumwitterten Medienmanager und Journalisten. Es ist aber auch eine Geschichte, die viel über das politische und mediale Österreich erzählt. Sie beginnt – wie so oft in diesem Land – am Stammtisch eines Wirtshauses. Es heißt ›Zum Goldenen Kreuz‹, steht in Krems an der Donau und gehörte den Eltern von Richard Grasl.
Nach der Schule, wenn die anderen Kinder für das Mittagessen zu Hause am Küchentisch Platz nahmen, hockte sich der junge Richard an den Stammtisch des elterlichen Betriebs. Da saßen die üblichen honorigen Persönlichkeiten einer Kleinstadt: Rechtsanwalt, Arzt, Magistratsbedienstete, und hin und wieder gesellte sich auch ein Lokalpolitiker dazu. Es wurde diskutiert und politisiert. Und mittendrin: der halbwüchsige Sohn des Wirts. ›Die Gespräche dort habe ich regelrecht aufgesaugt. Am Anfang hörte ich nur zu. Aber mit der Zeit habe ich mich getraut mitzudiskutieren‹, erinnert er sich heute. Es waren die 1980er-Jahre, als Grasl an ebendiesem Stammtisch sozialisiert wurde und ganz nebenbei lernte, wie man mit wichtigen Menschen umgeht.
Heute, mit 50 Jahren, gehört Richard Grasl längst selbst zu den Mächtigen des Landes. Beruflich hat er derzeit gleich drei Funktionen, von denen eigentlich jede einzelne ein Full-Time-Job ist: 2018 wurde er Digitalchef der Tageszeitung Kurier, drei Jahre später zusätzlich deren stellvertretender Chefredakteur, und zu Beginn dieses Jahres übernahm er auch noch die Geschäftsführung von Profil. Wobei ihm in der gegenwärtigen Führungsstruktur des Nachrichtenmagazins eine besondere Rolle zukommt: Als Chefredakteur wurde der Langzeitchef von Profil, Christian Rainer, durch Anna Thalhammer ersetzt, nicht aber als Herausgeber. Grasl ist als Geschäftsführer der Gesellschaft, die das Magazin herausgibt, de facto der neue Herausgeber, ohne dass die Profil-Redaktion – wie im Redaktionsstatut vorgesehen – darüber hätte abstimmen können. Grasl selbst will das nicht überinterpretiert wissen, schließlich gebe es derzeit auch beim Kurier keine Person als Herausgeber. ›Wenn Geschäftsführung und Chefredaktion gut zusammenarbeiten, kommt man auch ohne Herausgeber sehr gut aus. Man braucht nicht so viele Menschen an der Spitze, diese Zeiten sind vorbei‹, sagt Grasl.